Ausgeehrt //2493

Nachdem ich eine Online-Bestellung abgeschickt hatte, bekam ich eine Bestätigungsmail.
„Hallo Anne, wir haben deine Bestellung erhalten und werden dir Bescheid geben sobald wir dein Paket verschickt haben.“
Hoppla? Was soll denn das? Wie kommen die dazu, mich ungefragt zu duzen?
Das ist der deutsche Online-Shop eines großen, asiatischen Herstellers. Die sollten eigentlich besser wissen, wie man mit Kunden umgeht. Es muss jetzt nicht wirklich förmlich sein, aber in solchen Belangen erwarte ich als zahlender Kunde schon eine gewisse Höflichkeit. Das Duzen in einer gerade erst aufkeimenden Kundenbeziehnung ist hart an der Grenze zur Respektlosigkeit.
Ob ich bei denen jemals wieder bestelle, werde ich mir noch sehr überlegen.

Das Anschreiben einer Behörde begann mit „Guten Tag“. Keine Anrede, kein Name, nur ein schnödes „Guten Tag“, das ich als ausgesprochen schroff und irritierend empfinde. Wer dermaßen kurz angebunden ist, soll doch bitte solch eine Floskel lieber ganz unterlassen.
Wo ist das „Sehr geehrte Damen und Herren“ geblieben? Das ist eine freundliche Anrede, wenn man den Namen des Empfängers nicht kennt.
In diesem Falle war er bekannt. Also was bitte spricht gegen das altbewährte „Sehr geehrte Frau Nühm“? Da fühlt man sich persönlich angesprochen und wertgeschätzt.

Nur weil zwei oder drei Personen nicht als Herr oder Frau angeschrieben werden wollen, müssen sich jetzt alle Millionen andere mit solchen abstoßenden Begrüßungsformeln abfinden?
Ich will wieder geehrt sein.

Wenn jetzt die zu sehr vielen Anlässen angebrachte Anrede „Sehr geehrte Frau“ keine Verwendung mehr findet, insbesondere in offiziellen Schreiben, dann ist das nicht nur ärgerlich, sondern ein weiterer Schritt in Richtung Entindividualisierung und Missachtung der Persönlichkeit.

Im Englischen ist „Dear sir or madam“ üblich, wenn man nicht weiß, wer das Anschreiben lesen wird. Man kann natürlich auch ein „To whom it may concern“ hinklatschen.
Das Anreden nur mit dem Vornamen ist insbesondere in den USA weit verbreitet. Ansonsten ziehe ich „Dear Mr.“ oder „Dear Ms“ vor.
Es kommt vor, dass ich bei Kunden, obwohl ich deren Namen kenne, nicht weiß, ob es Männer oder Frauen sind. Manchmal weiß ich noch nicht einmal, was Vor- und Nachname ist. In diesem Fall schreibe ich den ganzen Namen nach dem „Dear“.

Ich selbst bin schon manchmal mit „Dear sir“ angeschrieben worden. Das sehe ich gelassen. Bei meinem Website-Hoster konnte ich (zumindest früher, hat sich möglicherweise inzwischen geändert) nur die männliche Auswahl „Dipl.-Physiker“ treffen, während die anderen Berufe (soweit ich das gesehen habe) sowohl in männlicher als auch weiblicher Form vorlagen.
Soll ich mich deswegen aufregen? Nö. Das ist generisch.

Es stört mich nicht, (innerhalb einer Gruppe) als „Zuschauer“, „Bürger“, „Einwohner“, Besucher“, .. angesprochen zu werden. Als „Leser In“, „Kund*in“, „Gäst_In“ oder ähnlicher Sprachverhunzung dagegen schon. Der Unicode bietet ja noch so viel mehr Sonderzeichen. Da können wir schon mal reguläre Ausdrück*Innen und EBNF-Notation:innen üben – selbstverständlich mit korrekter Deklination von Pronomina und Artikeln.
Bei einer Sprachlücke fühle ich mich nicht mitgemeint. Die meint nur Sprachidiologixe.
Hat eigentlich mal jemand überlegt, wie sich das auf Leute auswirkt, die Deutsch erst erlernen, oder sich mit Lesen schwertun? Solches Kuddlmuddl ist schwer verständlich und hemmt auch bei Muttersprachlern den Lesefluss. Es ist viel schwieriger, einen – vielleicht etwas umständlichen – Gedanken in einem Text nachzuvollziehen, wenn man sich dabei außerdem noch mit dem Gendersprech auseinandersetzen muss.
Und übrigens: Studierender ist nicht das gleiche wie Student.

