Mal wieder Rückblick auf meine Kindheit.
[Nachdem ich den Text noch mal durchgelesen habe, scheint mir, dass man ihn teilweise missverstehen oder Vorwürfe an meine Eltern herauslesen könnte. Aber dem ist nicht so. Meine Eltern sind einfache Leute. Die wussten es nicht besser. Und ich damals wohl auch nicht. Für die Finanzierung meines Studiums werde ich meinen Eltern immer dankbar sein. Aber das ist nicht das Thema des heutigen Posts.]
Erst im Laufe der Jahre danach stellte sich bei mir allmählich der Verdacht ein, dass ich dort, wo ich aufgewachsen bin, weit hinter meinen Möglichkeiten zurückgeblieben bin. In einem anregenderen, aufgeschlosseneren, intellektuell anspruchsvolleren Umfeld hätte es viel mehr Chancen für mich gegeben. So haben mich meine Eltern praktisch überhaupt nicht gefördert.
OK – mein Vater hat viel Kopfrechnen mit mir geübt. Das rechne ich ihm hoch an. Aber das war schon so ziemlich alles, was über das ganz übliche Ausmaß der Erziehung, Aufzucht und Pflege von Kindern hinausging (was ich keinesfalls geringschätze!).
Meine Mutter hat einige Zeit (IMHO unnötigerweise) darauf verwendet, im ersten Schuljahr mit mir Schreiben zu üben. Ich habe da wohl (immer noch) eine eigenartige Weise, den Stift zu halten. Das machte meine Mutter fast wahnsinnig. Aber es beeinträchtigt mich nicht. Ich kann leserlich schreiben. Ich kann schnell schreiben. Ich kann ausdauernd schreiben. Und das alles gleichzeitig. Was ich nicht gut kann, ist schön schreiben. Aber da erschien mir wohl schon damals der Aufwand im Vergleich zum Nutzen zu groß, um mich deswegen anzustrengen. Es reicht, wenn man die Schrift nach einiger Zeit immer noch lesen kann (das gilt später auch für die ganzen mathematischen Formeln mit griechischem Index oben, lateinischem Index unten, oder wie auch immer – habe da spätestens im Studium einige Schreibmarathons hingelegt).
In den höheren Schuljahren brauchte ich dann keine Unterstützung mehr von meinen Eltern. Sie hätten mir eh nicht helfen können.
Es gab kein Internet, in dem ich mich hätte informieren oder mit Ähnlichgesinnten vernetzen können. Es gab keine große Bibliothek, sondern lediglich unsere Stadtbücherei (die inzwischen in einen abgelegenen Stadtteil ausgelagert wurde). Die Bücherei hatte einmal in der Woche geöffnet. Ich ließ kaum eine Woche aus, um einen Stapel gelesener Bücher abzugeben, und einen anderen Stapel auszuleihen. Die Öffnungszeiten der Bücherei waren mein Lichtblick in der ganzen Woche.
Mindestens die Hälfte der verfügbaren Bücher waren Kinderbücher. So habe ich so ziemlich alles von Astrid Lindgren und Enid Blyton gelesen. Dann ein großer Teil Romane und Belletristik für Erwachsene, darunter zum Glück auch Jules Verne. Vieles davon (sofern jugendfrei – einige Bücher hielten die Bibliothekarinnen für mich nicht geeignet) habe ich gelesen. Einige Genres (wie Krimis oder Kriegsgeschichten) gefielen mir nicht. Die ließ ich aus.
Ein kleiner Rest waren Sachbücher, und davon wieder nur ein kleinerer Teil Bücher, die sich mit Naturwissenschaft und Technik befassten – auf populärwissenschaftliche Art. Die habe ich alle ausgeliehen. Mehrfach. Es waren auch Enzyklopädien dabei, in denen ich gerne schmökerte, und immer wieder etwas Neues entdeckte.
Wie auch immer – das Angebot war äußerst begrenzt. Dass es die Möglichkeit einer Fernleihe gegeben hätte, bezweifle ich. Ich wusste damals gar nicht, dass es so etwas gibt, und die beiden ehrenamtlichen Bibliothekarinnen wären wohl auch damit überfordert gewesen.
Wenn es in der Kreisstadt einmal eine Veranstaltung oder einen schulischen Wahlkurs gegeben hat, der mich interessiert hätte, so scheiterte meine Teilnahme an den fehlenden öffentlichen Verkehrsmitteln.
Ich war ruhig, brav, zurückhaltend, machte keinen Ärger, fiel nicht auf. Irgendwie passte ich trotzdem nicht zu meinem Umfeld. Was den anderen wichtig war, war mir gleichgültig. Themen, die mich faszinieren konnten, trafen dagegen in meinem Umfeld auf kein nennenswertes Interesse. Ich gehörte nicht wirklich dazu.
Mal ganz davon abgesehen, dass die Bezeichnung „Nerd“ damals, wenn nicht noch unbekannt, zumindest aber ungebräuchlich war – weit und breit kannte ich niemanden, der auch nur im entferntesten so drauf gewesen wäre wie ich (am ehesten noch Mr. Spock im Fernsehen). Ich will nicht behaupten, dass ich darunter litt. Es war halt so, wie es war. Damit hatte ich mich arrangiert, und auf irgendwelche gesellige Runden mit anderen Menschen hatte ich eh keine Lust. Ich war gerne für mich allein und ungestört.
Das wirkliche Bewusstsein, so ganz „anders“ zu sein, kam erst im Rückblick.
Ein bisschen erinnert mich Young Sheldon an meine Kindheit. Sheldon ist auch in einem religiös indoktrinierenden Umfeld aufgewachsen. Aber er hatte einen Computer, konnte Bücher beziehen und hörte Vorlesungen an einer Universität. Um all das beneide ich ihn.
