Zwölfhundertsechsundsechzig

Da es kürzlich in den Kommentaren um Formulierungen von „qualifizierten“ (im Gegensatz zu „einfachen“) Arbeitszeugnissen ging, greife ich dieses Thema auf, und schreibe heute die IMHO wesentlichen Punkte nieder.
Ein ausscheidender Mitarbeiter hat gesetzlichen Anspruch (notwendig) auf ein wohlwollendes (gut) und ehrliches (wahr) Arbeitszeugnis. Es muss also (sh. vorhergehende Klammern) den drei Sieben des Sokrates entsprechen.

Es haben sich spezielle Formulierungen für die Notenstufen entwickelt: „erfüllte seine Aufgaben stets zu unserer vollsten Zufriedenheit“ entspricht einer Note 1. Durch Abstufungen („vollen“ statt „vollsten“, „stets“ weglassen) kommt man schließlich nur noch „zu unserer Zufriedenheit“, bzw. „bemühte sich“ (was impliziert, dass seine Bemühungen nichts nützten), was höchstens noch einer 4 entspricht. Bei noch schlechterer Wertung lässt man den Satz ganz weg.

Einen guten Mitarbeiter wohlwollend zu loben, ist keine Schwierigkeit. Aber was macht man, wenn er eben nicht so gut war?
Ein Bemühen zu betonen, deutet grundsätzlich darauf hin, dass er trotz aller Mühen versagte.
Es ist üblich, das Verhältnis zu Vorgesetzten/Kunden, Kollegen und evtll. Mitarbeitern (selbstverständlich positiv) zu beschreiben. Eine andere Reihenfolge ist kritisch zu sehen. Insbesondere wenn etwa Vorgesetzte ganz weggelassen werden, lässt sich das interpretieren, als ob es dazu nichts positives zu sagen gäbe – sprich, der Mitarbeiter war renitent, und legte sich ständig mit seinen Chefs an.
Grundsätzlich sagen gerade Weglassungen möglicherweise mehr aus, als das, was dasteht.
Auch auffällige Betonungen können negativ gemeint sein. Wenn etwa über einen ganzen Absatz das Verhältnis zu den Kollegen über den grünen Klee gelobt wird, war dieser Mitarbeiter vielleicht die Betriebsnudel, und hat sich bei sämtlichen Feiern volllaufen lassen.

Ein Arbeitszeugnis endet üblicherweise mit einer Begründung, warum der Arbeitnehmer das Unternehmen verlässt. Hier sollte unbedingt „auf eigenen Wunsch“ stehen. Alles andere deutet auf eine Kündigung oder irgendwelche Probleme hin.
Abschließend wünscht der Arbeitgeber noch alles Gute für die weitere berufliche Zukunft (oder so ähnlich), und bedauert das Ausscheiden. Fehlen entsprechende Sätze, ist Vorsicht geboten.
Ein gutes Zeugnis lässt tatsächliche Wertschätzung erkennen, und ein kundiger Leser kann sehr gut herauslesen, was gemeint ist.

Allerdings sind nicht alle Zeugnisschreiber daran gewöhnt, solche Texte zu verfassen, so dass man nicht ausschließen sollte, dass der Schreiber vielleicht nur ungeschickt vorgegangen ist (je kleiner das Unternehmen desto größer die Wahrscheinlichkeit).
Deshalb würde ich auch Beschäftigten davon abraten, selbst das Schreiben des Zeugnisses zu übernehmen (das wird teilweise so gehandhabt, u.a. weil die Verantwortlichen selbst zu bequem dazu sind).

Beim Erhalt der Arbeitszeugnisses ist darauf zu achten, dass sämtliche formale Daten (z.B. Ein- und Ausstrittsdatum) korrekt sind. Falls sachliche Unrichtigkeiten enthalten sind, hat der (frühere) Mitarbeiter Anspruch auf Nachbesserung, den er unbedingt wahrnehmen sollte.
Auch ein Verhandeln über einzelne Formulierungen ist durchaus möglich. Die Chancen stehen gut, dass der Arbeitgeber darauf eingeht, denn er hat keinen Nachteil dadurch, und wird keine Lust haben, sich ggf. vor dem Arbeitsgericht deswegen herumzustreiten.

Ach, und nur BTW, weil manche Leute das für eine so tolle Idee halten:
Bei einer sog. „anonymen“ Bewerbung (gäbe genug Stoff für einen eigenen Blogpost, vielleicht mach‘ ich’s mal, besteht Interesse?) wäre es nahezu unmöglich, in einem qualifizierten Arbeitszeugnis sämtliche identifizierenden Pronomina etc. so zu schwärzen, dass die Formulierungen trotzdem noch alle verständlich wären.
Da müssten wohl erst einmal durchgegenderte Zeugnisse eingeführt werden.

