Fortuna ist auf einem Auge blind //1952

Vor längerer Zeit hatte einer meiner Mitarbeiter gekündigt, weil er sich selbständig machen wollte.
Jetzt hat er wieder mit mir Kontakt aufgenommen. Sein Geschäft lief nicht ganz so, wie er sich das erhofft hatte. Ein größerer, sicher geglaubter Auftrag war nicht zustande gekommen, bei kleineren Aufträgen klappte es auch nicht besonders, seine Ausgaben hatte er unterschätzt, ..
Kurz – er würde inzwischen die Sicherheit eines Angestelltenverhältnisses wieder sehr schätzen.
Tja – wir haben uns damals nach seinem Weggang anderweitig arrangieren müssen, so dass wir derzeit keinen Bedarf haben. Wäre er wenigstens Experte für die spezielle Technologie, die hinter Evalyze steckt. Aber damit kennt er sich auch nicht aus.
Ich kann ihn nicht aus reiner Menschenfreundlichkeit und Gutmütigkeit wieder einstellen. Schließlich müssen wie hier Profit machen (den wir größtenteils dann wieder reinvestieren und damit bestehende Arbeitsplätze sichern und neue schaffen).
Vielleicht kann ich ihn stundenweise als Externen beschäftigen, sofern es uns nicht zu teuer kommt. Ob ihm das wirklich weiterhilft, weiß ich nicht. Aber auch dafür bräuchte ich erst einmal geeignete Arbeitspakete. Ich habe ihm erklärt, dass ich mir überlegen werde, ob ich passende Aufgaben für ihn finde, ihm aber keine Hoffnungen machen will. Er darf mich aber jederzeit als Referenz nennen und zu diesem Zweck meine Mailadresse weitergeben, wenn er mit anderen interessierten Unternehmen spricht.

Es heißt zwar „jeder ist seines Glückes Schmied“, „dem Tüchtigen gehört die Welt“ oder „fortem fortuna adiuvat“, und an diesen Redensarten ist durchaus einiges dran: Man muss schon selbst anpacken, wenn man etwas erreichen will.
Der Umkehrschluss stimmt allerdings nicht. Oft genug genügen eigene Anstrengungen nicht für den erwünschten Erfolg. Die Realität macht da ganz gerne einen Strich auch durch die ausgeklügeltste Rechnung.
Soweit ich es damals mitbekommen habe, war das Vorhaben dieses früheren Mitarbeiters wohldurchdacht, so dass es nicht an unzureichender Planung lag. Er war ganz bestimmt kein Traumtänzer mit weltfremden Erwartungen.
Ich weiß, dass er fachlich hochkompetent und tüchtig ist, aber für Selbständigkeit sind halt auch noch andere Faktoren wichtig. Was jetzt konkret die Ursache für das Misslingen seines Geschätsmodells war, darüber möchte ich hier nicht spekulieren. Es gibt halt keine Garantie für Erfolg.
Manchmal haben Selbstdarsteller und Blender mehr Erfolg, als sie verdienen, während der solide Fachmann das Nachsehen hat. In unserer Branche halten sich erstere allerdings nicht lange. In bestimmten anderen Berufsfledern dagegen schon.

Meine Selbständigkeit hätte damals auch schiefgehen können.
Ich hatte nebenberuflich begonnen, und meinen Arbeitsplatz erst aufgegeben, als ich mir einigermaßen sicher sein konnte, genügend Aufträge zu bekommen – im Hinterkopf immer Pläne B, C und D, falls das Business scheitern würde.
Sicherlich hatte ich auch Glück dadurch, dass ich nur einen Nischenmarkt bediente, in dem es nur relativ wenig Konkurrenz gab. Über mein Spezialgebiet habe ich oft genug gelästert. Immerhin hatte seine Komplexität, Unüberschaubarkeit und Inkonsistenz den Vorteil, eventuelle Nachahmer abzuschrecken.
So jedoch konnte ich weltweit Kunden gewinnen, und zwar meist ohne mit ihnen persönlich in Kontakt treten zu müssen. Das Beratergeschäft ging dann irgendwann auch. Wenn ich mich in der Thematik auskenne, fühle ich mich in Gesprächen darüber sicher, so dass es eigentlich keine bedeutsamen Probleme in der Kundenkommunikation gab. Smalltalk muss ich da ja nicht halten.

Jetzt bin ich ein wenig vom Thema abgekommen. Wie auch immer – berufliche Selbständigkeit bedeutet zwar eine gewisse Freiheit. Als abhängig Beschäftigter hat man dafür den Vorteil, das Risiko und die Verantwortung an einen Arbeitgeber abgeben zu können, und ein sicheres Einkommen zu beziehen.

Über Anne Nühm (breakpoint)

Die Programmierschlampe.
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13 Antworten zu Fortuna ist auf einem Auge blind //1952

  1. Plietsche Jung schreibt:

    Ich glaube, er würde zu einem äußerst loyalen Mitarbeiter werden, wenn du ihm Möglichkeiten bieten könntest, auch, wenn es aktuell keine Festanstellung sein kann.

    Du kennst ihn, du weißt um seine Stärken und das ist heute viel wert.

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  2. thrillerbraut schreibt:

    Es hat halt immer alles seinen Preis. Man muss sich nur überlegen, welchen Preis man bereit ist zu zahlen.
    Und auch wenn man es gut anfängt und kein Träumer ist, kann die Selbstständigkeit in die Hose gehen. Nicht jeder ist dafür gemacht. Und viele unterschätzen, dass man teilweise einen echt langen Atem braucht, bis es gut läuft.

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  3. keloph schreibt:

    ich hatte auch mal den plan, als IT noch revolverbusiness war und sich erst gestaltete……aber mir war bewusst, dass ich das über die fachlichkeit hinausgehende nicht habe. deswegen hatte ich es gelassen.

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  4. ednong schreibt:

    Was sind denn deiner Meinung nach die weiteren Merkmale, die man für eine (erfolgreiche) Selbstständigkeit benötigt?

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    • Beispielsweise Selbstdisziplin. Man muss sich auch ohne äußeren Druck zur Arbeit motivieren können.

      Sehr wichtig ist auch, Kunden zu gewinnen und zu halten. Damit habe ich selbst zwar gewisse Probleme, aber in meiner Branche komme ich klar. Müsste ich allerdings viel persönlich mit Kunden kommunizieren, würde mir das widerstreben.
      Man muss halt seine Fähigkeiten ins richtige Licht stellen, und den Kunden klarmachen, inwieweit die eigenen Produkte und Dienste nützlich für ihn sind.

      Den ganzen Papierkram, Steuer o.ä., aber auch die eigene Website .. da muss man den Überblick behalten und alles im Griff haben, ohne sich zu verzetteln.
      Das eigene Zeitmanagement und die Organisation sinnvoll und zweckmäßig gestalten können.

      Wenn sich das Geschäft ausweitet – delegieren können, Mitarbeiter motivieren und führen, mit Geschäftspartnern verhandeln, ..

      Ohne Anspruch auf Vollständigkeit. Aber wenn auch nur einer der genannten Merkmale fehlt, dann sind das schlechte Voraussetzungen.
      Und ein Quentchen Glück gehört sicherlich auch dazu.

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