Safe Space? Nein. //1992

Das Treffen von Philipp und einer Bewerberin hatte ich so schön eingefädelt, aber – ich sag’s euch gleich – aus den beiden wird wohl nichts werden.

Philipp und ich waren mit unserer Besprechung planmäßig fast fertig, als das Telefon klingelte. Der Pförtner gab mir Bescheid, dass die Bewerberin unten sei.
Ich erklärte Philipp, dass wir unser Gespräch gleich noch beenden würden, ich müsse nur erst mal schnell runter an die Pforte, um einen Stellenbewerber abzuholen.
Die Bewerberin erschien mir recht nett und aufgeschlossen. Sie war zwar nicht ganz schlank und trug kurze Haare, aber alles noch im akzeptablen Bereich. Etwa HB6.5 würde ich sagen. Wir wechselten ein paar Worte auf der Treppe. Insgesamt machte sie einen positiven Eindruck.

Ich bat sie dann, noch einige Minuten bei der Sitzgruppe beim Vorzimmer zu warten, da ich gerade noch einen weiteren Gast hätte, den ich noch verabschieden müsse.
Mit Philipp war ich dann gleich fertig. Wir hatten nur noch unsere weitere Terminplanung abgestimmt. Da ich ihm noch versprochen hatte, ihm etwas auszudrucken, musste er dann noch ein paar Minuten warten, in denen ich bereits die Bewerberin von draußen hereinbat.
Es war ein Ausdruck der Höflichkeit, dass ich sie einander vorstellte. Und da erschien mir die Bewerberin plötzlich ganz verändert. Sie wirkte plötzlich ängstlich, ihr Selbstbewusstsein dahin. Sie brachte kaum noch ein Wort heraus (mit den Vorzimmerdamen dagegen hatte sie sich kurz ganz gut unterhalten, wie ich später von diesen erfuhr). Wenn ein netter, denkbar harmloser Mann wie Philipp, der nun wirklich überhaupt nicht bedrohlich wirkt, es schon schafft, sie allein durch seine Gegenwart dermaßen einzuschüchtern, wie will sie später im Geschäftsleben bestehen, und mit Kunden verhandeln? Da kann sie wirklich froh sein, dass Carsten ihr nicht zufällig über den Weg gelaufen ist.
Ihr Vater hatte mir bei unserem Gespräch schon so etwas über ihr Verhalten angedeutet, aber ich realisiere das erst jetzt im Nachhinein. Immerhin ist mir nun klar, warum sie Single ist.

Ausgerechnet jetzt war das Papierfach des Druckers leer, so dass ich erst wieder neues Papier besorgen musste, währenddessen die beiden allein in meinem Büro waren. Als ich zurückkam, schwiegen sie einander an.
Ich versuchte, zu retten, was zu retten war, und fragte die Bewerberin nach Einzelheiten über ihre Masterarbeit, sprich den mathematischen Teil. Zaghaft und leise nannte sie mir einen Begriff, der mir überhaupt nichts sagte. Fragend wandte ich mich an Philipp. Dieser enttäuschte mich nicht, und erläuterte mit wenigen Worten, worum es dabei ging.
Die Bewerberin bestätigte zwar seine Worte, aber es war ihr anzusehen, wie unbehaglich sie sich dabei fühlte.

Ich beschloss, die Sache abzukürzen, erklärte ihr (nachdem ich ein paar formale Angelegenheiten mit ihr geklärt hatte), dass ich mich gefreut hatte, sie kennenzulernen, aber sie nun als nächstes rüber zu Standort 1a müsse, um den Kaufmännischen Leiter zu treffen. Philipp würde ihr sicher gerne den Weg dorthin zeigen.
Die beiden gingen dann zwar zusammen weg, aber offensichtlich alleine aus Höflichkeit.

Der Kaufmännische Leiter teilte mir später mit, dass sie demnächst bis Mitte 2019 für uns arbeiten werde, obwohl sie auch auf ihn einen sehr unsicheren und verhuschten Eindruck gemacht hatte.
Ihre Einstellung betrifft mich nicht. In Standort 1a werde ich sie nur selten zu Gesicht kriegen.

