Keeping Things Going //2361

Die aktuelle Krise macht Carsten sehr zu schaffen.
Er ist es gewohnt, häufig unterwegs zu sein, um mit Kunden, Suppliern oder anderen Geschäftspartnern zu verhandeln. Das fällt jetzt ganz weg. Auch interne Besprechungen sind reduziert (nur die mit dem Betriebsrat haben zugenommen).
Wir wissen ja nicht, wie’s weiter geht, wie lange sich die jetzigen Zustände noch hinziehen und sich vermutlich sogar noch weiter verschärfen werden. Und das macht ihm große Sorgen.
Er sieht sein Lebenswerk in Gefahr. Und in der Tat – falls sich bis Ende April keine Perspektiven auf eine Normalisierung abzeichnen, werden rigide Maßnahmen sich nicht vermeiden lassen.
Weil er nicht länger schlafen kann, steht er schon früh um vier, fünf Uhr auf (weshalb der Morgensex ersatzlos entfällt), um so lange noch rumzuwerkeln, Dokumente zu lesen, Mails zu schreiben, ..

Unsere Vorhaben für neue und erweiterte Produktfeatures liegen erst mal auf Eis. Neuentwicklungen wären aktuell unnötiger Luxus. Wir müssen sehen, den operativen Betrieb nur wenigstens am Laufen zu halten. Alles nicht „systemrelevant“. Momentan sind unsere Kunden noch gut eingedeckt, aber wenn irgendwo ein Gerät defekt ist, können unsere Servicetechniker nicht hinreisen, um es zu reparieren. Im Laufe der Zeit wird sich das kumulieren. Neugeräte können momentan nicht geliefert werden. Mal schauen .. ich schätze, dass es in vielleicht einem halben Jahr dann plötzlich Probleme gibt, wenn mehr und mehr Geräte ausfallen, oder wenn keine Verbrauchsmaterialien (das Gerätependant für Klopapier) mehr vorhanden sind. Dann wird der Schrei groß sein.
Was macht ihr, wenn eure Waschmaschine, euer DSL-Router, euer Kühlschrank, euer Auto, .. irreparabel ausfällt, und nirgendwo dafür Ersatz aufzutreiben ist? Im Moment denkt noch niemand daran.
Würden wir ein halbes Jahr ohne Einnahmen überleben? Wir haben finanzielle Verpflichtungen. Unsere Arbeitnehmer müssten zeitweise mit Kurzarbeitergeld auskommen. Aber das ist lange nicht alles. Ich erspare euch die Aufzählung, bin nur froh, dass die meisten unserer genutzten Räumlichkeiten Firmeneigentum sind, und nur ein kleinerer Teil angemietet. Wir haben natürlich einige Rücklagen, aber erstens sind die nicht alle kurzfristig (ohne erheblichen Verlust) flüssig zu machen, zweitens reichen sie halt auch nur begrenzt.
Aber was interessiert euch das .. jeder hat sein eigenes Päckchen zu tragen.

Eigentlich hätte man annehmen können, dass wir – jetzt, da wir mehr Zeit haben – die Gelegenheit für häufigen Sex nutzen. Aber nicht nur der Morgensex fällt aus. Carsten scheint das körperliche Interesse ziemlich verloren zu haben. Wenn wir öfter als einmal pro Tag Sex haben, kann ich schon froh sein. Da nützen auch meine Verführungskünste nichts. Er blockt das ab, und lässt mich meistens erst gar nicht in seine Nähe kommen. Statt abends mit mir auf dem Sofa zu sitzen (was normalerweise von mindestens einem von uns zur Anbahnung genutzt wird), sitzt er am Computer, werkelt herum, liest Dokumente oder schreibt Mails.
Und wenn er nicht arbeitet, spielt er, oder läuft alleine draußen herum.

Endzeitstimmung greift um sich. Aber ich werde mir meinen Humor nicht so schnell nehmen lassen, und nicht nur noch katastrophierend-dystopisch denken.

