Digital Na(t)ive //2857

Von dem bisschen Informatikunterricht in der Kollegstufe mal abgesehen, hatte ich erst im Studium mit Computern zu tun. Damals gab es noch nicht wirklich ein Internet (d.h. es gab es schon, war aber noch kaum verbreitet, und überhaupt nicht mit dem zu vergleichen, was wir heute kennen und uns seither selbstverständlich geworden ist).
Johannes wächst dagegen mit Computern auf. Für ihn ist es ganz normal, dass seine Mutter viele Stunden am Tag am Computer sitzt. Entsprechend will er das ebenfalls nachahmen. Die Mouse kann er schon sehr geschickt und routiniert bedienen, als hätte er nie etwas anderes gemacht. Ich habe ihm auf einem Rechner einen Account eingerichtet, auf dem ich ihn gelegentlich spielen lasse. Da gibt es alte DOS-Spiele wie Nyet oder Blockout, die ich für durchaus geeignet und förderlich für ihn halte. Aus der Zeit, in der seine Halbschwestern klein waren, hat Carsten auch noch etliche altersgerechte Spiele auf CD.
Natürlich möchte Johannes gerne einen eigenen Computer. Ich habe ihm versprochen, dass er einen bekommt, sobald er sich selbständig auf seinem Account einloggen kann (auch wenn das Passwort nur wenige Zeichen hat).

Johannes wird auch zur ersten Generation gehören, für die der Einsatz künstlicher Intelligenz selbstverständlich sein wird. [Meinereiner kannte das ja nur vom Bordcomputer auf der Enterprise.] Noch stehen wir bei der Entwicklung ziemlich am Anfang, aber bereits die aktuellen Fähigkeiten sollten die Menschheit Demut lehren. Ein künstliches neurales Netzwerk kann mittlerweile in vielen Fertigkeiten leicht mit einem (ungeübten) menschlichen Gehirn mithalten, oder es sogar übertreffen.
Bereits jetzt besteht so ein Chatbot (im Gegensatz zu Eliza) den Turingtest besser als so mancher Mensch. Intellektuell mögen künstliche Intelligenzen noch kaum über das Niveau eines schwafelnden Politikers hinaus sein, aber es ist abzusehen, dass es in den nächsten Jahren noch große Fortschritte geben wird. Was bereits möglich ist, ist äußerst beeindruckend, da wird kaum noch ein Mensch mitkommen, zumindest nicht für Routinetätigkeiten.
Ich sehe die Gefahr weniger in der Attitüde eines HAL (obwohl wir sicherheitshalber schon aufpassen sollten, welche Schnittstellen wir die KI kontrollieren lassen), sondern darin, dass die Menschheit das Denken verlernen wird.
Und wollen wir wirklich eine KI für uns denken lassen, die eventuell durch selektive, einseitige Trainingsdaten ideologisch voreingenommen ist? Wollen wir ihr alle unsere persönlichen Daten überlassen, und uns völlig abhängig machen?
Wer garantiert uns, dass die Ergebnisse der KI nicht für manipulative Zwecke eingesetzt werden? Graphiken, ganze Filme können überzeugend realistisch erscheinen, aber tatsächlich nur Deepfakes, also täuschend echt wirkende Fälschungen sein.
Unter der Annahme, dass die KI durch die Interaktion mit dem Nutzer dazulernt und sich weiterentwickelt, empfiehlt es sich, stets freundlich und respektvoll mit ihr zu kommunizieren.

