Von Kopftüchern, Kartoffelsäcken und Käferjagd //1760

Manchmal poppen Kindheitserinnerungen einfach so aus dem Nichts wieder auf, und manchmal weckt eine Assoziation mit irgendeinem anderen Thema längst vergessen geglaubte Erinnerungen wieder auf. Diesmal muss es ein Zwischenzustand gewesen sein, der mir alte Erlebnisse wieder ins Gedächtnis rief.

Meine Eltern waren mit einem Landwirt befreundet, der ein paar Straßen weiter wohnte und dort Ställe und Scheunen (ja, das gab’s damals noch in meinem Heimatstädtchen) hatte.
Mitte September war Kartoffelerntezeit und meine Mutter betätigte sich (wie mehrere andere Bekannte des Landwirts) als Erntehelferin.
Ich bin mir nicht sicher, ob ich damals schon zur Schule ging (vermutlich eher nicht, sonst wäre ja Unterricht gewesen), aber ich wollte unbedingt mit und meine Mutter dabei begleiten, und schließlich durfte ich das auch (meine Schwester war noch zu klein und blieb wohl bei der Großmutter, die damals noch rüstig und geistig rege war).

Wir fuhren also (entweder direkt auf dem Traktor oder auf dem Anhänger) zusammen mit den anderen Erntehelfern zum Kartoffelacker.
Nachdem der Traktor mit einem anderen Anhänger, der die Erde umwühlte, über den Acker gefahren war, lagen die Kartoffeln oben auf der Erde. Jeweils zwei Erntehelferinnen arbeiten zusammen auf einer Reihe und hatten zwei Körbe. In den einen Korb kamen die großen, schönen Kartoffeln, in den anderen die „Säukartoffel“, die als Schweinefutter vorgesehen waren. Wenn ein Korb voll war, wurde er in einen der Säcke auf dem Anhänger gefüllt.
Ich blieb bei meiner Mutter und hatte wirklich die Absicht, mitzuarbeiten. Aber nach fünf Minuten war mir langweilig, nach spätestens zehn Minuten tat mir der Rücken weh.

Da ich eh keine große Hilfe war, ließ mich meine Mutter spielen. Ich suchte also nach Marienkäfern und Kartoffelkäfern und bug(!)sierte sie in ein kleines transparentes Behältnis aus Plastik, in dem vorher Mint-Dragees gewesen waren. Es müssen wenigstens zwanzig Käfer gewesen sein, die darin krabbelten und wimmelten. Am Ende des Tages ließ ich sie aber alle wieder frei.
Ich legte auch Muster mit kleinen Steinen, und dekorierte sie mit Löwenzahnstielen, Blüten und was sonst so alles auf dem Feld verfügbar und geeignet war.

Es müssen so etwa zehn Erntehelferinnen gewesen sein. Um ihre Haare vor Schmutz und Staub zu schützen, trugen sie alle (ich auch) ein Kopftuch. Aber während ein Kopftuch normalerweise unter dem Kinn geknotet wird, wurden diese am Nacken unter dem Haaransatz zusammengebunden.

Mittags gab es für alle eine Brotzeit. Das hat mir gefallen – eine Art Picknick im Schatten des Traktors. Als irgendwann Feierabend gemacht wurde, fuhren alle wieder zurück. Im Haus des Landwirts gab es dann für die Helfer noch Kaffee, Kuchen und belegte Brote.

Jedes Jahr half meine Mutter zwei oder drei Tage lang bei der Kartoffelernte. Einige Male war ich noch dabei (entweder noch in den Ferien oder nach der Schule), aber meistens nicht.
Statt einer Bezahlung erhielt sie als Gegenleistung IIRC zwei oder drei Zentnersäcke Kartoffel, die abends vorbeigebracht wurden, und die wir im Keller lagerten und nach und nach verbrauchten.
Damals waren die Kartoffelsäcke noch aus richtigem Sackleinen, und nicht wie heute aus einem löchrig-bastartigen Plastikgeflecht.
Wenn ich (an Ostern?) wieder in die alte Heimat komme, will ich meine Eltern fragen, ob sie noch solche alten Säcke haben, und ob ich einen davon bekommen kann.
Wenn das klappt, schneide ich (nach gründlicher Wäsche) mir Löcher für Kopf und Arme hinein, und kann dann endlich einmal ausprobieren, wie ich in einem Kartoffelsack aussehe. Eine Art Gürtel wäre noch sinnvoll. Vielleicht kann ich so einen Sack einfach um einige Zentimeter kürzen und den so entstandenen Streifen als Gürtel nutzen.

