Auf der Suche nach dem Frühlingspunkt //2538

Sonne und Erde kreisen um ihren gemeinsamen Schwerpunkt. Die Bahnbewegung findet in einer Ebene, der Ekliptik statt. Die Drehachse der Erde ist gegen die Ekliptik geneigt und ist weitgehend (irgendwelche Feinheiten verkomplizieren die Betrachtung nur, und liefern zunächst keine zusätzlichen Erkenntnisse) raumfest.
Senkrecht zur Erdachse kann man sich den Himmelsäquator denken, der die Ebene des Erdäquators ins Unendliche fortsetzt.
Ekliptik und Himmelsäquator schneiden sich entlang einer Linie. Zweimal im Jahr passiert die Sonne auf ihrer scheinbaren Bahn diese Linie – dann ist jeweils Tag-und-Nacht-Gleiche.
Der eine dieser Punkte nennt sich Frühlingspunkt. Er zeigt an, wann der astronomische Frühling beginnt.

Ostern ist ein beweglicher Feiertag. Das Datum wechselt in jedem Jahr. Und zwar fällt Ostern auf den ersten Sonntag nach dem ersten Frühlingsvollmond. Die Reihenfolge ist also: erst Frühlingsbeginn, dann Vollmond, dann Sonntag. Im Extremfall kann das Osterdatum erst bis zu fünf Wochen nach dem Frühlingsbeginn stattfinden.
Dies ist natürlich kompliziert vorherzuberechnen, da die Dynamiken von Sonnenumlauf, Erddrehung und sogar Mondumlauf zu berücksichtigen sind, deren Dauern allesamt inkommensurabel sind (und aus anderen Gründen zudem noch schwanken).
Deshalb gab es früher den „Computus“, ein Verfahren zur näherungsweisen Berechnung des Osterdatums, das später durch die Gauß’sche Osterformel, die im Wesentlichen mit Moduli arbeitet, praktikabel dargestellt wurde (vom mathematischen Schwierigkeitsgrad her dürften die Berechnungen problemlos für Dritt- oder Viertklässler machbar sein).

Die kirchlichen Regularien sehen vor, dass die Osterberechnung mit dem 21. März als Frühlingspunkt beginnt. Jedoch hat sich in den letzten Jahren der Frühlingsbeginn auf den 20. März vorgeschoben (das wäre nicht geschehen, hätte man 2000 den Schalttag ausfallen lassen).
Dies hat zur Folge, dass es Abweichungen zwischen dem berechneten Osterdatum geben kann, und dem Datum, das man erhält, wenn man tatsächliche astronomische Gegebenheiten berücksichtigt. Zuletzt war dies 2019 der Fall, und wird wieder 2038 (also 19 Jahre später, was einem Meton-Zyklus entspricht) passieren.
2019 war nämlich Vollmond bereits am 21. März, der jedoch nicht in die Berechnung eingegangen ist, so dass Ostern erst vier Wochen später gefeiert wurde.
Es wundert mich im Nachhinein, dass man vor zwei Jahren so gar nichts von dieser Anomalie gehört oder gelesen hat. Eigentlich hätten die Medien damals voll von dieser seltenen Besonderheit sein sollen. Sogar ich habe es nicht mitgekriegt, und kann es mir nur dadurch erklären, dass Christen kein Interesse an astronomischen Konstellationen haben, während astronomisch Interessierten das Osterdatum gleichgültig ist.

Da die Erde nicht wirklich eine homogene Kugel ist, führt ihre Achse eine Präzessionsbewegung mit 25.8 Kilojahren („Platonisches Jahr“) Periodendauer aus. Es kommen außerdem noch weitere kleine Effekte durch die Kräfte von anderen Himmelsobjekten hinzu (sowie Verzerrungen des Jahreszyklus aufgrund die Exzentrizität der Erdbahn).
Durch die Präzession wandert der Frühlingspunkt langsam durch die Ekliptik. Während er früher im Sternbild Widder erschien, steht er nun in den Fischen, und wird um das Jahr 2600 in den Wassermann eintreten.

Ohne dass ihr lange danach suchen müsstet, habe ich im Bonus-Bereich noch ein nachträgliches Easteregg für euch. Viel Spaß!



Berechnung des Osterdatums auf Grundlage der Gaußformel:

a: Metonzyklus
b: Schaltjahrrhythmus
c: Wochenrhythmus
k: Jahrhundertzahl, aktuell 20
p: Korrektur der Mondgleichung, in diesem Jahrhundert 6
q: Schaltjahrausnahme für Jahrhunderte, in diesem Jahrhundert 5
M: langfristige Änderung, ursprünglich 15, in diesem Jahrhundert 24
N: langfristige Korrektur für Schaltjahre, in diesem Jahrhundert 5
d, e: weitere Hilfsvariablen für Mondphase und Wochentag, d+e ist Anzahl der Tage nach 22. März
f: Wenn ≤ 31 dann das Osterdatum im März, sonst Osterdatum im April minus 31.