Es ist nun mal viel einfacher und bequemer, Aufgaben vom Computer erledigen zu lassen, als es selbst zu tun. Bisher ging das nur mit recht einfachen Aufgaben. Bei komplexeren mussten dagegen die Entwickler umso mehr Hirnschmalz hineinstecken.
Zunehmend kann jetzt die KI auch umfangreiche Aufgaben übernehmen, die man ihr vor ein paar Jahren noch nicht zugetraut hätte.
Wer löst beispielsweise noch selbst ein Gleichungssystem, wenn die KI das viel schneller und zuverlässiger macht? Wer schreibt noch selbst einen Bericht, wenn das nur eine Aufforderung an die KI kostet und das Ergebnis besser, als man es selbst geschafft hätte – zumindest flüssig formuliert und orthographisch fehlerfrei. Welcher Schüler macht noch selbst seine Hausaufgaben, wenn der Aufwand, die KI zu bedienen gegen 0 geht?
Dabei sind Hausaufgaben wichtig, um Standardfertigkeiten einzuüben. Nur durch Praxis erwirbt man Fähigkeiten, die dann hoffentlich auch dauerhaft angewandt werden können.
Wenn ich den Computer umfangreiche Berechnungen machen lasse, weiß ich im Grunde genommen, wie’s geht. Im Prinzip könnte ich es selbst rechnen, wobei der Zeitaufwand zur Auswertung tausender Funktionen und Operationen halt immens groß wäre, und ich mich mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit irgendwo verrechnen würde, und folglich das Gesamtergebnis hinfällig wäre. Deshalb ist es gut, dass solche Aufgaben, die sich leicht automatisieren lassen, vom Computer viel schneller und zuverlässiger erledigt werden können. Eine KI geht aber deutlich weiter. Trotz aller sich bietenden Chancen dürfen wir die Risiken nicht ausblenden.
Viele Sachen sollte man erst einmal selbst hinreichend beherrschen, bevor man einen Computer dafür benutzt. Um überhaupt beurteilen zu können, ob eine Ausgabe der KI richtig, oder wenigstens plausibel ist, muss man zuerst einmal selbst den Lösungsweg kennen und entsprechende Erfahrungen gesammelt haben. Die KI könnte euch ja sonst irgendeinen Schmarren erzählen, und ihr merkt’s nicht mal.

Klar kann man die Auffassung vertreten, dass die KI ja sowieso da ist. Warum sollte man sich selbst mit unangenehmen Tätigkeiten herumquälen, wenn die KI das doch ohnehin mindestens genauso gut kann?
Das kann aber nach hinten losgehen, wenn wir mal z.B. Stromausfall haben, oder der Netzzugriff auf die KI-Cloud ausfällt. Wenn der länger anhält, und inzwischen alle Menschen verlernt haben, wie’s geht, haben wir ein Problem, das System überhaupt jemals wieder in Gang zu kriegen. Der Rest ist nur noch „cogito ergo dumm“.

Ich für meinen Teil möchte mir wenigstens noch ein Quäntchen Können behalten, in dem ich unbestritten besser bin als die KI.

Über Anne Nühm (breakpoint)

Die Programmierschlampe.
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17 Antworten zu Digital Na(t)ive //2857

  1. pirx1 schreibt:

    Der wesentliche Gefahrenpunkt wird m.E. weniger sein, dass „künstliche Intelligenz“ unserer natürlichen Intelligenz überlegen ist. Das ist sie in Teilbereichen heute schon (wobei das an beiden Seiten liegt: zunehmende Verbesserung der Fähigkeiten von AI vs. leider viel zu oft weniger als mediokrer natürlicher Intelligenz oder deren Residuen, was übrigens heute niemanden davon abhält, sich mit einem „Einserabitur“ zu brüsten, obwohl das mittlerweile wie Kamellen unter das Volk geworfen wird. Dunning-Kruger at its best.).

    Die wesentliche Gefahr ist eher eine erkenntnistheoretische und gesellschaftspolitische: Aus unserer Erfahrung als Kinder der Akustikkoppler, Gopher- und Mosaic-Generation denken WIR immer noch viel zu häufig, dass alles, was mit Computern zu tun hätte automatisch objektiv wäre.

    Wenn Politiker (die Krone der Halbinformation) jetzt allerorten nach „Digitalisierung“ schreien, als wäre das allein schon das I-Ging, die Lösung für jedes Problem, dann weil sie (schon wieder) nicht verstehen, dass jeder Computer nur so gut ist, wie der potenzielle menschliche (oder in Zukunft womöglich sogar technische) Manipulator, der ihn bedient, programmiert, trainiert, für seine Zwecke ge- und missbrauchen kann.

    Die neuen Digital-Natives werden hoffentlich vor allem mit einer gesunden Skepsis und Kritikfähigkeit in Bezug auf technische Hilfsmitteln und deren Pitfalls aufwachsen, wie wir sie leider viel zu häufig nicht haben. Das ist die eigentliche Herausforderung.