Über Anne Nühm (breakpoint)

Die Programmierschlampe.
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20 Antworten zu Von Kopftüchern, Kartoffelsäcken und Käferjagd //1760

  1. idgie13 schreibt:

    Das ist der Unterschied zwischen den eigenen Nachkommen und fremden Kindern. Die eigenen müssen arbeiten – da ist nix mit spielen. Ehrlich gesagt, wär ich auch gar nicht auf die Idee gekommen. Ich hab schon immer gern gearbeitet.

    Ich hatte übrigens immer einen Strohhut auf, um mich vor der Sonne zu schützen.

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    • Mitte September ist bei uns die Sonne nicht mehr so extrem, dass man sich davor schützen müsste. Wenn überhaupt jemals im Jahr.
      Einen Strohhut brauchte ich erst für die Abifahrt nach Rom. Bis dahin erschienen mir solche Kopfbedeckungen als völlig exotisch und außergewöhnlich.

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      • idgie13 schreibt:

        Naja .. wenn man den ganzen Tag draussen ist, hellhäutig und naturblond, ist etwas Sonnenschutz schon nicht blöd.
        Also DIE Art Strohhut war sicher weder exotisch noch aussergewöhnlich.

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        • Sonnenschutz war nie ein Thema. Ich erinnere mich auch nicht, jemals als Kind oder Jugendliche einen Sonnenbrand gehabt zu haben.
          Hellhäutig bin ich auch, und als Kind war ich blond.
          Aber in Bayrisch-Sibieren ist ein dreiviertel Jahr Winter, und ein Vierteljahr kalt.
          Entsprechend ist nie jemand mit Strohhut herumgelaufen. Das kannte ich nur vom Fernsehen. Für mich erschien es also durchaus als etwas besonderes.

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          • idgie13 schreibt:

            Naja – Franken ist halt nicht Bayern … bei uns viel weiter im Süden Bayerns war es im Sommer immer sehr heiss (ist es auch jetzt noch, letztes Jahr z.B.). Ich hatte als Kind sogar mal Hirnhautreizung wegen zu viel Sonne und musste da recht aufpassen. Ich geh auch jetzt im Sommer nur mit Käppi oder Strohhut in den Garten zum Arbeiten und schau, dass ich hauptsächlich im Schatten bin.

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            • Ist auch innerhalb Frankens sehr inhomogen.
              Als ich studiert habe, fiel mir z.B. auf, dass in meiner Studienstadt die Bäume im Frühjahr mindestesn zwei Wochen früher blühten, als daheim.
              In $NichtImSauerland ist es nochmal etwas wärmer.

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  2. blindfoldedwoman schreibt:

    Bei uns waren es Erdbeeren. Kartoffeln hab ich aber auch mal mit aufgelesen und Stroh eingebracht. Kopftücher hat hier niemand getragen, soweit ich mich erinnere.
    Da ich kein bildliches Vorstellungsvermögen habe, weiß ich dafür aber noch genau, wie die Säcke rochen.

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    • Ein paar Erdbeeren hatten wir im Garten.
      Im größeren Stil wachsen die dort aber nicht. Karger Boden, raues Klima.
      Da muss man schon eine günstige Lage (sonnig und windgeschützt) finden und ständig düngen, damit eine halbwegs akzeptable Ausbeute herausspringt.

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  3. Plietsche Jung schreibt:

    Kaffeesäcke sind immer noch aus Leinen. Frag doch mal bei Tchibo an 🙂

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  4. wollesgeraffel schreibt:

    Wie wäre es mit nem Kälberstrick als stilvollen Gürtel. Am schönsten war das Kartoffelfeuer nach der Ernte.

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