Begeben wir uns fast vier Jahrzehnte in die Vergangenheit.
Mein Vater ging gelegentlich abends nach Feierabend noch ein bisschen mit mir spazieren. Hin und wieder trafen wir Bekannte von ihm. Relativ häufig trafen wir Herrn Diehl, der in der Nähe unserer Spazierwege wohnte, und der nebenberuflich noch eine kleine Versicherungsvertretung innehatte.
Immer wieder bot er meinem Vater den Handel an, mich ihm für fünfzig oder gar hundert Mark zu verkaufen – angeblich als Gesellschaft für seine Tochter.
Mein Vater lehnte jedesmal kategorisch ab, gab ihm zu verstehen, ich sei unverkäuflich, und dass er „sei Annele“ keinesfalls hergeben werde. Ich fühlte mich sicher bei meinem Vater, und es gruselte mich bei dem Gedanken, bei fremden Leuten wohnen zu müssen [Genau diese Aussicht empfand ich so abschreckend, wenn meine Eltern mich warnten, ja nicht zu fremden Leuten ins Auto zu steigen, selbst wenn diese mir Eis oder Schokolade anböten. Und was würde dann mit meinen Kleidern, Spielsachen und anderen Habseligkeiten passieren?].
Daheim kam dieses Ansinnen wohl auch einmal zur Sprache. Meine Großmutter versprach mir hoch und heilig, mich zu verstecken, sollte Herr Diehl einmal hier auftauchen, und mich mitnehmen wollen.
Irgendwann war es dann soweit. Herr Diehl suchte unser Haus IIRC wegen einer Versicherungsangelegenheit auf. Ich weiß nicht mehr so recht, kann mich gar nicht erinnern, dass mein Vater dabei gewesen wäre.
Was ich aber noch ganz sicher weiß, ist, dass meine Großmutter keinerlei Anstalten machte, mich – wie sie es versprochen hatte – zu verstecken. Dadurch hat sie für alle Zeit mein Vertrauen in sie verwirkt.
nur zu recht. ich hasse solche inhaltsleeren sprüche auch. auch wenn sie ursprünglich mal trost spendeten.
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Es hat mich damals schwer enttäuscht, dass sie mich so im Stich gelassen hat. Das habe ich ihr nie verziehen.
Wer nicht die Absicht hat, ein gegebenes Versprechen auch einzuhalten, soll keine Versprechungen machen.
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ich verspreche selten bis nie etwas, weil, wenn doch, dann wird das gehalten. unter allen umständen. ich sehe, wir haben hier ein violent agreement 😉
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Klar. Auch ich verspreche nur sehr selten etwas, bzw. nur mit Vorbehalt.
Und ich bemühe mich dann, so sehr ich irgend kann, es zu halten.
Meine Großmutter hat’s nicht mal versucht.
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ja, in dem nichtversuchen besteht der vertrauensbruch.
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Aber… Ich kann ja verstehen, dass du als Kind enttäuscht warst. Aber nach dem, was du geschrieben hast, hat deine Oma ihr Versprechen nicht gebrochen.
„sollte Herr Diehl einmal hier auftauchen, UND mich mitnehmen wollen.“
Siehst du das etwa anders?
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An den genauen Wortlauf ihrer Formulierung erinnere ich mich nicht mehr, nur dass es darauf hinauslief, dass sie mich verstecken würde.
Damals hatte ich noch keine Ahnung von einer logischen Verundung, und meine Großmutter erst recht nicht.
Das „und“ ist im Kontext nicht als Boole’sche Verknüpfung zu sehen, sondern schlicht als parataktische Konjunktion.
Außerdem wäre es ziemlich sinnlos gewesen, mit dem Verstecken erst abzuwarten, bis es möglicherweise zu spät ist.
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Hattest Du große Angst? Und wie alt warst Du?
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Damals muss ich so drei oder vier Jahre alt gewesen sein. Zumindest ging ich noch nicht in die Schule.
Meine Mutter hatte mir erklärt, dass das nur ein Spaß war.
Teils war mir das schon klar, teils aber auch nicht so wirklich.
