Eigentlich war ich ursprünglich nicht sicher, ob ich über die folgende Urlaubsbegebenheit bloggen soll, aber jetzt mache ich es halt doch, wenn auch etwas gekürzt. Es wird zwar noch ein paar andere Beiträge geben, die vom Urlaub zumindest inspiriert sind, die habe ich aber noch nicht fertig ausformuliert.
Es war gleich am ersten Abend, als wir im Hotelrestaurant aßen. Ich trug meinen kürzesten Rock, wie ich es mir im Büro niemals erlauben würde. Er war fast nur ein breiter Gürtel, der gerade so die hinteren Backen bedeckte (solange ich mich nicht bückte). Dazu ein piteltransparentes Top. Unter beidem nichts drunter. Ja, das wirkte schon leicht nuttig, aber im Urlaub darf ich das. Und in ein paar Jahren bin ich dafür vielleicht eh zu alt.
Wir waren gerade im Begriff, uns an unserem Tisch niederzulassen, als plötzlich eine Stimme von hinten rief: „Carsten? Carsten Klugsch? Bist du das?“
Carsten sah auf. Eine Frau in den Mittfünfzigern in Begleitung eines Mannes hatte Carsten angesprochen. Sie trug ein fast bodenlanges Hängekleid, bei dem ich mich unwillkürlich fragte, welche Unmengen an Stoff dafür draufgegangen waren. Der Ausschnitt nötigte zum unfreiwilligen Blick auf das Wabern der extensiven Brüste. Sie war der Typus, bei dem Carsten sonst bemerkt „Was ist ihr Mann nur mit ihr gestraft!“ oder „Da hätte ich dich schon längst rausgeschmissen“.
„Ich bin Ortraud“, erklärte sie“, „ich hatte mit Ingrid studiert. Wir haben uns bei $Ereignis mal kennengelernt. Ist Ingrid auch hier? Wie geht es ihr?“
Was ist doch die Welt klein, dass hier im abgelegensten Winkel Leute auftauchen, die Carsten früher mal gekannt haben. Und was muss man für ein Personengedächtnis haben, um jemanden wiederzuerkennen, den man vor über zwanzig Jahren mal beiläufig kennengelernt hat?
„Ingrid ist vor achteinhalb Jahren gestorben.“
„Ach, das ist traurig! Das habe ich nicht mitbekommen. Deshalb habe ich schon so lange nichts mehr von ihr gehört. Mein allerherzlichstes Beileid!“
„Das ist Anne, meine Frau“, stellte Carsten mich nun vor.
Ortraud ignorierte mich, während ihr Begleiter mich mit Blicken auszog und zu verschlingen trachtete.
„Es muss schwer sein, eine Frau wie Ingrid zu verlieren. Sie war unersetzlich.“
„Für unsere Töchter war es nicht leicht.“
„Ach die beiden Mädchen! Ich erinnere mich, dass das so süße, reizende Kinder waren. Was machen die zwei denn?“
„Sie sind inzwischen auch Mütter“, antwortete Carsten knapp. Kein Grund zu erwähnen, dass die eine derzeit noch alleinerziehend ist, und die andere in einer lesbischen Partnerschaft lebt.
„Ach wie lieb! Zu schade, dass wir morgen bereits abreisen. Sonst hätten wir mal was zusammen unternehmen können“, fuhr Ortraud wie ein Wasserfall fort.
Carsten brummte nur etwas, was man als Zustimmung hätte interpretieren können. Oder auch nicht.
Ortraud fuhr fort: „Ach, was war Ingrid doch für eine liebe Freundin! So warmherzig und immer auch für andere da. Trotzdem hatte sie ein intuitives Gespür für Betriebswirtschaft, wie ich es nur selten erlebt habe. Sie konnte tatsächlich eins und eins zusammenzählen.“ Während sie mich die ganze Zeit über nicht zur Kenntnis genommen hatte, warf sie mir plötzlich einen Blick zu und fragte brüsk in meine Richtung: „Können Sie das auch? Was ergibt eins und eins?“
Aufgrund ihrer unerwarteten Aufmerksamkeit war ich etwas irritiert. Außerdem war die kontextlose Art ihrer Fragestellung nicht eindeutig. Meinte sie Verundung (result = 1), oder Addition (binär result = 10, dezimal result = 2), oder etwa Stringkonkatenation (result = ’11‘)? Also fragte ich zurück: „Was? Wie genau meinen Sie das?“
„Also nicht!“, nickte sie zufrieden, „das dachte ich mir doch.“
Carsten ergriff das Wort und stellte klar: „Für meine Bedürfnisse reichen die Fähigkeiten von Anne.“
Ich setzte mein sanftestes Lächeln auf und schwieg vielsagend, während Carsten mir seinen gesunden Arm um die Taille legte, und mich enger an sich zog.
Ortraud schien verdattert und indigniert, entschloss sich wohl dann zum Rückzug.
„Vielleicht sehen wir uns später noch an der Bar?“, fragte sie noch.
„Wir haben bereits andere Pläne“, antwortete Carsten. Diese Pläne waren unmittelbar zuvor erst entstanden, und bestanden darin, gerade nicht an die Bar zu gehen.
„Schade. Naja, schön, dich mal wiedergetroffen zu haben.“
Nach ein paar allgemeinen Abschiedsfloskeln, watschelte Ortraud davon. Ich hörte noch, wie sie ihren Begleiter anraunzte: „Glotz nicht so! Ihr Männer seid so oberfläch..“
Oh wei oh wei. Da habt ihr ja echt Glück gehabt.
Und Männer sind oberflächlich, soso.
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Du bist aber heut früh auf!