Über Anne Nühm (breakpoint)

Die Programmierschlampe.
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26 Antworten zu Zwölfhundertsechsundsechzig

  1. Athropos schreibt:

    Das „Problem“ an den Formulierungen im Arbeitszeugnis ist, dass diese inzwischen weithin bekannt sind. Sprich wenn du ein ehrliches Zeugnis schreibst kommt dann die Beschwerde vom ehemaligen MA, dass ihm mit diesem Zeugnis die Zukunf verbaut wird und das so doch nicht geht und überhaupt. (und iirc gibt es zwischenzeitlich auch gerichtliche Entscheide, welche dem Arbeitnehmer in solchen Fällen Recht gegeben haben).

    Als Weg des geringsten Widerstandes habe ich dann einfach ein übertrieben erstklassiges Zeugnis ausgestellt – wäre jetzt nur interessant zu Wissen, ob ein Personaler bei den Formulierungen in Kombination mit <10h/Woche Anstellungsverhältnis mitkriegt, was gemeint ist.

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    • Dieser Code ist halt etabliert, und wird so allgemein erwartet.
      Wobei es in kleinen Unternehmen meist weniger Erfahrung mit dem Thema gibt, als in großen. Entsprechend sind die Zeugnisschreiber weniger geschickt bei der Formulierung, und auch die Zeugnisleser interpretieren weniger zuverlässig.

      Die Kombination mit geringer Stundenzahl würde mich veranlassen, dem Zeugnis weniger Gewicht zu geben. Kombiniert mit übertrieben positiver Aussage, wäre ich zumindest skeptisch, denn bei so einer geringen Arbeitszeit lassen sich keine allzu detaillierten Aussagen machen.

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  2. aliasnimue schreibt:

    Genau aus dem Grund hab ich nie viel von Arbeitszeugnissen gehalten. Stattdessen habe ich einfach den letzten Arbeitgeber angerufen.

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    • Halte ich nicht für gut, wenn der Bewerber sich noch in ungekündigter Stellung befindet.
      Dadurch wird der aktuelle Arbeitgeber auf seinen Wechselwunsch aufmerksam.

      Falls das Zeugnis länger zurückliegt, erinnert sich niemand mehr richtig.
      Überhaupt kann es schwierig sein, zu einem Ansprechpartner durchgestellt zu werden, der den Bewerber tatsächlich beurteilen kann.

      Würde mich einfach jemand anrufen, um Auskünfte über einen (ehemailgen) Mitarbeiter zu bekommen, würde ich mich nicht äußern, und auf das Zeugnis verweisen.
      Außerdem wäre ich verärgert über die Störung.

      Nur wenn ausdrücklich Referenzen angegeben sind, die für Anrufe zur Verfügung stehen, ist dieses Vorgehen in Ordnung.

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  3. keppla schreibt:

    Mal etwas amoralisch argumentiert: Warum sollte ich einem schlechten Angestellten ein schlechtes Zeugnis ausstellen? Ich meine, auch bevor er kündigt: Sollte ich ihn nicht vielleicht in einem initiativ ausgestellten Zwischenzeugnis in den höchsten Tönen loben, so dass die Konkurrenz ihn gerne nimmt?
    Und umgekehrt: einem guten Angestellten, den ich eigentlich nicht gehen lassen will, sollte ich doch optimalerweise die Bewerbung woanders schwer machen? Ok, im zweiten Fall ist klar, dass das nicht geht, weil ich so die Motivation zerstöre, aber im ersten Fall?

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    • Das Zeugnis muss ja trotz allem „wahr“ sein.

      Es ist schon so, dass sich Arbeitgeber i.A. darauf verlassen, dass das Zeugnis keine Unwahrheiten enthält, und den Mitarbeiter (innerhalb der üblichen Formulierungen) realistisch beschreibt.
      Wenn es einreißen würde, dass Zeugnisse den Mitarbeiter wesentlich besser darstellen würden, als er ist, würden Zeugnisse generell schnell an Wert verlieren.
      Vermutlich würden sich dann die „einfachen“ durchsetzen, die nur ohne Wertung auflisten, womit der Mitarbeiter genau beschäftigt war.

      Vor allem in Großunternehmen werden interne Wechsel oft erschwert, weil der aktuelle Vorgesetzte einen guten Mitarbeiter nur ungern ziehen lässt.
      Deshalb sind Zwischenzeugnisse normalerweise recht zurückhaltend, was Lob betrifft (und auch, weil Lob bei Gehaltsverhandlungen als Argument ausgeschlachtet werden könnte).