Damals fehlte mir noch die Lebenserfahrung, um das abschätzen zu können, so dass ich einfach lieber auf Nummer sicher gegangen wäre.
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Kinder verstehen solche Dinge lange nicht. Erst mit 9 oder 10 erkennen Sie z.B. Ironie und lernen zu unterscheiden.
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Das ist auch etwas, was aus den „alten“ Erziehungsmethoden herrührt: Die Kinder werden nicht ernst genommen, denn die phantasieren sich ja sowieso irgendwas zusammen. Einem Kind mag es vielleicht an Lebenserfahrung fehlen, aber gerade in einem so jungen Alter sind Kinder für gewöhnlich noch viel feinfühliger und bewusster, und nehmen Dinge wahr, die bei den Erwachsenen schon längst durch die Filtermechanismen im Hirn ausgeblendet werden.
So könnte es zum Beispiel sein, dass dieser Versicherungsmensch womöglich seine Tochter sexuell missbraucht hat, und sich ein zweites Opfer gewünscht und deshalb diese geschmacklosen „Witze“ gemacht hat, und daher war er Dir auch so unsympathisch. Muss nicht sein, kann aber. Kinder spüren so etwas eher, als Erwachsene, wo da eine Gefahr lauert (und diese Verbrechen haben eine so hohe Dunkelziffer, die nie zur Anzeige gebracht wird, dass man durchaus in Betracht ziehen kann, dass dahinter etwas derartiges hätte stehen können). Natürlich sollte man den Menschen aber auch, solange nichts in der Form erwiesen ist, nicht verteufeln, und heutzutage im Nachhinein diesen Verdacht zu äußern soll nicht dazu dienen, dem nachzugehen (wenn, dann ist das jetzt die Aufgabe des Opfers im Erwachsenenalter, oder wenn es das nicht will, dann ist auch das zu akzeptieren), sondern es war als Ansatz einer möglichen Erklärung gedacht, warum er Dir als Kind so unsympathisch war.
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Was fantasierst du da zusammen? Für solche Unterstellungen gibt es keinerlei Anlass.
Damals war es (zumindest in alten Heimat) völlig üblich, dass Männer mit Kindern von Bekannten solche Späßchen machen. Mein Vater hat den Nachbarskindern auch so einige lustige Bären aufgebunden.
Es ist schade, dass es heutzutage so gar keine Kommunikation mehr zwischen Männern und Kindern ihrer Bekannten zu geben scheint. Da hat sich eine richtige Paranoia etabliert, die du nur bestätigst.
Ich habe auch nichts von „unsympathisch“ geschrieben. So weit dachte ich gar nicht. Das war ein für mich völlig neutral ein Bekannter.
Den Scherz fand ich zwar nicht gerade lustig, aber immerhin erhielt ich etwas Aufmerksamkeit. Wenn ich mit meiner Mutter unterwegs war, und sie sich stundenlang mit irgendwelchen Bekannten unterhielt, stand ich oft nur gelangweilt daneben und wurde ignoriert.
Ich habe mich außerdem nie wirklich bedroht gefühlt, da mein Vater ja immer dabei war, wenn so etwas zur Sprache kam.
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„Es ist schade, dass es heutzutage so gar keine Kommunikation mehr zwischen Männern und Kindern ihrer Bekannten zu geben scheint.“
Auf diese Kommunikation, die du in deinem Eintrag beschreibst, kann man ja dann auch getrost verzichten. Die Leute damals in eurer Gegend hatten schon einen seltsamen Humor. Fast so wie die Mär vom schwarzen Mann. Gruselig!
Und was die angebliche fehlende Kommunikation betrifft: Das kann ich nun wieder gar nicht bestätigen. In meinem Bekanntenkreis ist es selbstverständlich und auch üblich, dass Männer mit Kindern ihrer Bekannten zu tun haben – ebenso wie es bei Frauen und Kindern von Bekannten üblich ist. Da bestehen keinerlei Unterschiede. Auch und vielleicht gerade deshalb, weil Männer mittlerweile gleichberechtigt in der Kindererziehung sind und somit mehr Kontakt zu anderen Kindern haben.
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