Die Willkür der Walküre #breakpointUrlaub2019 //2199

Eigentlich war ich ursprünglich nicht sicher, ob ich über die folgende Urlaubsbegebenheit bloggen soll, aber jetzt mache ich es halt doch, wenn auch etwas gekürzt. Es wird zwar noch ein paar andere Beiträge geben, die vom Urlaub zumindest inspiriert sind, die habe ich aber noch nicht fertig ausformuliert.

Es war gleich am ersten Abend, als wir im Hotelrestaurant aßen. Ich trug meinen kürzesten Rock, wie ich es mir im Büro niemals erlauben würde. Er war fast nur ein breiter Gürtel, der gerade so die hinteren Backen bedeckte (solange ich mich nicht bückte). Dazu ein piteltransparentes Top. Unter beidem nichts drunter. Ja, das wirkte schon leicht nuttig, aber im Urlaub darf ich das. Und in ein paar Jahren bin ich dafür vielleicht eh zu alt.
Wir waren gerade im Begriff, uns an unserem Tisch niederzulassen, als plötzlich eine Stimme von hinten rief: „Carsten? Carsten Klugsch? Bist du das?“

Carsten sah auf. Eine Frau in den Mittfünfzigern in Begleitung eines Mannes hatte Carsten angesprochen. Sie trug ein fast bodenlanges Hängekleid, bei dem ich mich unwillkürlich fragte, welche Unmengen an Stoff dafür draufgegangen waren. Der Ausschnitt nötigte zum unfreiwilligen Blick auf das Wabern der extensiven Brüste. Sie war der Typus, bei dem Carsten sonst bemerkt „Was ist ihr Mann nur mit ihr gestraft!“ oder „Da hätte ich dich schon längst rausgeschmissen“.
„Ich bin Ortraud“, erklärte sie“, „ich hatte mit Ingrid studiert. Wir haben uns bei $Ereignis mal kennengelernt. Ist Ingrid auch hier? Wie geht es ihr?“
Was ist doch die Welt klein, dass hier im abgelegensten Winkel Leute auftauchen, die Carsten früher mal gekannt haben. Und was muss man für ein Personengedächtnis haben, um jemanden wiederzuerkennen, den man vor über zwanzig Jahren mal beiläufig kennengelernt hat?

„Ingrid ist vor achteinhalb Jahren gestorben.“
„Ach, das ist traurig! Das habe ich nicht mitbekommen. Deshalb habe ich schon so lange nichts mehr von ihr gehört. Mein allerherzlichstes Beileid!“
„Das ist Anne, meine Frau“, stellte Carsten mich nun vor.
Ortraud ignorierte mich, während ihr Begleiter mich mit Blicken auszog und zu verschlingen trachtete.
„Es muss schwer sein, eine Frau wie Ingrid zu verlieren. Sie war unersetzlich.“
„Für unsere Töchter war es nicht leicht.“
„Ach die beiden Mädchen! Ich erinnere mich, dass das so süße, reizende Kinder waren. Was machen die zwei denn?“
„Sie sind inzwischen auch Mütter“, antwortete Carsten knapp. Kein Grund zu erwähnen, dass die eine derzeit noch alleinerziehend ist, und die andere in einer lesbischen Partnerschaft lebt.
„Ach wie lieb! Zu schade, dass wir morgen bereits abreisen. Sonst hätten wir mal was zusammen unternehmen können“, fuhr Ortraud wie ein Wasserfall fort.
Carsten brummte nur etwas, was man als Zustimmung hätte interpretieren können. Oder auch nicht.

