Die Rückseite des Möbiusbandes //2679

Es ist jetzt schon ein paar Wochen her, aber damals hatte ich andere Sorgen, als das so ausführlich niederzuschreiben. Es hat nur für einige wenige Tweets gereicht. Noch nicht einmal Notizen habe ich mir gemacht.
Wenn ich das Bloggen jetzt nachhole, dann habe ich bereits keine so detaillierten Erinnerungen mehr. Ich fülle einige Gedächtnislücken durch plausible Ansätze. Man vergisst so schnell, wenn man so viel anderes im Kopf hat, das Sorgen bereitet.

In der Familie meiner Schwester hatte sich Omikron breitgemacht. Allen ging es eigentlich gut, aber sie durften wegen Quarantäne das Haus nicht verlassen. Ihr größtes Problem waren die Einkäufe. So eine große Familie isst schon einiges weg.
Meine Mutter wohnt nur ein paar Gehminuten entfernt. Es war üblich, dass Sabine, Thorsten oder eines der größeren Kinder mehrmals am Tag vorbeischauten, um sie zu unterstützen. Sie hat ja immer noch so ein schlimmes Knie, und wartet seit langem auf einen Operationstermin. Insbesondere die Einkäufe, aber auch Teile der Wäsche und einige sonstige anfallende Arbeiten, erledigte Sabine mit. Aber jetzt durfte niemand von der Familie mehr zu ihr.
Als ich davon erfuhr, erwog ich (mit Johannes) für ein paar Tage in die alte Heimat zu fahren, um meiner Mutter zu helfen, und für Sabine’s Familie einzukaufen. Carsten hätte mir das Auto dafür überlassen. Ich musste aber erst noch meinen Ausfall hier in der Firma organisieren.

Aber dann kam alles ganz anders. Johannes fing an, zu erbrechen und bekam Durchfall. Das Wickeln möchtet ihr nicht erleben! Ich beschreibe es lieber nicht. Der Wäscheberg wuchs bedenklich an, saubere Kleidung ging zur Neige. Johannes war quengelig und hing mir dauernd an der Brust.
So krank konnte ich ihn nicht in die alte Heimat mitnehmen. Ich konnte ihn aber auch nicht allein bei Carsten daheim lassen. Der hat schließlich auch andere Verpflichtungen, als sich um ein heulendes, vollgeschi??enes Kleinkind zu kümmern. Danuta war ebenfalls keine ausreichende Option, da die Betreuung ja über ein paar Stunden hinausging.

Sabine und meine Mutter versicherten mir, dass sie unter diesen Umständen auch allein zurechtkämen. Sie haben genügend Nachbarn, Verwandte und Freunde in der Nähe, die für sie Einkäufe mitbringen können, und der Rest der Hausarbeit dürfe auch ein paar Tage ausfallen.

Mit Johannes war überhaupt nichts mehr anzufangen. Er wurde zunehmend lethargisch. Ich entschloss mich, mit ihm den Kinderarzt aufzusuchen.
Unser Kinderarzt ist für einen Arzt ja ganz OK. Er bringt Johannes meist irgendwie zum Lachen, geht halbwegs nachvollziehbar auf meine Fragen ein, und darüber hinaus muss ich ihn nicht mögen.
Aber diesmal war er nicht da, sondern ließ sich von einer Kollegin vertreten.
Diese Kollegin war völlig missmutig und desinteressiert. Sie nahm sich kaum Zeit für eine Anamnese. Eigentlich hätte sie doch erst fragen müssen, um was es geht, welche Symptome Johannes hat, wie lange der Zustand schon anhält, usw. Ohne zu versuchen, erst Kontakt mit Johannes aufzubauen, fasste sie ihn sofort an, um ihn abzutasten und zu untersuchen.
Dass sie mich „Frau Klugsch“ nannte, nehme ich ihr ja noch nicht mal übel. Irgendwann korrigierte ich sie, nachdem sie in überheblicher Weise wiederholt meine Nachfragen zur Seite gewischt hatte.
„Quatsch, das macht nichts, Frau Klugsch.“
„Nühm.“
„Was?“
„Mein Nachname ist Nühm. Nicht Klugsch.“
„Wie auch immer. Machen Sie $A.“
„Und wenn aus $A $B folgt?“
„Tut’s nicht, Frau Klühm.“
„Es kann aber doch sein, dass $B passiert, Frau Säuermuffel.“
„Doktor Säuermuffel.“
Hätte ich nicht ganz andere Sorgen gehabt, als mich mit ihr herumzuärgern, hätte ich in diesem speziellen Fall ebenfalls auf die Nennung meines Doktors bestanden. Aber da es weit wichtigere Fragen zu klären gab, verzichtete ich eben ganz darauf, sie mit Namen anzusprechen.