Es hat ja keinen Sinn, mit dem Schicksal zu hadern, und zu spekulieren, was gewesen wäre, wenn … Mein Leben wäre bestimmt anders verlaufen, aber insgesamt höchstwahrscheinlich nicht besser. Ich wäre jetzt nicht da, wo ich bin. Dabei bin ich doch eigentlich ganz zufrieden mit meinem Leben, so wie es jetzt ist.
Hat man in der Schule nicht dein Talent entdeckt? Oder ging man drüber weg, weil du ein „Mädchen“ warst?
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In meiner Grundschule hatte meine Lehrerin meine Eltern gewarnt, mich auf’s Gymnasium zu schicken, weil sie mir nicht genug „Ellbogen“ zutraute.
Im Gymnasium zogen die meisten Lehrer nur ihren Lehrplan durch, und wollten einen möglichst glatten, störungsfreien Unterricht halten. Dienst nach Vorschrift halt, und sich möglichst keine zusätzlichen Aufgaben auferlegen.
Wenn es einzelne Ausnahmen gab, so hat sich aus verschiedenen Gründen halt doch nichts ergeben. Mit „Mädchen“ hatte das aber bestimmt nichts zu tun.
An Schülerwettbewerben wie „Jugend forscht“ oder ähnlichem beteiligte sich die Schule meines Wissens nicht. Ein einziges Mal habe ich Infoblätter für einen Mathematikwettbewerb ausliegen sehen. Da war das Anmeldedatum aber bereits überschritten.
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Schade, das macht mich immer traurig, weil es so gar nicht laufen sollte. Zumindest ist das Klischee „Mädchen haben kein Verständnis für Naturwissenschaft“ nicht bedient wurden.
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Naja, letztendlich ist ja alles gut ausgegangen. 😀
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Klar und das ist auch gut so 😉
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Und was wäre, wenn es damals einen Girls Day gegeben hätte, wo Du Dich in einem MINT-Unternehmen hättest über eine mögliche zukünftige Arbeit in diesem Umfeld informieren können? Das wäre ziemlich toll gewesen. Wenn Dich Deine Eltern gelassen hätten…
Aber klar, dieser klassische Rollentausch macht das Rollendenken, was ja trotzdem immer noch dahinter steht, in keiner Weise besser…
Ich spiele halt nur manchmal gerne den Advocatus Diaboli 😉
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Das ist jetzt reine Spekulation, und geht ja auch nur um einen einzigen Tag in einem Unternehmen.
Während der Kollegstufe war ich mal bei einer Informationsveranstaltung eines Unternehmens. War interessant, hat mir aber darüber hinaus nichts gebracht, da mein Berufswunsch zu diesem Zeitpunkt bereits feststand.
Meine Nichte, die ja das gleiche Gynasium besucht wie ich damals, hat bisher an noch keinem Girls‘ Day teilgenommen. Zum einen gibt es in der Gegend nur sehr wenige Plätze, zum anderen fehlt wohl auch das Interesse.
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Wenn das Interesse fehlt, ist das doch völlig OK. Wer als Junge kein Interesse hat, Erzieher in einem Kindergarten zu werden, für den ist es doch auch OK, nicht an einem „Boys Day“ teilzunehmen.
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Klar. Habe ich ja auch schon so oft thematisiert ..
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Da hast Du Glück. Ich hatte seit dem Alter von 12 Jahren einen eigenen PC, später dann auch mit DFÜ (ISDN, weil mein Vater in dem Umfeld tätig war) und Internet. Aber zugleich habe ich extrem darunter gelitten, damals immer in der Außenseiterrolle festgesteckt gewesen zu sein. Noch heute stolpere ich da über Dinge, die ich aufarbeiten darf, um ein „besserer“ Mensch zu werden (im Sinne von besser durchs Leben zu kommen, nicht unbedingt erfolgreicher auf der Karriere-Ebene, aber insgesamt halt zufriedener usw).
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Inwiefern hatte ich „Glück“, wenn ich in meiner Jugend weder auf Computer noch auf Telefon zugreifen konnte?
Außenseiter war ich sowieso (fand ich eigentlich auch völlig OK).
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Das „Glück haben“ bezog ich darauf, nicht unter dem Außenseitersein gelitten zu haben. War etwas unglücklich formuliert. Nein, für mich war es nicht OK, und ich ertappe mich bei Gruppendynamiken auch immer wieder dabei, wie ich in die Rolle des „Omega“ gerate. Deshalb nehme ich an Dingen, die so etwas involvieren, nicht teil.
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Ach so.
Ich habe eigentlich nie Wert auf Geselligkeit gelegt. Konnte meine Mutter auch nicht verstehen.
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Geselligkeit war es nicht. Eher das Fehlen von Ablehnung wäre wünschenswert gewesen… 😉
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Das tut mir leid für dich.
Mein Außenseitertum war – zumindest teilweise – selbst gewählt.
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Früher war das einfach so. Jedenfalls wenn man aus einem nicht akademischen Haushalt kam. Wir haben zwar auch Auslandsreisen gemacht, aber auch da hatte ich wohl meist ein Buch vor der Nase.
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Es war wohl so. Ja.
Habe halt einige Gedanken dazu mal wieder heruntergeschrieben.
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Hätte, hätte, Fahrradkette …
Was soll’s ?! Du bist zufrieden, hast viel erreicht und haderst wenig.
Das Leben hat für jeden eine Aufgabe und das eine oder andere Ziel. Mach dein Ding, lebe deine Leben und die Welt kann dich mal gern haben.
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C’est la vie. Ja, so isses halt. Und es ist gut so.
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