Auf die Gefahr hin, noch etwas weiter vom Thema abzuschweifen: Ich habe gerade in letzter Zeit öfter gelesen, dass sich manche Leute über die Abschiedsformel „Bleib gesund“ aufregen. Manche Menschen wären chronisch krank, und könnten gar nicht gesund bleiben oder werden. Dazu kann ich nur sagen, dass, wer noch genügend Energie besitzt, um sich über solche i.A. wohlwollende Formulierungen echauffieren zu können, dass es bei dem mit der Gesundheit noch viel weiter runter in den Keller gehen könnte, und zumindest die Erhaltung des aktuellen Status ja auch etwas Gutes wäre.
Als Alternative schlagen sie „Pass auf dich auf“ vor. Das empfinde nun wieder ich als völlig unpassend (es sei denn, ich kenne denjenigen wirklich sehr gut, dann ist es OK). Auf mich passe ich ja sowieso auf. Dazu brauche ich niemanden, der mich daran erinnert. Und die Aufforderung, noch mehr auf mich aufzupassen, als ich es eh schon tue, ist – mit Verlaub – dreist, bevormundend und übergriffig.
In diesem Sinne: Bleibt alle gesund.

Über Anne Nühm (breakpoint)

Die Programmierschlampe.
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34 Antworten zu Ausgeehrt //2493

  1. keloph schreibt:

    ich persönlich freute mich auch über mehr stil bei anschreiben (echter konjunktiv), lässt aber leider sehr zu wünschen übrig. nun kann ich überlegen, diese dienstleister zu meiden und es stellt sich die frage, wieviel verzicht auf vorteile das bedeutete. mache ich nicht, dafür ist mir das zu banal 🙂

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  2. ednong schreibt:

    Absolute Zustimmung.

    Der NDR – und sicher auch weitere Sender – hat jetzt in Dokus u. Ä. im gesprochenem Text Formen wie „Bewohner*innen“ drin. Ist mir neulich aufgefallen, kommt dann immer mit einer Verzögerung an Stelle des Sterns. Klingt abartig und verwirrend.

    Ich finde das definitiv nicht zielführend.

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    • Das habe ich auch schon gehört. Ist scheußlich.
      Es irritiert mich ja bereits, wenn im Fernsehen z.B. Forscher durch „Forschende“ ersetzt werden, aber diese Sprechpause ist teilweise sinnentstellend und abstrus.
      Es steht dem öffentlichen Rundfunk nicht zu, die Bevölkerung zu einem neuen Sprachgebrauch zu erziehen.

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      • MartinTriker schreibt:

        Es steht niemand zu, die Bevölkerung zu einem neuen Sprachgebrauch zu erziehen. Ich störe mich auch an diesen Sternchen und Doppelpunkten. Was noch mehr daran stört: lässt man sich über diese grassierende Unsitte aus, wird man sofort in AfD-Nähe gerückt. Mit denen hat das nun wirklich nichts zu tun, sondern mit Sprachgefühl.

        Aber nichts, was nicht noch schlimmer geht. Ich bin ja Fahrrad-affin, und deswegen auch in solchen Kreisen unterwegs. Dort fängt es gerade an, von Radfahrys oder Autofahrys zu sprechen. Igitt. Ich habe schon damit begonnen auf Twitter entsprechende Accounts, die das zu oft benutzen, zu entfolgen.

        Das mit dem Duzen in geschäftlichen Mails, also B2C, ist mir auch schon negativ aufgefallen. Diese Ikeasierung stößt mir auch auf. Deinen Beitrag habe ich jetzt als Anlass genommen, mal meine Mails mit einem Computerversender/-shop durchzusehen, weil ich da zuletzt bestellt habe. Sehr schön, ich werde in allen Mails gesiezt, nur in den Versandnachrichten mit „Guten Tag Herr…“ begrüßt. Aber sonst auch „Sehr geehrter Herr…“. Witzig ist allenfalls, dass ich meine vorletzte Bestellung dort wegen Problemen mit dem Kreditkartenzugang über Klarna bezahlt habe. Die Duzen einen. Und das im Zahlungsverkehr. Hauptsitz natürlich: Schweden.