Also, mir ist schon klar, dass Männer gerne in die Tiefe gehen.
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Klugsch klingt wie eine Abkürzung von Klugscheißer 🙄
Die Situation ist doch vielsagend. Sie wird dich googeln und sich auf die Lippe beißen.
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Carsten ist ja eben der, der Klugsch heißt (zumindest manchmal).
Da ich einen anderen Nachnamen habe (den sie nicht erfahren hat), wird sie mich nicht so schnell finden, es sei denn, sie googlet direkt nach der Firma. Ob sie sich den Aufwand gemacht hat? Glaub‘ eher nicht. Und übrigens ist die Begebenheit inzwischen ja auch schon wieder ein paar Wochen her.
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Klugsch* ist schon ein komischer Name.
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Auch nicht komischer als Dünnsch oder Reinsch.
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Hihihi….. stimmt…. 😊
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Da fehlen einem fast die Worte 🙈
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Manchmal ist Schweigen Gold. 😈
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Allerdings 😂😂😂👌😈
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so kann es gehen. peinlich für alle, aber unvermeidlich. da hilft nur professionalität in der behandlung solcher situationen. habt ihr glaube ich ganz gut gemacht.
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Einerseits sind solche Begegnungen immer unangenehm, andererseits – zumindest im Nachhinein – doch auch ein bisschen amüsant.
Ach, was bin ich wieder mal böse ..
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und der plötzliche vermeidungsplan hatte sicher auch angenehme seiten 🙂
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Was doch auffällt, wie beliebt Ingrid wohl war. Sie muss eine besondere Frau gewesen sein, wenn so viele Leute so positiv von ihr sprechen.
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Vermutlich war sie das.
Ich trete mir trotzdem lieber meine eigenen Fußstapfen.
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Natürlich. Mit einer Toten kann man auch nicht konkurrieren. Den Schuh sollte man sich nicht anziehen.
„Trotzdem hatte sie ein intuitives Gespür für Betriebswirtschaft, wie ich es nur selten erlebt habe. Sie konnte tatsächlich eins und eins zusammenzählen.“ Was hat Ingrid denn studiert? BWL? Bislang hatte man als Leser den Eindruck, sie wäre nur Mutter und Hausfrau gewesen, ohne großen Intellekt.
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Sie war Betriebswirtin, hatte auch in den Anfangsjahren beim Aufbau der Firma mitgearbeitet.
Später ist sie dann aber bei den Kindern daheim geblieben.
Soweit ich Carsten verstanden habe, hat sie zwar noch gelegentlich bei der Firma vorbeigeschaut, ist wohl auch ein paar Mal als Urlaubs- oder Krankheitsvertretung eingesprungen, aber hatte kein nachdrückliches Interesse mehr an der Firma.
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Das ist wohl so. Dennoch stellt dies keinen Grund dar, Anne in dieser Art und Weise als zweit- oder gar drittklassig hinzustellen. Um so peinlicher wenn man nicht mal weiß was die Person gegenüber auf der Pfanne hat, die so düpiert wird. Insofern finde ich das Verhalten der Wallküre widerlich.
Anne Du hättest Sie wirklich fragen sollen, wie Dir das durch den Kopf geschossen ist – dass wäre sehr lustig geworden.
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Ich kenne das nur in Bezug auf deutlich jüngere Frauen als Anne, die Männer Carstens Alter sich dann zulegen. Selbst wo es offensichtlich ist, kann man sich seinen Teil denken und beleidigt nicht andere.
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Ach, sie hat ihre Retourkutsche ja bekommen.
Und ich fand, ehrlich gesagt, Carsten’s Reaktion viel belustigender, als wenn ich sie aufgeklärt hätte.
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Naja, den Spruch wird sie vermutlich interpretiert haben als „Sie ist gut im Bett, und mehr will ich nicht“, so oberflächlich, wie sie sich selbst dargestellt hat (zumindest nach dieser Erzählung)…
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Genau diese Interpretation war beabsichtigt.
Hach .. ich mag seinen Humor!
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Goldig wie ihr zwei Damen eure Stutenbissigkeit auslebt. Daumen hoch!
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Welche „Damen“?
Mehr hab ich nicht gesagt.
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Dann formuliere ich neu: Goldig wie ihr zwei Damen eure Stutenbissigkeit auslebt – sie verbal und du schriftlich Daumen hoch!
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Manchmal muss man Glück haben. So wie ihr, weil die Frau am nächsten Tag abreiste. Stell dir vor, die wäre noch ein paar Tage da gewesen. Das versaut einem doch den Urlaub.
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Wie recht du hast, Martin! 😯
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Was ist „piteltransparent“ für eine Wortschöpfung?
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Statt halbtransparent nur 1/π transparent. Selbstverständlich nur näherungsweise.
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Dein Einsatz für die Männergesundheit muss an dieser Stelle nochmal gewürdigt werden. Jeder Mann, der dich im Restaurant beobachtet hat und nicht in Wallung geraten ist sollte dringend zum Arzt gehen und seine Gefässe checken lassen 😉.
Bei dieser Geschichte fällt einem das geschlossene Boudoir ein, das nicht mehr gefüllt wird 😕.
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Dankeschön. Aber ganz so war’s auch nicht.
Im Hotel waren ja hauptsächlich Paare (auch mindestens ein schwules Pärchen dabei). Da haben sich die Männer normalerweise schon auf ihre eigene Partnerin konzentriert.
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Naja, es gibt neben schwulen Männern zum Glück auch noch Männer, deren Geschmack eben nicht die zu groß geratene Frau mit den langen Haaren und der leicht nuttigen Kleiderordnung ist. Und die sollen alle ein Fall für den Gefäßspezialisten sein??
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