Zwölfhundertneunundzwanzig

Es folgt die Fortsetzung eines früheren Eintrags mit Erinnerungen an meine MINT-Anfänge.
Was bisher geschah:
Anne ist von Kindesbeinen an mathematisch begabt und naturwissenschaftlich interessiert. Nach einer erfolgreichen Schulzeit beginnt sie ein Physikstudium.

Solange man sich noch nicht auskennt, ist das Physikalische Institut schon sehr unübersichtlich und verwinkelt.
Ich erinnere mich, dass ich anfangs durch die Gänge ging – etwas orientierungslos – und männliche Blicke auf mich zog, die ich damals noch nicht gewohnt war (im Femi-Jargon ist das Phänomen als „stare rape“ bekannt).

Im Grundstudium war ein Nachmittag pro Woche für das Grundpraktikum vorgesehen, in dem man einfache Experimente durchführen und auswerten musste.
Während dies in späteren Semestern mit einem festen Praktikumspartner geschah, wechselte der Partner im ersten Semester jedesmal. Dies hatte den Vorteil, dass man jede Woche einen anderen Kommilitonen kennenlernte.
Ausgerechnet bei dem Versuch, der als besonders kompliziert und zeitintensiv galt, war mein vorgesehener Praktikumspartner erkrankt, so dass ich die Messreihen alleine durchführen musste.
Nun, tja .. ich führte die Messungen und Auswertungen in Rekordzeit durch, so dass der Praktikumsbetreuer erst gar nicht glauben wollte, dass ich tatsächlich schon mit allem fertig war.
Ich hatte die Praktikumsanleitung einfach straightforward und ohne Ablenkung durchgezogen. Ich hatte mich mit Hilfe der ausführlichen Anleitung gut vorbereitet, und musste mich mit niemandem auseinandersetzen, Einzelheiten ausdiskutieren, oder festlegen, wer genau was macht.
Mein Zeitrekord sprach sich offenbar herum, und spätestens seitdem wurde ich allgemein als fähig respektiert und anerkannt.

Nach dem Vordiplom fanden die zwei Fortgeschrittenenpraktika jeweils sechswöchig während der vorlesungsfreien Zeit statt. Zur Vorbereitung gab es dazu in der Vorlesungszeit Seminare, in denen jeder Teilnehmer einmal einen Vortrag über ein entsprechendes Thema hielt.
Die Versuche dann dauerten jeweils einen ganzen Tag pro Woche, die man zusammen mit einem festen Partner durchführte. Der Rest der Woche diente der Vor- und Nachbereitung des Versuchs, einschließlich des Erstellen eines Protokolls mit Auswertung, das schon recht umfangreich werden konnte, und auch noch korrigiert wurde.
Die Experimente waren durchaus anspruchsvoll, aber wir waren ja keine Anfänger mehr, und wussten schon, worauf wir achten mussten.
Nur bei einem bestimmten Versuch, da endete bei mir das Verständnis. Es ging wohl um irgendwelche Pumpen, die mit Schläuchen und jeder Menge Ventilen verbunden waren, und die dazu dienten, den eigentlichen Versuchsaufbau mit flüssigem Helium zu kühlen.. Mein Praktikumspartner öffnete und schloss ganz souverän die Ventile, während ich dabei stand, schaute, und mich nur fragte, was das sollte, und bewirken würde. Dieser Versuch verwirrte und überforderte mich.
Als ich mich später mit einigen Kommilitoninnen, die diesen Versuch ebenfalls durchgeführt hatten, darüber unterhielt, gaben sie zu, dass es ihnen genauso ergangen sei. Die männlichen Studenten dagegen schienen mit diesen Ventilen dagegen kein Problem gehabt zu haben.
Leider weiß ich nicht mehr, welchen Zyklusstand ich während dieses Versuches gerade hatte.
Dies war schon eine Art Schlüsselerlebnis für mich, da es mir aufzeigte, wo meine Grenzen lagen.

Über Anne Nühm (breakpoint)

Die Programmierschlampe.
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22 Antworten zu Zwölfhundertneunundzwanzig

  1. ednong schreibt:

    Aha – deine Schwachstelle sind also Pumpen und Ventile 😀
    Ich kann mir das so richtig vorstellen:
    *staunendes breakpt*
    „Was machst du da?“
    „Ich sorge für die Kühlung.“
    „Aha“
    „Und dort, was machst du da?“
    „Ich öffne und schließe die Ventile, damit das Helium durchströmen kann. Für die Kühlung …“
    „Aha.“
    Oder so. Dein Blick muß wahrscheinlich echt köstlich gewesen sein.

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    • Naja, nicht so ganz zutreffend.