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        • Andere Länder, andere Sitten.
          In den USA ist es üblich, sich mit Vornamen anzureden. Aber dort unterscheidet man nicht zwischen Du und Sie. Ansprechen mit dem Vorname verbreitet sich auch in Deutschland allmählich im geschäftlichen Umfeld, und ist auch in Ordnung, solange man das Sie beibehält.
          Gerade die Asiaten gelten ja als besonders höflich. Insofern wundert es mich schon, gerade von einem asiatischen Unternehmen geduzt zu werden. Die Skandinavier sind da freilich weniger förmlich.

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          • Sempersolus schreibt:

            Vordergründig scheinbar richtig, tatsächlich wird aber im englischen Sprachgebrauch das „you“ in sehr differenzierter Weise gebraucht und der Kenntnisreiche weiß sehr wohl, wann „Werner, Du“ oder „Werner, Sie“ gemeint ist.

            Diese gewachsene Differenzierung geben wir im Deutschen gerade ohne Not auf (natürlich ohne, dass das vom einzelnen Individuum zu ändern wäre). Das ist aber auch ein Generations- und pubertäres Abgrenzungsthema. Ich werde z. B. von meiner Tochter geradezu angegiftet, wenn ich ein(en) ihrer Freund*innen (m/w/d) mit „Sie“ anspreche (was mich natürlich motiviert, das dann erst recht zu tun).

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        • Sempersolus schreibt:

          So neu ist das ja nun nicht.

          Rastafahry (schreibt man die so?) sind ja auch schon seit 1930 bekannt.

          Lang lebe Haile Selassie und das Patriarchat!

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  3. idgie13 schreibt:

    Mich nerven diese ganzen Verkomplizierungen der deutschen Sprache auch sehr. Zumal sie halt z.T. auch einfach falsch sind (Forschende, ZuFussGehende🙄)

    Bei der Duzerei bin ich zwiegespalten. Hier in CH ist es durchaus üblich vom Praktikanten bis zum CEO per Du zu sein. Trotzdem bevorzuge ich bei unbekannten geschäftlichen Kontakten auch das Sie.

    Im Norwegischen ist das einfacher: die siezen nur den König 👑 – der wird mir wohl nie über den Weg laufen 🙃. Die gendern auch nicht.

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    • Beim Duzen kommt es sehr auf den Kontext an.
      In sozialen Medien ist das Du völlig üblich und weithin akzeptiert.
      Aber wenn ich irgendwo etwas kaufe – sei’s offline oder online – darf ich als Kunde erwarten, höflich behandelt zu werden. Im deutschen Sprachraum gehört dazu, dass man unbekannte Personen siezt – „König Kunde“ sozusagen.

      Das Gendern nervt. Bis vor einiger Zeit hat man nur in einigen abgehoben-ideologischen Texten Gendersternchen und Binnen-Is gefunden.
      Aber das greift um sich und verbreitet sich. Jetzt auch zunehmend in Radio und Fernsehen. Überall „m/w/d“. Und warum? Nur weil einige wenige Personen mit den bisherigen Gebräuchen nicht klarkommen. Die schreien so lange lauthals herum, bis die große Mehrheit nachgibt.
      Das Fehlen einer geschlechtsbezogenen Anrede ist nur ein weiteres Puzzleteil. Was bleibt Unternehmen und Behörden auch anderes übrig, wenn sie sonst Gefahr laufen, verklagt zu werden.

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  4. Sempersolus schreibt:

    Die Mindestform der korrekten Kuralie für promovierte männliche Adressaten lautet natürlich „Hochedler Herr“, „Hochgeehrter Herr“ oder „Hochgelehrter Herr“, so der Gemeinte nicht gleichzeitig Rat in Länderstellung oder sogar Hofstellung ist (dann kämen ja nur „Wohledelgeborerener Herr“, „Hochgeehrtester Herr“ resp. „Hochedelgeborener Herr“ in Frage). Als Mann unter diesem Stand darf man mindestens erwarten, als „Wohledler“, „Edler“ oder „Großachtbarer“ angeschrieben zu werden. Mit den korrekten Anredeformen für Edle höheren Standes will ich niemanden langweilen, die Betroffenen wissen selbst am Besten um die ihnen gebührende Anredeform.