Ortraud fuhr fort: „Ach, was war Ingrid doch für eine liebe Freundin! So warmherzig und immer auch für andere da. Trotzdem hatte sie ein intuitives Gespür für Betriebswirtschaft, wie ich es nur selten erlebt habe. Sie konnte tatsächlich eins und eins zusammenzählen.“ Während sie mich die ganze Zeit über nicht zur Kenntnis genommen hatte, warf sie mir plötzlich einen Blick zu und fragte brüsk in meine Richtung: „Können Sie das auch? Was ergibt eins und eins?“
Aufgrund ihrer unerwarteten Aufmerksamkeit war ich etwas irritiert. Außerdem war die kontextlose Art ihrer Fragestellung nicht eindeutig. Meinte sie Verundung (result = 1), oder Addition (binär result = 10, dezimal result = 2), oder etwa Stringkonkatenation (result = ’11‘)? Also fragte ich zurück: „Was? Wie genau meinen Sie das?“
„Also nicht!“, nickte sie zufrieden, „das dachte ich mir doch.“
Carsten ergriff das Wort und stellte klar: „Für meine Bedürfnisse reichen die Fähigkeiten von Anne.“
Ich setzte mein sanftestes Lächeln auf und schwieg vielsagend, während Carsten mir seinen gesunden Arm um die Taille legte, und mich enger an sich zog.

Ortraud schien verdattert und indigniert, entschloss sich wohl dann zum Rückzug.
„Vielleicht sehen wir uns später noch an der Bar?“, fragte sie noch.
„Wir haben bereits andere Pläne“, antwortete Carsten. Diese Pläne waren unmittelbar zuvor erst entstanden, und bestanden darin, gerade nicht an die Bar zu gehen.
„Schade. Naja, schön, dich mal wiedergetroffen zu haben.“

Nach ein paar allgemeinen Abschiedsfloskeln, watschelte Ortraud davon. Ich hörte noch, wie sie ihren Begleiter anraunzte: „Glotz nicht so! Ihr Männer seid so oberfläch..“

Über Anne Nühm (breakpoint)

Die Programmierschlampe.
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34 Antworten zu Die Willkür der Walküre #breakpointUrlaub2019 //2199

  1. ednong schreibt:

    Oh wei oh wei. Da habt ihr ja echt Glück gehabt.
    Und Männer sind oberflächlich, soso.

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  2. Plietsche Jung schreibt:

    Klugsch klingt wie eine Abkürzung von Klugscheißer 🙄

    Die Situation ist doch vielsagend. Sie wird dich googeln und sich auf die Lippe beißen.

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  3. mijonisreise schreibt:

    Da fehlen einem fast die Worte 🙈

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  4. keloph schreibt:

    so kann es gehen. peinlich für alle, aber unvermeidlich. da hilft nur professionalität in der behandlung solcher situationen. habt ihr glaube ich ganz gut gemacht.

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  5. blindfoldedwoman schreibt:

    Was doch auffällt, wie beliebt Ingrid wohl war. Sie muss eine besondere Frau gewesen sein, wenn so viele Leute so positiv von ihr sprechen.

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  6. Mia schreibt:

    Goldig wie ihr zwei Damen eure Stutenbissigkeit auslebt. Daumen hoch!

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  7. MartinTriker schreibt:

    Manchmal muss man Glück haben. So wie ihr, weil die Frau am nächsten Tag abreiste. Stell dir vor, die wäre noch ein paar Tage da gewesen. Das versaut einem doch den Urlaub.

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  8. blindfoldedwoman schreibt:

    Was ist „piteltransparent“ für eine Wortschöpfung?

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  9. Pendolino70 schreibt:

    Dein Einsatz für die Männergesundheit muss an dieser Stelle nochmal gewürdigt werden. Jeder Mann, der dich im Restaurant beobachtet hat und nicht in Wallung geraten ist sollte dringend zum Arzt gehen und seine Gefässe checken lassen 😉.
    Bei dieser Geschichte fällt einem das geschlossene Boudoir ein, das nicht mehr gefüllt wird 😕.

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    • Dankeschön. Aber ganz so war’s auch nicht.
      Im Hotel waren ja hauptsächlich Paare (auch mindestens ein schwules Pärchen dabei). Da haben sich die Männer normalerweise schon auf ihre eigene Partnerin konzentriert.

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    • Mia schreibt:

      Naja, es gibt neben schwulen Männern zum Glück auch noch Männer, deren Geschmack eben nicht die zu groß geratene Frau mit den langen Haaren und der leicht nuttigen Kleiderordnung ist. Und die sollen alle ein Fall für den Gefäßspezialisten sein??

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