Zum Jordanstrand //2993

In den letzten Jahren waren wir von Sternsingern verschont geblieben. Vermutlich waren wir an 3König in der Stadt oder gerade verreist. Jedenfalls hatte ich nichts davon mitbekommen.
Heuer jedoch waren wir im Landhaus. Als es an der Tür klingelte, dachte ich mir nichts dabei. Carsten war mit Johannes unterwegs. Also ging ich, um aufzumachen. Ich nahm wohl an, dass ein Liefer- oder Paketbote etwas bringen würde. Mir war in diesem Moment gar nicht bewusst gewesen, dass Feiertag war.

Draußen standen ein paar morgenländisch verkleidete und coronis maskierte Kinder, die sofort anhoben, ein Gedicht vorzutragen und zu singen.
Ich war leicht perplex, wollte sie aber auch nicht abwürgen, zumal sich die Kinder anscheinend wirklich Mühe gaben und hingebungsvoll bei der Sache waren.
Zum Schluss formulierte das größte von ihnen noch einen Spendenaufruf in Reimform und hielt mir eine Spendendose hin.
Es kommt natürlich überhaupt nicht in Frage, dass ich an der Haustür Geld spende. So etwas mache ich höchstens per (nicht-regelmäßiger) Überweisung. Außerdem unterstützen wir ohnehin bereits über die Firma mehrere wohltätige Projekte.

Aber ich hätte den engagierten Kindern gerne eine kleine Freude gemacht. So lief ich schnell, um im Nebenraum eine Schachtel hochwertiger Pralinen (die ich eigentlich selbst gerne hätte essen wollen, aber die Auswahl an geeigneten Süßigkeiten war begrenzt), um sie den Kindern zu schenken.
„Wir nehmen nur Geld“, meldete sich die erwachsene Begleitperson, die sich bisher im Hintergrund gehalten hatte, zu Wort, als ich die Pralinenschachtel hinhielt, „an die hungernden Kinder in Afrika können wir keine Naturalien weiterleiten“.
„Die Pralinen sind für die enthusiastischen und tüchtigen Kinder hier, die ihre Freizeit opfern, um von Haus zu Haus zu ziehen.“ Zu meiner Zeit als Kind durften die Sternsinger das gesammelte Geld noch selbst behalten. Heutzutage gönnt man es ihnen nicht mehr.
„Wir dürfen das nicht annehmen“, wiederholte die Begleitperson.
„Das Geschenk ist auch nicht für Sie oder die Sternsinger-Organisation, sondern nur für diese Kinder hier ganz privat.“
„Außerdem ist da Alkohol drin“, insistierte die Begleitperson, „das dürfen die Kinder nicht essen.“
„Höchstens in einigen einzelnen Pralinen, nicht in allen.“
Sie überlegte: „Da müssten wir die mit Alkohol wegschmeißen.“

Ich zog mein Angebot und meine Hand mit der Schachtel zurück. „Na, dann eben nicht!“
Da lamentiert sie von hungernden Kindern in Afrika, will aber ganz einwandfreie Lebensmittel wegwerfen. Unter diesen Bedingungen esse ich die Pralinen doch lieber selber. Da wird nichts vergeudet. Der nächste hat dann eine Nuss-Allergie, der dritte eine Laktose-Unverträglichkeit, dem nächsten haben die Eltern Süßigkeiten verboten, ein weiterer stört sich an Schweinegelatine oder anderen tierischen Zutaten, einer mag keine helle Schokolade, einer keine dunkle, .. Ich werde keine Pralinen mehr verschenken. Das hat man jetzt von seiner Gutmütigkeit.
Bedauernd wandte ich mich an die Kinder: „Tut mir leid, Kinder, eure Aufsicht erlaubt es nicht.“

Schmollend zog diese mit den enttäuschten Kindern von dannen, wenigstens ohne unsere Tür mit Pseudoformeln vollzuschmieren.
Ja, ja, ich weiß schon, dass das meinem Ruf im Ort nicht guttun wird, kann’s aber auch nicht ändern. Eigentlich kann ich aber dort sowieso nicht mehr unbeliebter werden.

Über Anne Nühm (breakpoint)

Die Programmierschlampe.
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24 Antworten zu Zum Jordanstrand //2993

  1. blindfoldedwoman schreibt:

    Ich hab noch nie gehört, dass die Kinder keine Süßigkeiten bekommen dürfen. Natürlich sind Pralinen mit Alkohol völlig ungeeignet. Da ist es richtig, dass die Begleitperson eingegriffen hat.
    Das Geld durften die Kinder noch nie behalten. Da dürfte Dir Deine Erinnerung einen Streich spielen.

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    • Vielleicht ist das regional unterschiedlich geregelt.

      Ich erinnere mich noch, dass früher bei uns in der alten Heimat das 3Königs-Singen von der Pfarrgemeinde organisiert wurden. Die Kinder durften das Geld behalten.
      Irgendwann mal wurde das auf „Sternsinger“ umgestellt, mit der Folge, dass die Kinder das gesammelte Geld abgeben mussten. Es gab damals bei uns einige Aufregung deshalb, was mir im Gedächnis geblieben ist, und ich mir sicher bin, dass es damals anders geregelt wurde als heute. Ich meine auch, dass einige Kinder, die ich flüchtig kannte, dann nicht mehr mitsingen wollten, weiß aber nicht mehr, wie das schließlich ausging.

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  2. pirx1 schreibt:

    Die katholisch straff zentral organisierte Sternsingeraktion ist noch nicht so alt, wie mancher glauben mag. Die heute übliche Zentralsammlung begann zwar in Deutschland schon 1959, aber es waren erst nur 100 Gemeinden beteiligt – wenngleich doch Sternsinger schon seit Jahrhunderten von Haus zu Haus zogen, auch auf private Rechnung (ich erinnere mich noch, dass ich die Schilderung dazu, als ich als Kind das erste Mal „Krabat“ las weniger deshalb ungewöhnlich fand, weil sich drei Protagonisten das Gesammelte teilten, sondern eher, weil sie fast erwachsen waren).

