Neunhundertvierundsechzig

Führungskräftemeeting in der Firma. Weitaus das meiste betraf mich nicht direkt oder nur am Rande, so dass ich mehr oder weniger nur schweigend dabei saß.
Dann fuhr der Geschäftsführer fort:
„Das Marketing hat eine Kundenumfrage gemacht, welche zusätzlichen Features und neue Funktionalität bei unseren Geräten gewünscht werden.
Ich möchte nun von der Entwicklung wissen, inwieweit diese Features technisch machbar sind, und gegebenenfalls eine entsprechende Aufwandsabschätzung.
Ulrich und Anne, hier ist die Liste. Ich erwarte von euch eine grobe Aufstellung im Laufe der nächsten Woche.“
Er händigte uns jeweils ein paar zusammengeheftete Seiten aus. Ich wies darauf hin, dass die Zeit recht knapp sei, da ich ja auch noch anderes zu tun hätte, und erlaubte mir, um eine digitale Version zu bitten.
„Ich habe das selbst nur in Papierform. Wende dich an’s Marketing. Die sollen dir die Datei geben.“ Na, da warte ich bis zum Sankt-Nimmerleins-Tag. Andererseits kann sich das Marketing eigentlich keinen Schnitzer mehr leisten. Schauen wir mal, ob die auch kooperativ sein können.
Der Geschäftsführer sprach weiter: „Dann gibt es immer wieder Mitteilungen von Kunden, die bestimmte Probleme mit der Gerätesoftware melden. Ich will, dass du, Anne, dem nachgehst, und veranlasst, dass eventuelle Fehler bereinigt werden.“
So. Es reicht. Nicht genug, dass er mir diese blöde Liste vor die Nase knallt. Nein, er muss mich auch noch vor versammelter Mannschaft, auf die Softwarefehler hinweisen. Dabei habe ich mit denen gar nichts zu tun. Die existierten schon, bevor ich die Softwareentwicklung hier übernommen habe. Ich weiß, dass da eine Reihe Fehler enthalten sind, und bin natürlich bestrebt, im Laufe der Zeit davon wegzukommen, aber ich kann zwar hexen, jedoch nicht zaubern. Er hätte mich wenigstens vorwarnen können.
Mein Schweigen nahm er wohl als Bestätigung, und fuhr mit der Tagesordnung fort.

Natürlich hätte ihm klar sein müssen, dass er bei seiner Heimkunft nicht mit dem üblichen Enthusiasmus zu rechnen braucht.
Sonst gehe ich ihm meist zur Tür entgegen. Diesmal blieb ich arbeitend am Rechner sitzen und würdigte ihn keiner Aufmerksamkeit.
„Anny, ich bin wieder da. Du arbeitest noch?“
„Muss ich ja wohl. Mein Zeitplan ist völlig umgeworfen“, antwortete ich ausführlicher, als ich mir vorgenommen hatte.
„Jetzt ist erst mal Wochenende. Wir wollen doch nachher losfahren.“
„Ich muss hier noch einiges weitermachen.“
„Die Liste mit den Fehlern ist nicht so dringend.“
„Auf einmal?“
„Und die Aufwandsabschätzung für die neuen Features macht doch bestimmt nicht so viel zusätzliche Arbeit.“
„Deine Firma ist nicht der Nabel der Welt. Ich habe auch noch andere Kunden, für die ich Software entwickeln muss. Ganz zu schweigen davon, dass ich mit Benjamin’s Paper auch noch nicht durch bin. Hausarbeit habe ich heute ausfallen lassen. Und meine wichtigste VM spinnt.“
„Stell‘ die Arbeiten für Novosyx erst mal zurück!“ Ehe ich’s mich versah, hatte er die Sleep-Taste meines Rechners gedrückt, und zog mich vom Stuhl auf.
Er zog mich an sich, und versuchte, mich zu küssen. Aber ich drehte meinen Kopf zur Seite.
„Du kannst nicht über meine Zeit disponieren, wie es dir gerade beliebt.“
„Ich weiß, Samtpfötchen“, murmelte er mir ins Ohr, während seine Hände bereits unter meiner Bluse waren.
„Und ich bin nicht verantwortlich für die Fehler in der Gerätesoftware!“, brachte ich mit dem letzten bisschen meines Verstandes heraus.
„Nicht ursächlich verantwortlich, Süße“, raunte er mir zu, dazwischen meinen Hals küssend, und seine Hände effizient einsetzend, „aber dafür, dass sie bereinigt werden.“
Sofort war ich wieder auf dem Boden der Tatsachen, und versuchte, ihn von mir wegzuschieben. „Das kostet aber Zeit, und ich bin eh bestrebt, die Software völlig neu aufzusetzen.“
„Entspann‘ dich wieder, Anny. Du schaffst das schon, und ich gebe dir soviel Zeit, wie du brauchst.“
Seinem festen Griff konnte ich nicht entkommen. Er schob jetzt meinen Rock hoch, und drückte meine Hinterbacken mit einer Hand.
Meine Hände entwickelten ein Eigenleben, und begannen, am Verschluss seiner Hose herumzunesteln (so viel zum freien Willen!).
„Du hättest mir die Fehlerliste auch erst mal unter vier Augen ..“, versuchte ich, beim Thema zu bleiben, aber da stand ich schon mit dem Rücken an der Wand, und er küsste mich diesmal erfolgreich.