Vereinfachtes Schema zur Osterberechnung (gültig nur in diesem Jahrhundert):
a = Jahr mod 19 // heuer 7
b = Jahr mod 4 // heuer 1
c = Jahr mod 7 // heuer 5
d = (19*a + 24) mod 30 // heuer 7
e = (2*b + 4*c + 6*d + 5) mod 7 //heuer 6
f = 22 + d + e //heuer 35, Osterdatum also (35-31). April
Ausnahmen sind 2049 und 2076, wenn der sonst sehr späte Ostertermin eine Woche vorgezogen wird. Ich hab die Regeln nicht gemacht. Noch nicht einmal hier ist die Kirche konsistent.

Viel Spaß beim Nachrechnen!

Über Anne Nühm (breakpoint)

Die Programmierschlampe.
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25 Antworten zu Auf der Suche nach dem Frühlingspunkt //2538

  1. keloph schreibt:

    ich schaue einfach in den kalender 🙂

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  2. Sempersolus schreibt:

    Ich dachte, die Erde wäre der Mittelpunkt der Welt und der Rest des Universums bewege sich auf eirigen Bahnen drumherum wie Hola Hoop Reifen? Soll Albert Einstein denn umsonst von der heiligen Inquisition für seine Theorien gefoltert worden sein?

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  3. Sabrina Seerose schreibt:

    Danke für die plausible Aufklärung!

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  4. Andreas schreibt:

    Vielen Dank, das ist eine interessante Problematik.
    Zu dem Thema fällt mir noch dieser mathspace Vortrag ein, der spannt den Bogen allerdings noch etwas weiter als Ostern, da gehts mit der Entstehung der einzelnen (mond- und sonnenbasierten) Kalendersysteme los, Ostern und die Kirche kommen aber auch ihren Teil ab. Ist sehr unterhaltsam, kann ich wärmstens empfehlen:

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  5. ednong schreibt:

    Wie soll das bei einer Scheibenerde denn funktionieren? Ist bestimmt nicht korrekt hier 😉

    Frohe Ostern gehabt habend wünschend …

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  6. Plietsche Jung schreibt:

    Eigentlich ist der Kirche doch latz, wann im April Ostern ist.
    Der Jupp wurde an einem Freitag an die Latte genagelt, ist am 3. Tage auferstanden und 40 Tage danach gen Himmel „gefahren“ (Himmelfahrt, danach Pfinsten).
    Ob das astronomisch verknüpft ist, habe ich persönlich noch nicht lesen dürfen.

    Und wie Keloph schon schreibt … ich schaue auch nur in den Kalender …
    Die herumeiernde Erde im Weltraum ist sicher ein schöner Anhaltspunkt, jedoch leider keine eindeutige Referenz, die ohne Korrekturen in der Berechnung auskommt.

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    • Ostern beruht ja auf dem Passahfest, und das ist im Nisan, dem ersten Monat im jüdischen Lunisolarkalender – deshalb Kopplung an die Mondphasen.

      Als die christlichen Kirchen den Ostertermin in Bezug auf den ersten Frühlingsvollmond festgelegt haben, hatten sie anscheinend noch wenigstens etwas Naturbezug.
      Umso ärgerlicher sind willkürliche Ausnahmen, statt sich entweder an den tatsächlichen astronomischen Gegebenheiten zu orientieren, oder wenigstens den Gauß-Algorithmus konsequent durchzuziehen.

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    • Michael schreibt:

      Und der „3. Tag“ ist nicht der Ostersonntag, sondern das ist ganz einfach Dienstags. Im hebräischen haben die Wochentage nämlich keine Namen, sondern Nummern. Nur der Schabbat macht da eine Ausnahme. 1. Tag ist alos Sonntag, 2. Tag ist Montag usw. Die Evangelisten, die kein hebräisch konnten (es waren ja Griechen), haben das dann falsch verstanden und somit auch falsch übersetzt.

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  7. beweis schreibt:

    Verleser des Tages: Prozession statt Präzession.
    Meine Synapsen bringen die Christen unwillkürlich wieder mit den Astronomen zusammen.

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  8. Peter Heinrich schreibt:

    Dieses sog. Osterparadoxon kann dabei in beide Richtungen gehe; also den Ostertag nach vorne oder hinten legen (zeitlich betrachtet, versteht sich :).

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