Wurmloch im Paradies //2229

Den Feiertag hatten wir uns frei von Verpflichtungen gehalten, um richtig ausspannen zu können. Carsten hatte zwar erwogen, etwas zusammen mit seinen Enkeln zu unternehmen, aber da Patrick sich für ein verlängertes Wochenende in der Stadt aufhält, ließ er das bleiben.
Eigentlich hatte ich mal wieder Schwimmen gehen wollen, aber aufgrund einer kleinen Erkältung entschied ich mich doch dagegen. Wenn meine Abwehrkräfte mit Aktivierung meines Immunsystems beschäftigt sind, tut mir erfahrungsgemäß der Aufenthalt im Wasser nicht gut.
Mittags gingen wir zum Essen in die Stadtmitte.

Ich hatte es mir ja die letzten Tage über verkniffen, Carsten auf das Zusammentreffen mit Beate anzusprechen. Aber inzwischen war einige Zeit vergangen, so dass ich eigentlich auch keinen Grund sah, die Angelegenheit totzuschweigen, zumal Carsten seither zwischen Zerstreutheit und Mürrischkeit oszillierte.
„Als wir bei Sonja waren“, begann ich, „war da auch Gideon’s Schwester, Beate. War das die Beate, die das frühere Firmenlogo entworfen hatte, und mit der du damals eine Affäre hattest?“
„Hm“, murmelte er halb geistesabwesend.
„Wenn ich mich recht erinnere“, fuhr ich fort, „seid ihr dann im Unfrieden auseinandergegangen.“
„Könnte man so sagen“, gab er – inzwischen aufmerksamer – zu.
„Weil du – obwohl noch mit Lydia liiert – dich mit Ingrid verlobt hast.“
„So war das wohl“, antwortete er ärgerlich, „und was willst du jetzt wissen? Das ist alles schließlich über ein Vierteljahrhundert, bald dreißig Jahre her.“
„Es schien mir auf der Party, als ob sie noch mit dir reden wollte.“
„Ich aber nicht mit ihr. Es gibt nichts zu sagen.“
„Vielleicht wirst du sie wieder öfter sehen, wenn Sonja weiterhin mit Gideon zusammen bleibt“, gab ich zu bedenken.
„Du brauchst dir keine Gedanken über sie zu machen. Das ist eine zahnlose Schlange in unserem Paradies. “
„Auch eine Würgeschlange kann einem die Luft abschnüren“, führte ich seine Metapher weiter.
„Sie ist höchstens eine Blindschleiche.“
„Das ist keine Schlange“, korrigierte ich, „sondern eine Echse.“
„Meinetwegen ein Wurm. Vergiss sie.“
Ein Wurm im Apfel macht ihn wurmig und nach einiger Zeit ungenießbar.

Ach, du meine Güte!, hört sich das seifenoprig an, wenn ich jetzt noch mal drüberlese.
Mir fehlt auch völlig die Überleitung, aber irgendwie gelang Carsten der Twist, das Thema zu wechseln, und wir sprachen plötzlich über den geplanten Führungswechsel bei Standort 6.
Jason hatte – nach ein paar Tagen Bedenkzeit – zugestimmt, die technische Geschäftsführung bei Standort 6 zu übernehmen. Er hatte sich vor einiger Zeit eine Wohnung außerhalb der Stadt zur Eigennutzung gekauft. Auf Dauer ist der Arbeitsweg zu Standort 6 zu weit. Er wird die Wohnung wohl mittelfristig vermieten, und sich etwas anderes näher an Standort 6 suchen.
Jedenfalls erwähnte ich, dass ich es bedauere, Jason in Zukunft nur noch selten zu sehen.
„Es war doch deine eigene Idee, ihn zu Standort 6 zu befördern.“
„Ja, war es. Und mir war klar, dass ich dann kaum noch mit ihm persönlich zusammentreffe. Trotzdem kann ich diesen Aspekt doch schade finden.“ Warum muss ich mich überhaupt rechtfertigen?
„Glaub ja nicht, dass es mir entgangen ist, wie du immer mit Jason flirtest.“
„Völlig harmlos.“
„Davon gehe ich aus. Ich schätze Jason ebenfalls sehr.“
Da der Kellner gerade kam, um abzukassieren, beendeten wir das Gespräch.

Auf dem Rückweg sprachen wir über unverfänglichere Themen.
Nicht nur anlässlich des Feiertages vereinigten wir uns daheim wieder und wieder.

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Über Anne Nühm (breakpoint)

Die Programmierschlampe.
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19 Antworten zu Wurmloch im Paradies //2229

  1. keloph schreibt:

    ich rede mit meiner liebsten über meine vergangenheit ganz offen. aber nicht immer gerne.

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  2. blindfoldedwoman schreibt:

    In einem Groschenroman würde jetzt bald ein uneheliches Kind aus dieser Beziehung auftauchen. 😅

    Gefällt 1 Person

  3. Plietsche Jung schreibt:

    Du säst eine Saat, die du nicht ernten willst.
    Ich kann dir nur raten, dieses Bohren zu lassen.

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  4. Pingback: Im Oktober getwittert //2387 | breakpoint

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