    Ich musste das auch erst nachlesen und bin in der Erinnerung mehr bei Anne: Früher wurde gesammeltes Geld tatsächlich zumindest für lokale Projekte in der eigenen Gemeinde eingesetzt oder nur zum Teil an die Gemeinde abgeführt. In Süddeutschland mag das teilweise immer noch üblich sein.

    Hier ist es mittlerweile so, dass Süßkram von den Gruppen der Eiligen Drei Königen natürlich immer gerne angenommen und später unter allen sammelnden Gruppen „gerecht geteilt“ (i.e. jeder bekommt gleich viel) wird – ein mir schon als Kind unverständlicher Frevel wider die Belohnung von Leistungsbereitschaft, Fleiß und Geschick im Job. Die nicht unbeträchtliche Menge an gesammeltem Geld fließt hingegen den beworbenen Projekten zu (wie viel davon als „Verwaltungsaufwand“ in den Bistümern hängen bleibt weiß ich nicht).

    Was mir schon auffällt: Die gesellschaftliche Gemengelage wird immer schwieriger. Reichte früher die Verkleidung (damals war Blackfacing ja noch völlig unverdächtig) und der Stolz, der beste Sammler zu sein als Motivation, so gibt es heute kaum noch Freiwillige – auch bei den erwachsenen Begleitern nicht. Diese gibt es aus meiner Erinnerung sowieso erst seit ein bis zwei Jahrzehnten und ergeben sich als Notwendigkeit daraus, dass immer mehr Menschen den Sternsingern die Tür schimpfend vor der Nase zuschlagen oder Schlimmeres. Überhaupt durchkämmen – mangels Beteiligung – die Sternsinger nicht mehr systematisch das ganze Dorf, sondern nur noch „lohnende Gebiete“ in Zeiträumen, in denen vermutlich überhaupt jemand zu Hause ist (i.e. das alte Hausfrauenmodell ist passé).

    Die letzte Neuerung (und in meinen Augen Perversion und vollendet Traditionsklitterung): Man kann den Wunsch, dass einen die Sternsinger doch besuchen mögen per eMail oder SMS anmelden. Sternsinger-to-come quasi, als Pendant zum Coffee-to-go.

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    • pirx1 schreibt:

      p.s.
      Den Segensspruch für Haus und Bewohner nehme ich natürlich gern. Ich bin da unverbesserlich in meiner Orakelgläubigkeit – und die ansehnliche Liste der Segensaufkleber der letzten fünfzehn Jahre am Türstock hält mindestens die Zeugen Jehovas zuverlässig ab.

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  3. Plietsche Jung schreibt:

    Mein Beileid. Ich wohne ja in einer protestantischen Ecke und kann mir dieser Art Bettelei eh nichts anfangen. In einem süddeutschen Dorf mag das aus einigen Gründen aber durchaus opportun sein. Das muss man gut abwägen.

    Die Aussagen der Begleitung kann man aus Gründen allergischer Reaktionen durchaus verstehen, aber weniger auf den Alkohol bezogen. Weinbrandbohnen und Mon Cherie gingen immer, solange es in Maßen ist jund es keine Kleinkinder sind.

    Aber das Outing war ja eindeutig: Es geht ums Geld. Ob das ankommt, darf gern nachgewiesen werden.

    Mit Zeugen anderer Religionsderivaten habe ich nur gute Erfahrungen. Der Frieden der Welt ist mir egal und Gott ist etwas für Gläubige. Das wirkt immer.

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    • Wenn es darum ginge, dass die ansässigen Kinder sich durch diese Aktion ein bisschen Geld sammeln, würde ich ihnen das durchaus gönnen und auch ein paar Euro beisteuern.
      Aber so kommt das einer ominösen Spendenoraganisation zu Gute, bei der der größte Teil der Einnahmen für Bürokratie oder unnachvollziehbar in sonstige Kanäle versickert.

      Bei den Pralinen waren zwei oder drei mit Alkohol dabei. Wenn ein Kind eine davon isst, schadet ihm das nicht. Sola dosis facit venenum.
      Ich habe ja diese Schwäche für Edle Tropfen in Nuss. Johannes darf jeweils eine davon haben (meist die mit Williams Christ, die ist am mildesten). Das ist für ihn OK.
      Mon Chéri mag ich übrigens gar nicht. Diese labberige Kirsche in bitterer Schokolade – bäh!

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  4. Mia schreibt:

    Ein Traum. Jeder hat seine eigenen Süßigkeiten. 🤣
    Hat dann jeder von euch auch seine eigene Süßkram-Schublade? Oder wie haltet ihr das ganze Zeug auseinander? Nicht dass es noch zu Verwechslungen kommt und der eine dem anderen seine Süßigkeiten wegfuttert oder (Gott bewahre) gar verschenkt. 😱

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    • Es ist natürlich schwierig, sich vorzustellen, dass ein dreijähriges Kind, wenn es völlig unreglementiert viele Süßigkeiten bekommt, die sich noch nicht sinnvoll einteilen kann, und so viel auf einmal versucht zu essen, wie reingeht.
      Deshalb ist es zweckmäßig, immer nur einen kleinen Teil der allgemeinen Süßigkeiten (auf die er sonst keinen Zugriff hat) umzuwidmen. Die darf er dann mit in sein Zimmer nehmen, und ist inzwischen verständig genug zu wissen, dass es nicht sofort Nachschub gibt, weshalb er sich auch etwas aufhebt.

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