Nachdem wir fertig waren, war ich seltsamerweise nicht mehr sauer auf ihn. Er tat auch etwas zerknirscht, und versprach, in Zukunft mich direkt betreffende Themen schon vorher an mich zu kommunizieren.

Über Anne Nühm (breakpoint)

Die Programmierschlampe.
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17 Antworten zu Neunhundertvierundsechzig

  1. aliasnimue schreibt:

    Seufz, deswegen heißt es wohl „das schwache Geschlecht“…

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  2. plietschejung schreibt:

    Tja, das Posing in Führungskräftemeetings ist immer wieder eine Darstellung von Charakteren. Ich finde so ein Bloßstellen schlicht zum Kotzen, weil es undiplomatisch und nicht zielführend ist.

    War die Marketingleitung nicht auch dabei?

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    • breakpoint schreibt:

      Objektiv betrachtet war es kein Bloßstellen, da ja bekannt ist, dass ich die SW-Entwicklung noch nicht lange leite.
      Er sollte halt inzwischen wissen, dass ich zu gewissen Zeiten reizbarer bin. Aber das kommt für ihn jedesmal überraschend.

      Da das Marketing dem Vertrieb unterstellt ist, war nur der Leiter des Vertriebs anwesend (und hat immerhin mitgekriegt, dass ich dieses Dokument will).

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  3. Molly schreibt:

    😀 Geschäftsführer vs Privatmann, ja? Bingespannt, wie das weitergeht … 😉

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  4. ednong schreibt:

    <>

    Dafür wendest du dein letztes Bißchen Verstand auf? Tsts, das würde ich mir aber für andere Dinge aufsparen.

    Und das Marketing druckt die Dinge echt noch aus und reicht das weiter? Wow. Oldschool. Vielleicht sollte man denen mal eine Schulung für Email gönnen – vielleicht kennen die das noch gar nicht …

    As I see it meint das Captcha passend.

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    • breakpoint schreibt:

      Ach, du weißt doch, wie das mit den Käfern ist. Manche sind ganz schön widerspenstig – insbesondere die größeren.

      Über das Marketing hab‘ ich mich schon so oft geärgert…
      Ich hab am Freitag noch eine Mail geschickt, dass ich dieses Dokument brauche. Wenn ich es morgen nicht kriege, dann muss ich wohl zu drastischeren Maßnahmen greifen.

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  5. idgie13 schreibt:

    Naja .. so ist das halt als Führungsperson. Als ich die Chefin von meinem damaligen Freund war, hab ich ihn manches Mal (unbewusst) auch härter als die anderen angepackt – wohl damit niemand auf die Idee kommen könnte, er hätte eine Sonderstellung im Team.

    Mit Übernahme des Teams hast Du aber auch die Verantwortung für alte Fehler übernommen. Das ist ärgerlich, aber nun mal auch nicht zu ändern. Eine neue Regierung muss sich ja auch an die Verträge der vorherigen Regierung halten (auch wenn die Griechen meinen, für sie gelte das nicht – aber das ist ein anderes Thema ;))

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    • breakpoint schreibt:

      Ja, das stimmt schon so, wie du es sagst.
      Grundsätzlich ist mir das auch bewusst.
      Das verhindert jedoch nicht, dass ich mich manchmal im Affekt trotzdem drüber ärgere.
      Er hätte mich schon vorwarnen können.

      Er hat mir zwar zugestanden, ich könne mir mehr Zeit für die Aufwandsabschätzung nehmen. Trotzdem seh ich doof aus, wenn ich bis Freitag Donnerstag nichts vorzuweisen hab.
      Dabei ist das eigentlich nicht zu schaffen, denn kaum einer der Punkte bezieht sich rein auf die Software.
      D.h. ich muss erst die Ergebnisse von Ulrich abwarten, bevor ich selbst etwas belastbares dazu sagen kann.

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  6. engywuck schreibt:

    „Die sollen dir die Datei geben.“

    Oder man wendet sich an den allessehenden Admin (notfalls über Backups) und blättert mal beim Marketing die neueren Dateien durch. Dürfte schneller sein.
    Je nach dem, was man sonst so findet, kann ja auch mal ein unangekündigtes Audit der (natürlich zufällig ausgewählten ;-)) Abteilungen stattfinden, ob diese sich an „keine Privatdateien auf dem Firmenrechner“ halten (oder was einem sonst so einfällt).

    Natürlich nur, wenn man eskalieren will 🙂

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    • breakpoint schreibt:

      Das war zum Glück nicht nötig. Ich habe die Datei gestern nachmittag erhalten.
      Beschleunigend hat sicherlich gewirkt, dass ich den Vertriebsleiter auf CC gesetzt hatte (und zur Absicherung den GF auf BCC).

      Die Datei händisch (zu) suchen (zu lassen) wäre wohl übertrieben gewesen. Notfalls hätte ich mir die Papiere auch einscannen können und OCR-SW drüberlaufen lassen.

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