    Wie man auf die Idee kommen kann, ungefragt formale Schriftadressen an Standespersonen weiblichen Geschlechts zu senden erschließt sich mir ohnehin nicht. Wozu sollte das notwendig sein? Käme etwa irgendjemand von Stand auf die kuriose Idee, sich selbst, gar in Schriftform, z. B. einer Moskauer U-Bahn Schaffnerin zum Angebinde machen zu wollen, die heute völlig unnötigerweise als neue sogenannte „berufliche Beschäftigungsform“ für Weibsbilder mit offensichtlich zu viel Tagesfreizeit ins Leben gerufen wurde? Wie lächerlich!

    Und wenn jemand meint, er müsse als verkappter Nachfolger der Unruhestifter und Wirrköpfe der französischen Revolution gerade jedermann als „Bürger“ und gar mit vulgärem „Du“ anreden: Sind diese denn überhaupt bereits des Lesens und Schreibens mächtig? Selbst die Benutzung der korrekten Courtoisie wird von Diesen mittlerweile in Frage gestellt. Das ist nichts weniger als skandalös.

    Ja, sicher, die neuerdings im Preußischen für die Abschaffung der korrekten Form der Ehrerbietung Plädierenden führen zwar jetzt dieses doch arg schwache Argument ins Feld:
    „Folgsamkeit und Achtung müssen sich die verwaltenden und urtheilenden Behörden durch den bei ihnen herrschenden Geist, durch ihre Handlungsweise, und wenn es nöthig ist, durch die ihnen zu Gebote stehenden Mittel zu verschaffen wissen, nicht durch veraltete, leere Formen“.

    Ich dagegen mag mit diesem ganzen neumodischen Tand nichts anfangen. Auch die vermeintlich feine und jedenfalls doch als modernes Mindestmaß zu erwartende Unterscheidung zwischen „Sehr verehrte Frau …“ und „Sehr geehrter Herr …“ scheint mir insgesamt viel zu grob. Unser gewachsenes, feingegliedertes System aus Benimm- und Kommunikationsregeln verkommt solcherart zur reinen Banalität, zur simplen Farce.

    Gestattet also, dass ich hiermit Euerliebden applaudierend und Derognaden zustimmend meiner Abscheu über die Verballhornung der theutschen Sprache ebenfalls Ausdruck verleihe.

    Euer Wohlgeboren gehorsamster und pflichtschuldigster Freund und Diener

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  5. Plietsche Jung schreibt:

    Junge Menschen entern die Bürolandschaften, da bleibt dieser Gender-Rotz und das Geduze einfach nicht aus. Die können halt nicht anders und schauen nur blöd aus der Wäsche, wenn man sie direkt darauf anspricht.

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  6. Michael schreibt:

    Ich werde da lieber von einem ehrlichen Händler geduzt als von einem verlogenen und betrügerischen Drecksack geehrt.
    Übrigens brauchts da keinen asiatischen Versand, Aldi duzt seine Kunden auch.

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  7. Leser schreibt:

    Hui, jetzt habe ich doch glatt eine Woche lang vergessen, hier reinzuschauen. Also: Das Duzen ist „modern, hipp“ und Jugendkultur. Nach dem Motto: Man geht davon aus, dass alle Kunden Anfang 20 sind (oder sich zumindest gerne noch mal so fühlen würden), und deshalb wechselt man zum „freundschaftlichen“ Du über. Lustig ist es dann, wenn lediglich die Rechtstexte wie Impressum oder AGB eine „Sie-Form“ enthalten, dann weiß man, woran man ist: Alles vorgeschoben und verlogen… 😉

    Ansonsten hat mit ein befreundeter Jurist mal verraten, die Schlussfloskel „Hochachtungsvoll“ bzw. „Mit vorzüglicher (evtl. auch noch kollegialer) Hochachtung“ in Briefen von Anwälten untereinander würde so viel bedeuten wie „LMAA“…
    Anstatt „Bleib Gesund“ könnte man ja eigentlich auch gleich offen und direkt „Gute Besserung“ schreiben ;-P

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