Dreihunderteinundsechzig

„Ich wollte dich eigentlich nicht gleich wieder damit überfallen“, sagte Carsten zu mir, „aber nächste Woche ist wieder die Preisverleihung, und ich möchte dich bitten, mich zu begleiten.“
„Ist in Ordnung. Ich komme gerne mit“, antwortete ich ohne mich im geringsten zu zieren (mit der CeBIT wird es ja leider ohnehin nichts).

„Da wäre nur noch etwas“, fuhr er mit scheinbarer Verlegenheit fort, „nicht, dass ich dir etwas in deine Garderobe hineinreden will, aber hast du ein angemessenes Kleid?“
Wir hatten vereinbart, dass er sich aus Kleidungsfragen völlig heraushält. Ich sah jedoch großmütig darüber hinweg.
„Das silberne Kleid zum Beispiel, das ich letztes Jahr dort anhatte.“
„Also doch silbern. Letztes Jahr nanntest du es noch grau“, grinste er, „aber du solltest nicht dasselbe nochmal auf der gleichen Veranstaltung tragen.“
„Hm. Das Kleid, das ich bei der Hochzeit anhatte, ist eher was für den Sommer. Dann hätte ich noch ein weinrotes Kleid zu bieten, aber so richtig festlich ist das nicht. Das kleine Schwarze ist wohl zu kurz für deine Vorstellungen, beim pfirsichfarbenen ist der Volant eingerissen und ..“
„Ich würde dir ja gerne ein neues Kleid kaufen. Aber vermutlich verstoße ich damit gegen unsere Vereinbarungen.“
„Allerdings. Ich kann mir auch durchaus selbst ein neues leisten.“
„Oh, eines sicher. Aber du wirst sicher öfters mal deine Garderobe erweitern müssen, um bei verschiedenen Anlässen zu repräsentieren. Wenn es nicht unseren Vereinbarungen zuwiderlaufen würde, würde ich dir ja vorschlagen, das zu finanzieren oder dir zumindest einen Zuschuss zu geben, aber so wirst du wohl alleine auf den Kosten sitzenbleiben müssen.“

„Du kommst dir wohl sehr raffiniert vor!“ entrüstete ich mich.
„Oh nein, nicht halb so raffiniert wie du. Vielleicht habe ich auch einiges von dir gelernt.
Oder ich buche dich als meinen Escort-Service und du finanziert deine Garderobe von deinem Honorar.“
„Du kannst ja mal abklären, was das Finanzamt von deinem Vorschlag hält“, meinte ich leichthin.
„Das heißt, grundsätzlich wärst du damit einverstanden?“, hakte er sofort nach.
„Als nächstes schlägst du mir dann wohl vor, das ganze am Finanzamt vorbei abzuwickeln?“, fragte ich spöttisch.
„Du liest in mir wie in einem Buch. Denn eigentlich bezweifle ich, dass du ein Abendkleid als Berufsbekleidung absetzen kannst.“
„Deine Chancen, den Escort-Service als Betriebskosten laufen zu lassen, sind auch nicht besser.“
„Dann wäre es wirklich vernünftiger, das ganze privat unter uns zu regeln.“

„Ziehst du deine anderen Geschäftspartner auch so über den Tisch?“, fragte ich, halb amüsiert, halb ärgerlich, weil er im Begriff war, sich ein Hintertürchen zu suchen.
„Ich bemühe mich. Nur hat sonst die Geld-Divergenz ein entgegengesetztes Vorzeichen.“
„Also gut“, gab ich nach, weil ich mir ja vorgenommen hatte, Geldangelegenheiten lockerer zu sehen, „dies eine Mal werde ich dir gestatten, das Kleid zu bezahlen. Aber nur, weil du so lieb gefragt hast. Und nur unter der Voraussetzung, dass du dich nicht in die Auswahl einmischt. Und außerdem darfst du das keinesfalls irgendwann als Präzedenzfall verwenden.“
„So sei es!“, bestätigte er erleichtert.

Über Anne Nühm (breakpoint)

Die Programmierschlampe.
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11 Antworten zu Dreihunderteinundsechzig

  1. Betriebswirt ZRH schreibt:

    ..ich (oder besser gesagt wir, denn ich bin sicher die anderen Blogleser wollen es auch) bitte die Lady aber nun, ein Bild des Kleides online zu stellen..
    Wenn man(n) so lange bittet, um es zu bezahlen :-)..

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    • breakpoint schreibt:

      Mal schauen. Ich überleg es mir.

      Erst muss ich das Kleid ja haben.
      Da ich sowas nicht online bestelle (wg. der Passform muss ich es anprobieren), komme ich erst Mitte nächster Woche dazu, es einzukaufen. Das wird knapp (die Zeit, nicht unbedingt das Kleid).

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  2. gelschter User schreibt:

    Und was für ein Kleid wurde es und hielt er sich an die Präzedenzfallabmachung? 😉

    LG,
    Ben

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  3. ednong schreibt:

    Hehe,
    man könnte eher meinen, du bist leicht verärgert, weil er überhaupt ein HIntertürchen gesucht und dann auch noch gefunden hat. Aber ist glaub ich eine beliebte Masche, alle (natürlich für den anderen negativen) Möglichkeiten aufzuzählen, um die eigene (der Finanzierung) gut dastehen zu lassen. Und Recht hat er ja 😉

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    • breakpoint schreibt:

      Nein, ich bin überhaupt nicht verärgert.

      Wir haben das konstruktiv diskutiert. Er hatte gute Argumente.
      Warum sollte ich dann stur auf meinem Standpunkt beharren?

      „Kompromißbereit sein. Kommunikativ sein.“ hast du erst kürzlich hier kommentiert.
      Wie du siehst, läuft das doch ganz gut. 😀

      @Alle
      Schönes Wochenende!

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      • ednong schreibt:

        Ja,
        verärgert hätte ich wahrscheinlich anführen sollen. Und jetzt werde ich schon mit eigenen Waffen geschlagen? Ey! 😉

        Also ich würde ja sagen, ein Bild von einem Kleid ist nur sinnvoll mit der Trägerin des Kleides. Nur so kann man sich ein korrektes Bild vom Kleid machen. Also denk ich so. Wobei, ein Bild der Trägerin ohne Kleid hätte sicher auch einen hübschen Effekt …

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  4. baerlinerin schreibt:

    Hmhhh. Also ich wünsche dir alles Glück der Welt, keine Frage. Und auf der Verleihung das Überstrahlen aller mit einem Lächeln, das nur Verliebte auf den Lippen tragen. Und ja, mit einem hübschen Kleid, das ihn noch wilder auf dich macht… 😉 Nur frage ich mich, wenn Abendessen und Veranstaltungen beruflichen Grundes öfter mit ihm vorkommen werden, warum du dir die „Arbeitskleidung“ (Verzeihung 😉 ) nicht doch von ihm bezahlen lässt. Toi, toi, toi und nochmal: Ich liebe dein Tagebuch! ❤

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    • breakpoint schreibt:

      Danke!
      Aber ich werde mich auf der Preisverleihung eher unauffälllig benehmen. Tja – wenn ich selbst einen Preis gewonnen hätte .. ;D

      Diesmal haben wir uns ja auf Kostenerstattung geeinigt. In Zukunft werden wir das wohl von Fall zu Fall entscheiden.
      Vielleicht ziehe ich die „Arbeitskleidung“ ja auch mal zu ganz anderen Anlässen an.

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