Über Anne Nühm (breakpoint)

Die Programmierschlampe.
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18 Antworten zu Keeping Things Going //2361

  1. keloph schreibt:

    ich glaube, den entscheidenden satz hast du am anfang geschrieben….“sieht sein lebenswerk in gefahr“. in einer solchen situation ist der kopf im overdrive und nicht frei, obwohl fallenlassen temporär eine grosse entspannung wäre. da bei euch auch noch eine menge anderer interessen berührt sind, ist gelassenheit und optimismus sicherlich oberstes gebot. ich drück euch die daumen dafür.

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  2. mijonisreise schreibt:

    Eine wahrlich schwere Situation, sowohl geschäftlich, als auch persönlich. Ich hoffe, wir alle kommen ohne größeren Schäden aus der Krise raus.

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  3. Leser schreibt:

    Ja, Stress schränkt die Libido stark ein, vor allem bei Männern – aber dabei ist auch zu bedenken, dass der Stress, den man sich selbst in so einer Situation macht, meist stark kontraproduktiv ist. Nur benötigt es dafür ein Mindestmaß an Reflektionsfähigkeit, um das auch zu erkennen. Dann könnte man ab einem gewissen Punkt auch einfach loslassen und sagen: „Ich habe es nicht mehr in der Hand, was die Zukunft bringt, und ob es gut oder schlecht ist – was auch immer passiert – kann ich jetzt auch noch nicht wissen.“ Man hat sein Möglichstes getan, und alles, was man ab diesem Moment noch versucht und tut, ist lediglich vergleichbar mit den durchdrehenden Reifen eines im Schlamm feststeckenden Fahrzeugs: Es bewegt sich nichts mehr vor oder zurück, allenfalls kann man sich selbst noch tiefer eingraben. Mir fällt kein anderes Beispiel dazu ein. Wenn man in der Lage ist, das zu erkennen, dann kann man auch loslassen, und die Dinge so nehmen, wie sie kommen. Ob das Lebenswerk dadurch zerstört wird oder nicht, hat man dann schlicht nicht mehr in der Hand. Aber was man in der Hand hat, ist, ob man sich darin verliert und so davon zugrunde richten lässt, oder ob man eben einfach sagt: „Ich habe alles gemacht, was ging, es hat trotzdem nicht sollen sein. Schade, aber nicht zu ändern, also muss ich es hinnehmen.“ Und wenn man mit dieser Gelassenheit an die Sache rangeht, kommt es vielleicht auch gar nicht so schlimm, und man geht womöglich sogar gestärkt aus der Krise hervor. Ich wünsche jedem, dass er dazu in der Lage ist, diese Tatsache (kurz zusammengefasst mit: „Es ist, wie es ist“) zu erkennen.

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    • Ändern an der Situation kann er freilich nichts. Aber es geht ihm darum, die Auswirkungen für die Firma und die Belegschaft zu minimieren und zu mildern.
      Auch dafür muss er immer wieder neue Entscheidungen treffen, die es stark beeinflussen, wie es weitergeht. Und das, ohne dass eine zuverlässige Zeitplanung möglich wäre.

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      • Leser schreibt:

        Worauf ich hinaus wollte, ist, dass er nur eine gewisse Menge an Dingen tun kann, um die Auswirkungen für die Firma und die Belegschaft zu minimieren und zu mildern. Wenn das alles getan ist (was irgendwann mal der Fall ist, auch wenn jeden Tag neue Sachen hinzu kommen), dann ist alles, was man dann noch darüber hinaus tut bzw. meint, tun zu müssen, lediglich Unrast.

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  4. blindfoldedwoman schreibt:

    Wieso können Eure Techniker nicht beim Kunden arbeiten?

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  5. blindfoldedwoman schreibt:

    „Wenn wir öfter als einmal pro Tag Sex haben, kann ich schon froh sein.“ Was habt ihr denn sonst für eine Quote? 😯

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  6. Pingback: Zwitschereien von vor Ostern //2469 | breakpoint

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