      Ein Endzeugnis wird ja erst dann ausgestellt, wenn der Mitarbeiter das Unternehmen definitiv verlässt, bzw. es bereits verlassen hat.
      Zu diesem Zeitpunkt lässt es sich nicht mehr beeinflussen, ob ihn an andere Arbeitgeber einstellen wollen, und es ist egal, ob man ihn schnell loswerden wollte oder lieber behalten hätte.

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  4. sevens2 schreibt:

    Grau-sames Arbeitszeugnis. Schreib eins.

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  5. Betriebswirt-ZRH schreibt:

    Gruss vom Betriebswirt-ZRH, lese still mit (-:

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  6. Betriebswirt-ZRH schreibt:

    Gruss vom Betriebswirt-ZRH

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  7. Der Maskierte schreibt:

    Ich gebe auf Arbeitszeugnisse nichts mehr. Für mich zählt nur noch die persönliche Referenz.

    Zum Glück bin ich in einer recht überschaubaren Branche unterwegs und gut vernetzt. Da spricht es sich herum, wer nix taugt und wer sich die Arbeitsplätze quasi aussuchen kann und den Preis diktiert.

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    • Vom Inhalt her sollte man den Zeugnissen sicher nicht unkritisch vertrauen.
      Aber einige Anhaltspunkte liefern sie schon.
      Wichtig ist mir auch, dass sie konsistent mit den anderen Unterlagen sind. Da gibt es relativ häufig Diskrepanzen, dass manches einfach nicht zusammenpasst.

      Nur wenn die Zeugnisse gewisse Mindeststandards erfüllen, empfehle ich eine Einladung.
      Einfach auf’s Geradewohl lade ich niemanden ein. Der Aufwand ist so hoch, dass ich das nur bei passend erscheinenden Zeugnissen mache.

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      • Der Maskierte schreibt:

        Ich schau mir den CV an und interessiere mich insbesondere für Referenzprojekte etc. Wenn das interessant aussieht, wird einer meiner Kontakte angespitzt, der in einem der Projekte gearbeitet hat. Und dann weiß ich schon, ob ich mir den Kandidaten näher ansehen möchte oder nicht.

        Zeugnisse vergeuden nur unnötig meine Zeit.

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        • Für dich funktioniert das, weil das Fachgebiet überschaubar ist, und du da viele Leute kennst.
          Dieses Vorgehen ist aber nicht allgemein übertragbar.

          Gefällt 1 Person

          • Der Maskierte schreibt:

            Korrekt. Aber da du inzwischen nicht mehr sagen kannst, wer das Zeugnis geschrieben hat und die qualifizierten Leute inzwischen sich selbst die Zeugnisse schreiben, sind die nichts mehr wert. Mein Glück, dass ich eben anderst den Leuten im Vorfeld auf den Zahn fühlen kann und die Blender so draußen bleiben.

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            • Mach‘ das so, wie du es für richtig hältst.

              Nur wenn das Anschreiben und der Lebenslauf passen, nehme ich mir Zeit für die Zeugnisse. So lange dauert das ja auch nicht – kürzer als deswegen herumzutelefonieren.
              Und ein ordentliches Zeugnis ist bei mir notwendige Voraussetzung für eine Einladung.

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  8. Engywuck schreibt:

    In meinem Bundesland wurde vor einigen Jahren eingeführt, dass auch in manchen höheren Klassenstufen als 2 Teile des Zeugnisses verbal statt in Noten ausgeführt werden müssen. Gleichzeitig war eine entsprechende Klagewelle wie bei Arbeitszeugnissen („‚bearbeitete alle übertragenen Aufgaben korrekt und gewissenhaft‘ ist zu negativ, das entspricht nicht der 2, die mein Kind sonst immer hatte“) zu befürchten. Das Ergebnis: es gab ganz schnell Zeugnisgeneratoren, in die der lehrer einfach dieselben Noten wie sonst auch einträgt und aus denen das Programm dann einen Fließtext verfasst. Aussagegewinn: Null.

    Meines Wissens existieren solche Generatoren (mit „klagefesten“ Nichtsaussagen) auch für Arbeitszeugnisse. Ehrlicher wäre ein Formular mit allen wichtigen Bereichen und Ziffern (oder auch nur +/0/-) als Benotung.
    Derzeit ist der Fließtext doch nur ein viel zu aufgeblähtes Austauschformat, das dazuhin noch viele Fehlermöglichkeiten bietet: der Absender muss seine ehrliche Benotung in etwas verpacken, das der Empfänger möglicherweise komplett anders interpretiert. So eine Art Extreme-Fuzzy-XML. Friedemann Schulz von Thun lässt Grüßen

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