Eine Vogelgeschichte //2326

Das Dekameron von Boccaccio besteht aus hundert Kurzgeschichten und Novellen. Eine der berühmtesten Geschichten ist die Falkennovelle, die ich zunächst kurz zusammenfasse:

Ein Edelmann verliebte sich in eine adelige Dame. Um um sie zu werben, veranstaltete er große Feste, machte teure Geschenke, und verprasste so sein ganzes Vermögen. Die Dame unterdessen ignorierte seine Anstrengungen.
Dem Edelmann blieb schließlich nur ein kleines Bauerngut auf dem Lande, sowie sein edler Jagdfalke, der ein besonders schönes, treues Tier war.
Nach einiger Zeit verstarb der Ehemann der Dame, und diese zog mit ihrem Sohn in die Nähe des Bauerngutes des Edelmanns.
So ergab es sich, dass der Sohn den Falken beobachten konnte, und sich mit dem Edelmann anfreundete. Zu gerne hätte er selbst diesen Falken besessen, aber er sah, wie wichtig jenem der Falke war, so dass er sich nicht traute, um ihn zu bitten.
Als der Junge aber schwer erkrankte, erzählte er seine Mutter, dass er so gerne den Falken hätte, und dann bestimmt wieder gesund würde.
Also ging die Dame den Edelmann besuchen. Anstatt sofort mit ihrem Anliegen herauszurücken, erklärte sie zunächst, dass ihr Besuch die Entschädigung für ihr früheres Verhalten sei. Sie sei gekommen, um deshalb mit ihm zusammen zu essen.
Dieser freute sich darüber, hatte aber keine Speisen zur Hand, um sie ihr vorzusetzen. Kurzerhand tötete er seinen Falken, und ließ ihn zubereiten.
Nach dem Essen sagte die Dame schließlich, warum sie gekommen war.
Weinend zeigte er ihr die Federn des Falkens.
Ein paar Tage später starb der Sohn.
Die Dame war aufgrund ihrer Erbschaft reich, und wurde nach einiger Zeit von ihren Brüdern gedrängt, noch ein zweites Mal zu heiraten, worauf sie sich für den Edelmann entschied.

Man kann die ganze Angelegenheit als Kommunikationsproblem abtun, aber ich sehe noch einige weitere Punkte:
* Der Edelmann kann nicht mit Geld umgehen. Er vergeudet sein ganzes Vermögen für sein Subjekt der Begierde, obwohl sie ihn nie dazu ermuntert hat.
* Sie bringt ihn in eine unmögliche Situation, drängt sich ihm zum Essen auf, obwohl sie genau weiß, wie arm er ist. Hier wäre einzig vernünftig gewesen, von vornherein Klartext zu reden.
* Er bringt seinen besten Freund, der immer loyal zu ihm gewesen war, völlig ohne Skrupel um. Absolut unnachvollziehbar. Mit solchen Leuten würde ich nichts zu tun haben wollen.
* An so einem Falken ist doch gar nicht viel Fleisch dran. Trotzdem dauert die Zubereitung längere Zeit. Von Beilagen ist nicht die Rede.
* Dass sie letztendlich doch noch heiraten, sehe ich nicht als Happy End. Aber irgendwie haben beide einander verdient.

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Über Anne Nühm (breakpoint)

Die Programmierschlampe.
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17 Antworten zu Eine Vogelgeschichte //2326

  1. Mia schreibt:

    Da haben wir’s: Die Männer ließen sich schon in grauer Vorzeit an der Nase herumführen, waren manipulativ und schwanzgesteuert (und sind es noch immer), und die Frauen wussten diese Schwächen mit allen Mitteln für sich zu nutzen (und tun es nach wie vor).

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  2. Talianna schreibt:

    Menschen tun, um sich keine klare Abfuhr zu holen, den unmöglichsten Mist, nur weil ein klar formuliertes Anliegen ein klar formuliertes Nein nach sich ziehen könnte – und handeln sich damit nicht zuletzt Selbsthass ein.

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  3. bluemidan schreibt:

    das ist eine Novelle, der Falke ist auch ein Symbol.
    Liebe ist nicht rational zu erklären und ist nicht logisch. Wenn man jemanden sehr liebt, gibt man sein Liebstes für ihn und manchmal erkennt man erst spät, wie wertvoll ein Mensch ist.
    Wenn man jemand liebt, spielt Geld keine Rolle, der Charakter ist wichtig.
    Aus Liebe tut man oft verrückte und unlogische Dinge, Gefühle kann man nicht logisch erklären, sie sind da und lieben und geliebt zu werden ist wunderbar.

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  4. carnofis schreibt:

    „An so einem Falken ist doch gar nicht viel Fleisch dran. Trotzdem dauert die Zubereitung längere Zeit. Von Beilagen ist nicht die Rede.“

    Ich glaube, Du bist die Erste seit 1350, die diesem Aspekt in der Geschichte Aufmerksamkeit geschenkt hat Hattest Du zufälligerweise gerade Hunger, als Du die Gedanken aufgeschrieben hattest? 😀

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  5. ednong schreibt:

    Wie gut, dass ich solcherlei nicht kenne. Habe solche Geschichten noch nie gemocht. Wahrscheinlich, weil mir das alles zu unlogisch erscheint.

    Dann noch draus zu schließen, dass Männer schon immer schwanzgesteuert waren und sind und Frauen es schon immer ausgenutzt haben ist bestimmt nicht die Absicht des Autoren. Aber was weiß ich schon ….
    … könnte man ja auch draus schließen, das Frau schon immer die Schwächere/Dümmere/was-weiß-ich-noch-alles war. Man oh man.

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  6. Plietsche Jung schreibt:

    Falken schmecken nicht.
    Und diese Geschichte liest sich wie eine Psychoanalyse.
    Was für Spiele spielst du gerade ??

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    • Glaube auch, dass Falken kein kulinarischer Genuss sind. Sprichst du aus Erfahrung?

      Keine anderen Spiele als sonst auch. Hab das Buch kürzlich mal wieder gesehen, und mich an die Falkenstory erinnert. Da ich sonst derzeit nicht allzu viel Blogstoff habe, erschien mir das als geeignetes Thema für zwischendurch.

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  7. Wol Sche schreibt:

    Wer sich noch nie für eine Frau zum Affen machte, werfe den ersten Stein.

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  8. Pingback: Gezwitschertes //2440 | breakpoint

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