Über Anne Nühm (breakpoint)

Die Programmierschlampe.
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16 Antworten zu Safe Space? Nein. //1992

  1. Plietsche Jung schreibt:

    Wer hätte das gedacht.
    Nerds unter sich?

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  2. Marie Moreau schreibt:

    Gib ihr noch ein paar Jahre ☺️ Nach dem Studium sind die wenigsten fit fürs Berufsleben und eine 20-Jährige muss erst noch lernen, wie es läuft – auch mit den Männern! Vielleicht taut sie ja bei euch etwas auf. Ich selbst bin mit 20 nicht so aufgetreten wie heute. Und wenn ich deine Texte über deine Studienzeit lese, war das bei dir ähnlich.

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    • Sie ist fast Mitte 20.
      Klar, da hat man noch nicht die volle Souveränität.
      Aber ihr starke Unsicherheit – insbesondere gegenüber Männern – war schon sehr auffällig. So deutlich (erkennbar) sollte das in diesem Alter nicht mehr sein.
      Sie bleibt ja nur bis zum Sommer bei uns, und soll danach im väterlichen Unternehmen Führungsaufgaben übernehmen. Da bin ich schon äußerst skeptisch.

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      • Marie Moreau schreibt:

        Bei manchen dauert es eben länger. Mit dem beruflichen Standing kommt automatisch eine gewisse Sicherheit. Ich bin da immer zuversichtlich und versuche immer, junge Menschen zu ermutigen, ihren Weg zu machen. Selbst wenn sie vom Typ ruhig ist – auch da finden sich passende Aufgabengebiete und Teams.
        Du könntest ihr auch anbieten, während ihrer Zeit bei euch als eine Art Mentorin zur Seite zu stehen? (Wenn dir diese Rolle liegt und du Zeit dafür hast.) So etwas hat meiner Meinung nach oft einen ungeheuren Effekt. Was die Kenntnisse der männlichen Natur angeht, bist du sicher eine geeignete Ansprechpartnerin 😉

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        • Als mir ihr Vater sagte, sie solle erst in einem anderen Unternehmen Erfahrungen sammeln, verstand ich ihn so, dass sie fachlich-berufliche Erfahrungen sammeln solle.
          Aber anscheinend meinte er nicht nur das.

          Ich werde wohl den Kaufmännischen Leiter bitten, sie etwas unter seine Fittiche zu nehmen, und ihr ein paar Aufgaben zuzuweisen, durch die sie Erfolgserlebnisse hat. Das steigert dann hoffentlich ihr Selbstvertrauen.
          Ab und zu, wenn ich gerade bei Standort 1a bin, kann ich schon mal ein Auge darauf haben, wie sie sich weiterentwickelt. Darüberhinaus fehlt mir aber die Zeit, zumal ich mich kaum um die kaufmännischen Belange kümmere, und deshalb gar keine Veranlassung hätte, mich gezielt mit ihr zu unterhalten.

          Ich glaube, dass ich mich da nicht mehr hineinhängen sollte. Ich weiß zwar, wie ich mit Nerds umgehe, aber bei so einer jungen, verunsicherten Frau mache ich womöglich mehr schlecht als gut.

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  3. transomat schreibt:

    Ich denke auch das Marie da ganz richtig liegt. Häufig verändert junge Menschen auch die erste Liebe sehr stark. Forciere das doch noch ein bisschen mit Philipp und mache ihn zu ihrem Tutor 🙂

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  4. ednong schreibt:

    Uijuijui. (Diesmal mit korrekter Adresse).

    Vermutlich fühlt sie sich durch ihren Vater zu etwas gedrängt, was sie selbst gar nicht will. Ich denke aber auch, dass sie diese Unsicherheit überwinden könnte …

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    • Das kann ich nicht ausschließen. Ich habe mich ja nur kurz mit ihr unterhalten.
      Sie bekommt in der Firma die Chance, sich beruflich zu bewähren. Was sie daraus macht, ist ihre Sache. Ich hoffe natürlich, dass die berufliche Praxis dazu beiträgt, dass sie selbstsicherer wird.

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