„Wie lange dauert das voraussichtlich?“
„Das kann man so nicht sagen.“
„Was ist denn ein üblicher Zeitrahmen?“
„Kommt drauf an.“
„Worauf?“
„Da spielen viele Faktoren hinein.“
„Welches sind denn die wesentlichen? Sie müssen doch wenigstens ungefähre Erfahrungswerte haben.“
„Das hängt von vielem ab, und ich kann Ihnen das nicht erklären.“
Als ob man einen Pudding an die Wand nageln will! Ich verlange doch gar keine verbindlichen, konkreten Angaben, aber typische Richtwerte als Anhaltspunkt sollten schon möglich sein.

Ich hätte mir eindeutige Handlungsempfehlungen nach Art eines Algorithmus gewünscht. So etwas wie „WENN (X), DANN (Y), SONST (Z)“. Aber keine Chance. Sie wand sich wie ein Aal, um sich nur ja nicht festlegen zu müssen.
„Wenn nach $A $B passiert, was mache ich dann?“, wiederholte ich.
„Quatsch, das passiert kaum.“
„Falls aber doch?“
„Dann kommen Sie noch mal her und fragen mich.“
Klar! Es ist ja so easy, bei Wind und Wetter mit einem undichten Kind zur Praxis zu laufen (mit dem Bus darf ich ja nicht fahren), dann ewig maskiert im Wartezimmer auf einem unbequemen Stuhl zu sitzen, während das Kind zappelt, weint und sich erbricht. Für die Zeit habe ich sinnvollere Verwendung.
„Sagen Sie es mir doch gleich.“
„Das kommt drauf an. Ist kompliziert.“
Irgendwann gab ich auf. Meine Geduld ist begrenzt. Ich war es leid und ich war erschöpft, zumal ich in der vergangenen Nacht kaum geschlafen hatte.

Mit einem Rezept (wobei ich noch froh sein kann, dass ich das in gedruckter Form bekommen habe) für eine Elektrolytlösung und ein Antibiotikum verließ ich schließlich die Praxis. Na, wenigstens hat sie nicht versucht, mir irgendwelches Homöopathiegelumps aufzudrängen. Ich löste das Rezept in der nächstgelegenen Apotheke (wo ich ein Päckchen Papiertaschentücher geschenkt bekam – das hat mir diesen dunklen Tag doch noch ein wenig erhellt) ein.
Nachdem ich die Beipackzettel gelesen hatte, entschied ich, noch abzuwarten, bevor ich Johannes das Antibiotikum [ist mir sowieso schleierhaft, was das soll, da eine bakterielle Infektion gar nicht nachgewiesen war, es ebensogut z.B. Noroviren gewesen sein können – auch das hatte Frau Säuermuffel nicht sinnvoll begründen können] verabreichen würde. Die Elektrolytlösung bot ich Johannes an, aber er lehnte sie ab.
Auch ohne die Medikamente ging es ihm aber schon bald wieder deutlich besser. Den Arztbesuch hätten wir uns wirklich ersparen können, aber was macht man nicht alles für sein Kind.

Ein paar Tage später hätte ich vielleicht doch noch in die alte Heimat fahren können, aber inzwischen hatten sich meine Mutter und meine Schwester so mit befreundeten Nachbarn arrangiert, dass das nicht mehr nötig war.

