Dress for Success //1995

Mein neues Kleid ist ein Meisterwerk meiner Schneiderin. Mit elastischem Stoff lässt sich ja oft einiges ausgleichen, aber dieser Stoff ist ganz glatt und nicht dehnbar. Der Schnitt ist schlicht, ohne irgendwelchen Schnörksel oder Rüschen. In Anbetracht der Jahreszeit hat es lange Ärmel, nur einen minimalen Ausschnitt, und ist kniebedeckend, hat aber einen großzügigen Gehschlitz. Das Kleid ist völlig auf Figur gearbeitet und passt mir perfekt. Wenn ich irgendwo zunehme, wird es dort spannen. Wenn ich abnehme, wird es dort Falten werfen. Vermutlich werde ich nicht so bald dazu kommen, es wieder zu tragen. Falls es mir dann nicht mehr passt, habe ich zumindest eine Referenz, dass mir dieses Kleid einmal ideal gepasst hat.
So etwas kriegt man halt nicht als Konfektion. Die ist normalerweise optimiert für Frauen mit Durchschnittsfigur, also größerer WHR und kleinerer Körpergröße. Selbst wenn es mir egal ist, dass ein Kleid bei mir kürzer ist, als vorgesehen, so sind dort die Taillierung und die Brustabnäher viel zu hoch (nämlich die schmalste Stelle in Rippenhöhe und der Brustmeridian auf Achselhöhe). Oftmals sind mir die Ärmel trotzdem zu lang. Ich habe halt keine Standardstatur.
Aber dieses Kleid bringt meine Figur perfekt zur Geltung, und wirkt trotzdem seriös und sogar damenhaft.
Für die Freizeit reicht mir jedoch Konfektion. Da kommt es nicht so darauf an, solange es bequem ist. Im Gegenteil – ich halte die Augen immer offen für günstige Schnäppchen.
Aber beruflich, und insbesondere für außergewöhnliche Anlässe, muss ich notgedrungen mehr Wert auf Garderobe legen, und erheblich höhere Kosten einplanen, als ich es privat für notwendig halte.

Als ich das Wohnzimmer betrat, schnappte Carsten hörbar nach Luft, als er mich in dem neuen Kleid sah. „Verdammt, Anny, du siehst atemberaubend aus. So war das nicht ausgemacht.“
Er übertreibt.
„Das ist ein ganz einfaches Kleid. Unauffällige Farbe, matter Stoff, ohne irgendwelche Schnörksel oder Glitzer“, rechtfertigte ich mich, „aber du bist eben voreingenommen und nicht objektiv.“
Er seufzte: „Du sollst zwar einen guten Eindruck machen, aber so hatte ich das nicht gemeint.“
„Soll ich lieber etwas anderes anziehen? Du willst doch, dass ich die Firma repräsentiere. Ich kann statt dem Kleid auch ein T-Shirt mit unserem Firmenlogo tragen.“
„Hast du nicht irgendetwas dazwischen? Ein passendes Kostüm, wie du es sonst auch schon du diversen Anlässen getragen hast?“
„Ja, klar. Aber dann friert es mich halt. Und bei meinem Winterkostüm ist vorne ein Fleck auf dem Rock, der sich nicht mehr völlig entfernen lässt.“
„Also gut“, resignierte er, „ach, Süße, du siehst so toll aus. Am liebsten würde ich dich für mich selbst hier behalten.“
Ich zuckte die Schultern. „Für dich ist dafür der Anblick ohne Kleid exklusiv.“
„Lass‘ sehen!“
Langsam öffnete ich den Reißverschluss, der auf der linken Seite unter dem Arm bis über die Hüfte verlief. Als ich den Saum des Kleides über Kreuz mit beiden Händen fasste und hochzog, musste ich den Augenkontakt mit ihm unterbrech- ..
OK – das An- und Ausziehen des Kleides ist etwas umständlich, aber letztendlich stand ich nur in Dessous vor ihm.
Und hatte praktisch sofort Gänsehaut.
„Du frierst“, stellte er bedauernd fest, „zieh‘ dir wieder ‚was an.“
„Alternativ könntest du mich wärmen“, schlug ich vor.
Um die Alternative wahrzunehmen, zogen wir uns für die nötige Zeit ins Schlafzimmer zurück. Danach trug ich wieder meinen üblichen Wohlfühlabendstrickzweiteiler.

PS: Morgen fällt das Blog aus. Da hab‘ ich andere Verpflichtungen.

Über Anne Nühm (breakpoint)

Die Programmierschlampe.
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30 Antworten zu Dress for Success //1995

  1. blindfoldedwoman schreibt:

    Ich bin auch nicht klein und habe dazu noch üppige Oberweite, daher kenne ich das Kleidrrproblem. Am besten passen noch Wickelkleider. Ohne Ausschnitt gefällt mir nicht so gut. Das sieht nur bei kleinem Busen gut aus, finde ich.

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    • Da ich gerade am Hals sehr empfindlich bin, bleibt mir nichts anderes übrig, als auf einen größeren Ausschnitt zu verzichten. Zwei Mandelabszesse und eine Lungenentzündung reichen mir.
      Für den beabsichtigten Einsatz des Kleides wäre es auch unangemessen, viel Dekolleté zu zeigen.

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  2. blindfoldedwoman schreibt:

    Was nimmt die Schneiderin für ein Kleid?

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  3. blindfoldedwoman schreibt:

    Bei asos.de gibt es Kleidung für grosse Frauen und zu jedem Teil ein Video.

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    • Danke für den Tipp.
      Aber für meine Freizeit genügt mir preiswerte Konfektion, und für den Beruf beauftrage ich meine Schneiderin. Da habe ich die Gewissheit, dass es wirklich super passt, und sie freut sich über jeden Auftrag.
      Schließlich geht es nicht nur um die Körpergröße. Wenn es mir um die Taille passt, ist es mir ums Gesäß zu eng, und wenn es beim Gesäß passt, schlottert es um die Taille. Je nach Schnitt und Stoff geht es schon irgendwie, aber bei figurbetonenden Röcken und Kleidern aus starren Stoffen komme ich wohl um Maßkleidung nicht herum.

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  4. transomat schreibt:

    Ähhm Danke Anne 🙂

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  5. claudius2016 schreibt:

    Wie wär’s mit einem Foto im Käferblog?

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  6. Pendolino70 schreibt:

    Ich gehe davon aus, dass du im Business keine extravaganten Dessous trägst unter dem Kleid und das auch exklusiv für Carsten war. 😉

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  7. ednong schreibt:

    „T-Shirt mit Firmenlogo“ – das würd‘ ich ja mal sehen wollen. Muß ja auch ein netter Anblick sein 😉

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  8. Mia schreibt:

    Nun ja, wenn du figurtechnisch in die Fußstapfen deiner weiblichen Verwandtschaft trittst, wirst du das Kleid über kurz oder lang (rechnen wir mal mit allerhöchstens zwei Jahren) der Wohlfahrt spenden können. Sollte es wirklich so auf Kante genäht sein und keine Mehrmasse vertragen. Eigentlich Schade um die Schneider-Kunst.

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