      Zwar hatten wir zur Vorbereitung eine schematische Zeichnung, wie all diese Schläuche verbunden waren, und welches Ventil wozu da war. Auf dieser Zeichnung war mir sogar alles klar.
      Aber ein realer Aufbau sieht halt wieder ganz anders aus, und ich hätte schlicht mehr Zeit gebraucht, um mir klar zu machen, welches konkrete Ventil jetzt genau welchen Zweck erfüllte.
      Mit genügend Zeit hätte ich es vermutlich schon geschafft. Aber das war gar nicht nötig, da es meinem Praktikumspartner offenbar nicht schwer fiel, die einzelnen Ventile zuzuordnen, und – schwupp, schwupp – hier aufdrehte, dort zudrehte, so dass nicht mehr geistig folgen konnte.

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  2. Leser schreibt:

    Haha, da muss ich doch glatt daran denken, wie Sheldon sich immer geringschätzend über Ingenieure äußert… 😉

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  3. Molly L. schreibt:

    Oh, sowas kann ich gut! Ich baue generell gerne Dinge zusammen oder auf oder um oder so. 🙂
    Somit wären wir das pefekte Teamn, ich teile nämlich Bauanleitungen nicht gerne, 😉

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  4. Jezek1 schreibt:

    Ja, eine schöne Erfahrung, die jeder einmal machen sollte. Seine eigenen Grenzen aufgezeigt zu bekommen ist wichtig um nicht mit Allmachtfantasien ins Bett zu gehen (und so auch wieder aufzustehen).

    Ich hatte in meinen Maschinenbaustudium nie wirklich Probleme und war zwei Semester früher „fertig“ als von der Prüfungsordnung her vorgesehen und zugleich mit Auszeichnung / drittbester Abschluss in diesem Absolventenjahrgang diplomiert.

    Dann begann ich ein VWL-Studium. Das lief im Prinzip ähnlich easy (nach meinem Verständnis); zum größten Teil nebenberuflich im Fernstudium. Alles im grünen Bereich; ich war wieder mal der GRÖßTE.

    Dann kam aber das denkwürdige Hauptseminar „Makroökonomie II“. Mein Seminarthema hatte es in sich; es ging um einen Aufsatz von Georg Akerlof; „The market of lemons and peaches“. Mir ist dieser Aufsatz heute noch präsent; es handelt sich um ein sehr kurzes Schriftstück zum Versagen vom Märkte, dass es aber aufgrund der vielen Ausnahmen von dem Konzept des „homo oeconomicus“ in sich hatte. Ich hätte fast das Hauptseminar versemmelt; konnte mich nur mit Mühe und Not davon retten; der Prof. war unnachgiebig und bohrte bei jeder meiner Aussage mehrfach nach: Ich schwitzte Blut und Wasser. Hier erlebte ich meine intellektuelle Grenze.

    Aber immerhin; der Basistext war ein wesentlicher Baustein, dass Herr Akerlof später den Nobelpreis gewonnen hatte. Ich denke, da kann man ruhig mal versagen.

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    • Es ist wichtig, einigermaßen zu wissen, was man sich zutrauen kann, und was einen überfordert (wobei das natürlich auch von der Tagesform abhängig sein kann).

      Natürlich belastet es das eigene Ego schon, wenn man etwas nicht schafft, was anderen mehr oder weniger locker gelingt.
      Trotzdem ist die Erfahrung wichtig, weil man dabei lernt, dass auch bei einem Misserfolg die Welt nicht untergeht.

      Und seien wir ehrlich – die meisten Leute würden schon an einem viel früheren Punkt scheitern.

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  5. idgie13 schreibt:

    Pneumatik ist auch nicht so meins (ich fluche heute noch, wenn eine von meinen Industrienähmaschinen unbedingt Druckluft braucht – bekomme es aber schon hin).

    Mechanik und E-Technik und v.a. Regelungstechnik sind dann doch eher meins. Und Mathematik natürlich.

    Nachdem ich recht gut und schnell war, war ich als Partner auch immer beliebt – obwohl ich tiefstes bayerisch im Frankenland geredet hab 😉

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    • Irgendwelche Schwachstellen hat ja jeder.
      Thermodynamik fand ich immer langweilig, und Vakuumtechnik lag mir auch nicht.

      Im Praktikum ging es eigentlich sehr kooperativ zu. Da waren auch Studenten aus anderen Ländern und Regionen integriert.
      Wir hatten auch welche aus (Alt-)Bayern. Sogar aus Hessen oder NRW. Reinstes Multikulti.

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  6. Plietsche Jung schreibt:

    Naja, in jedem Studium gibt es High- und Lowlights. Gut, dass wir alle nicht perfekt sind.

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