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Über Anne Nühm (breakpoint)

Die Programmierschlampe.
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24 Antworten zu Die Rückseite des Möbiusbandes //2679

  1. pirx1 schreibt:

    Bestätigt ganz meine Meinung, dass man den Kontakt zwischen Ärzten und Patienten so weit wie möglich ein- und nur auf medizinische Notfälle be-schränken sollte – und für Kinderärzte und Kinderbesitzer, beide im Fachjargon auch gerne ´mal „die Bekloppten“ genannt, gilt das um so mehr.

    „Herr Doktor, Herr Doktor: Immer wenn er Kakao mit Minzsirup trinkt, dann hat mein Jan Felix Malte so ein Ziehen hinter dem linken Ohr.“ – „Aha und was passiert, wenn Sie den Sirup weglassen?“ – „Dann ist nichts.“ –

    Lösung a) „Dann lassen Sie doch einfach den Sirup weg?“ – „Aber Minze mag er doch so gern …!“.

    Lösung b) „Das ist eine siruposis epidemica lenta, harmlos.“ – „Wo kann ich das googeln?“

    Lösung c) „Geben Sie ihm davon 1 x am Tag.“ – „Kann man da nicht mit Krankengymnastik …?“

    … problemlos erweiterbar bis zz).

    Ergebnis immer: „Der Doktor hat gar nichts gemacht und es gab auch keine leckeren Kekse im Wartezimmer!“

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    • blindfoldedwoman schreibt:

      Wahrscheinlich ist die Annahme völlig verfehlt, dass Kinderärzte Kinder mögen.

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      • pirx1 schreibt:

        Das würde ich so pauschal nicht sagen (ebenso, wie polemisch-zynische Übertreibungen die Realität natürlich nicht komplett abbilden).

        Andererseits finde ich die offensichtlich weit verbreitete Grundannahme, dass einem jeder Patient und jeder Patientenangehörige sofort ein breites Strahlen von einem Ohr zum Anderen auf das Gesicht lockt auch reichlich weltfremd.

        Sachunabhängige Nebenschauplätze werden eben (durchaus von beiden Seiten) relativ gern zu Hauptspielorten hochgekocht.

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  2. idgie13 schreibt:

    Sind inzwischen alle wieder gesund und munter?
    (ich hab nicht mal einen Hausarzt..)

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    • Die Quarantäne ist längst aufgehoben. Krank war in der Familie meiner Schwester ja niemand – bloß infiziert.

      Johannes war ein paar Tage später wieder putzmunter. Wahnsinn, wie schnell sich Kinder von einer Erkrankung erholen können.

      Nur meine Mutter hat immer noch Kniebeschwerden. Wir können nur hoffen, dass sie vielleicht im Sommer einen Operationstermin bekommt, und der dann auch durchgezogen wird.

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  3. keloph schreibt:

    kinder reparieren sich in der regel sehr schnell selbst, sofern sie es an sich können. und ein guter arzt (m/w/d) ist gold wert, ich empfehle dir (auf basis deiner beschreibung) dringend einen wechsel.

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    • pirx1 schreibt:

      Einen Wechsel der Vertreterin des Arztes, mit dem sie bisher klar kam?

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    • Mit dem Kinderarzt, dem die Praxis gehört, sind wir ja sonst zufrieden. Dass er vertreten wurde, ist die bisher einzige Ausnahme.

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      • Plietsche Jung schreibt:

        Die Erkrankung kommt mir grad bekannt vor.
        Bei mir hilf auch nichts. Irgendwann wurde es besser.
        Nur Flüssigkeit muss man halt nachtanken.

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        • Normalerweise ist das Immunsystem in der Lage, mit vielen Krankheitserregern aus eigener Kraft fertig zu werden.
          Ich finde es äußerst bedenklich, wie leichtsinnig und fahrlässig häufig Arzneimittel eingesetzt werden unter völliger Missachtung möglicher Seiteneffekte.