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  2. keloph schreibt:

    du sprichst die aus meiner sicht 2 kernfragen der ki an. erstens die der ethik. ist das, was ki produziert frei von un-ethischen verhaltensweisen? und zweitens die frage, was der einsatz von ki für die lernenden generationen, insbesondere die kinder bedeutet. die schulen/unis haben ja bereits den ersten schub der digitalisierung m. e. verpasst. den übergang von wissen bimsen zu mit jederzeit vorhandenem wissen angemessen umzugehen. um wieviel grösser ist die herausforderung jetzt, da vermeintlich ki-bots das denken scheinbar übernehmen können? der mangel an kompetenz und geschwindigkeit damit umzugehen wird die nächste generation unreflektierter menschen produzieren. so jedenfalls fürchte ich.

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  3. Plietsche Jung schreibt:

    Die Menschheit an der Schwelle der kompletten Unfähigkeit. Wann bekommt eine KI den ersten Nobelpreis, wann erstellt sie die ersten gerichtlichen Gutachten? Die KI wird zur Referenz des täglichen Lebens und niemand wird sehen, wie es entstanden ist und wer der Initiator mit welcher Motivation und Ideologie war und ist.
    Was ist Schule dann noch wert? Ein Studium? Das Handwerk hat noch Chancen, solange es keine Roboter gibt, die diese Arbeiten übernehmen können.
    Der Mensch läuft in sein nächstes Schicksal und verdrängt die Risiken. Skynet ist nicht mehr weit und HAL war auch zu mächtig.

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    • Wenn wir nicht aufpassen, dann lassen wir uns schleichend – und gerne – von den Computern entmündigen.
      Irgendwann sind wir dann nur noch die Eloi in einer Idiocracy.

      Auch die Arbeit von Handwerkern ist stark vom Einsatz von Computern geprägt. Möbelschreiner z.B. entwerfen ihre Möbelstücke mit einer Software. Die rechnet dann genau aus, wie groß die Bretter und andere Teile sein müssen. Die Daten gehen an die CNC, die die Maschinen zum Sägen, Fräsen, Hobeln, Feilen, und was weiß ich, steuert.
      Für die Beschaffung, Lagerung, Logistik, etc. ist wieder andere Software zuständig.

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      • pirx1 schreibt:

        Wenn’s schlecht für uns läuft, dann zeigt uns die Evolution am Ende gar, wie unnütz Menschen sind?

        Eine Maschine braucht keine überbordend große, CNC gefräste Küche für 100.000 EUR, in der nachher niemand kocht, der reicht ein Kännchen Öl.

        Und zum Schluss war das, was wir so menschlich finden, womit wir uns brüsten, was uns so in unseren Augen so unersetzlich macht, die Kunst, die Kreativität, doch nur ein eitler Federschmuck, der im simplen Überlebenskampf nichts zählt?

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        • Es gibt jede Menge Kreativitätstechniken, von denen zumindest einige geeignet sind, von einer künstlichen Intelligenz angewandt zu werden.
          Und selbst, wenn nur alle paar tausend Versuche (oder sogar noch seltener) etwas Vernünftiges dabei heraus kommt, wird dies dennoch die Entwicklung vorantreiben.

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          • pirx1 schreibt:

            Aber wer entscheidet denn über „vernünftig“ oder „unvernünftig“? Menschliche Maßstäbe – oder am Ende auch eine AI?

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            • „Vernünftig“ war nicht der beste Begriff. Es geht eher um Nützlichkeit oder sonstige vorteilhafte Ergebnisse.
              Die Kriterien dafür werden von der KI zumindest überprüft, und wohl früher oder später auch selbst formuliert und festgelegt werden. Ich glaube, dass dieser Trend bereits jetzt kaum noch zu stoppen wäre.

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      • Plietsche Jung schreibt:

        Aber ein Badezimmer, eine Heizung oder eine EBK muss dann doch der Handwerker machen.
        Es ist immer gut, eine Software zu hinterfragen. Sinn, Zweck, Abhängigkeit und ganz aktuell, die nötige Stromversorgung 🙂

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