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          • Plietsche Jung schreibt:

            Ärzte sind auch nur Menschenklempner. Es ist oft gut, deren Meinung auch in Frage zu stellen, grad bei solchen Dingen.

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            • Der mündige, aufgeklärte Patient ist unwillkommen.

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            • Plietsche Jung schreibt:

              Tja, der aufmerksame Patient von heute befragt auch gern Google. Da wissen wir alle, dass dort auch viel Mist geschrieben wird und man bei jeder zweiten Eigendiagnose sterben wird.

              Aber Antibiotika bei Durchfall und noch dazu bei einem so kleinen Kind finde ich schon fragwürdig.

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            • blindfoldedwoman schreibt:

              Nach 3 Tagen wird es bei Kindern aber bedenklich.
              Da kann man schon eine Infektion vermuten.

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            • Plietsche Jung schreibt:

              Meist sind es aber Viren und da wird’s schwer mit Antibiotika.

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            • pirx1 schreibt:

              Der mündige und aufgeklärte Patient ist hochwillkommen. Die Frage ist eben, was man spezifisch unter mündig und aufgeklärt versteht.

              Vergleiche:
              „Herr Schulze …“ – „Doktor Schulze … [tatsächlich soll es – in Österreich noch mehr als hier – Leute geben, die um diesen Titelquatsch ein rechtes Geschiss machen]“ – „Ich habe bei Ihnen das Computerprogramm XY gekauft und alles ordnungsgemäß nach Anleitung installieren wollen und jetzt funktioniert das ganze Gelumpe hier nicht!“ – „Frau Meier …“ – „Frau DOKTOR Müller-Meier-Siebenstein“ – (schon transpirierend): „Frau Müll… Meier [es gehört wohl zu den unausgesprochenen Gepflogenheiten des sprachlichen Umgangs, das sich Doktoren – natürlich nur, wenn bekannt – gegenseitig nicht mit dem Titel anreden] … welches Betriebssystem verwenden Sie denn und wie ist Ihre spezifische Rechnerkonfiguration?“ – „Das müssen Sie doch wissen! Ich bin nur Anwender.“ – „Schon, ja, ich verstehe. Sitzen Sie denn gerade vor dem Rechner?“ – „Das tut doch nichts zur Sache, ich möchte jetzt genau wissen, warum Ihr Programm nicht funktioniert! Das hat viel Geld gekostet und überhaupt: Ist das denn auch virensicher? Und wenn ja: Was haben Sie denn als verantwortlicher Programmierer unternommen, damit so ein Fall wie meiner nicht vorkommt? Sie haben sich das Programm hier ja nichtmal angeguckt.“ – „Äh, ja, welche Version von Windows verwenden Sie denn?“ – „Ich weiß nicht, woran man das sehen kann und das ist ja auch wohl für das Programm an sich ganz unwichtig. Sagen Sie mir jetzt, was ich machen soll!“ – „Ja, gucken wir erstmal gemeinsam nach der Windows Version …“ – „Ja, wo finde ich das denn? Da ist ja dieser kleine Apfel in der Ecke oben links …“.

              Das Softwarehaus Dr. Schulze bekam an diesem Tag wieder einmal eine gesalzene Googlebewertung.

              Mündig und aufgeklärt – oder das, was man selber dafür hält.

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  4. mijonisreise schreibt:

    Es gibt leider genug Ärzte und Ärztinnen, die es einfach menschlich nicht drauf haben.
    Meine war da und ist da anders, schließlich betreut sie inzwischen das Enkelkind.
    Sie war in den Aussagen immer sehr präzise und da gab es kein blödes Gerede.
    Was den Durchfall und das Erbrechen angeht … Das kommt bei Kindern sehr schnell und sollte eigentlich nach 24 Stunden wieder besser sein.
    Auch Fieber ist immer nett. Aus dem Nichts heraus hat das Kind plötzlich Fieber und liegt darnieder. Am nächsten Morgen ist der Spuk vorbei und alles wieder gut.

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