Bestimmt ist das Thema, um das es heute geht, schon einige Male in früheren Blogeinträgen angeklungen.
Als Physiker muss man über einen gewissen Pragmatismus verfügen, den ein Mathematiker nicht teilen darf.
Physiker orientieren sich an der Realität, der Natur, an Beobachtungen, Experimenten und Messungen, während (reine) Mathematiker an keine derartige Instanz gebunden sind, sondern ohne Realitätsbezug und frei von jeglicher Empirie vor sich hin rechnen können.
Ein einfaches Beispiel:
Du machst einen Ansatz zu einem physikalischen Problem, rechnest ein wenig weiter, erhältst schließlich eine quadratische Gleichung, die sich problemlos mit Schulmathematik lösen lässt.
Für einen Mathematiker sind beide Lösungen gleichwertig. Der Physiker erkennt, dass nur eine der beiden (nicht-identischen) Lösungen einen Sinn ergibt, und ignoriert die andere, rein rechnerische Lösung (eventuell mit einem kurzen Begründung, dass diese Lösung unphysikalisch sei).
Näherungen werden in der Physik gerne verwendet. Oft geht es gar nicht anders, weil das zugrundeliegende System zu komplex ist, um es exakt mathematisch modellieren zu können. Der Physiker hat jedoch ständig im Hinterkopf, dass die Näherung nur in einem beschränkten Gültigkeitsbereich überhaupt anwendbar ist.
Näherungen sind unerlässlich. Es gibt kaum eine physikalische Aufgabe, die sich völlig ohne Näherung oder vereinfachende Annahmen rein analytisch lösen lässt.
Einen großen Teil des Studiums verbringen Physikstudenten damit, ein Gefühl dafür zu bekommen, wie man komplexe Aufgabenstellungen in den Griff kriegt, indem man geeignete Voraussetzungen annimmt, unwesentliche Einflüsse vernachlässigt, und mit einer passenden Kombination von Näherungsformeln ein zutreffendes Ergebnis erhält.
In der Mathematik gibt es keine Näherungen. Da ist alles exakt.
Liefert eine Gleichung mehrere Lösungen, so werden sämtliche Lösungen durch Fallunterscheidungen weiterbehandelt, bis zum Geht-Nicht-Mehr. Auch wenn viele dieser Lösungen keinerlei praktischen Nutzen haben, und der Schreibaufwand gegen Unendlich geht.
In Technik und Ingenieurwissenschaften (insbesondere von Entwicklern, Erfindern und Konstrukteuren) werden Erkenntnisse der Naturwissenschaften in praktische und nützliche Anwendungen umgesetzt.
Mathematik dient nur noch rein als Mittel zum Zweck.
Während Physiker primär nach Wissen, Erkenntnissen und dem Verständnis der Natur streben, wollen Ingenieure diesen Erkenntnisse anwenden, und in mehr oder weniger nützliche technische Errungenschaften umsetzen.
Als Physiker muss man immer noch einen gewissen gesunden Menschenverstand bewahren, um sich nicht unrealistische Szenarien zu verrennen. Da hat es ein Mathematiker einfacher, er kann sich frei in konstruierten, idealisierten Räumen bewegen, ohne an irgendwelche naturgegebenen Begrenzungen gebunden zu sein.
Die unphysikalische Lösung kann aber auch mal z.B. Das Positron sein …
Prinzipiell stimme ich Dir natürlich zu, aber z.B. die Dirac-Gleichung sagt mit der vermeintlich unphysikalischen Lösung ja durchaus etwas voraus, das inzwischen fest zu unserem Weltbild gehört.
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Klar, man muss natürlich immer aufgeschlossen bleiben für neue Voraussagen und unvorhergesehene Effekte.
Bei meinem Beispiel hatte ich viel trivialere Fälle im Hinterkopf, bei denen z.B. die geometrische Abmessung bei einem Versuchsaufbau negativ wird.
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Mir war bewusst, dass Du auf sowas hinaus wolltest, aber Dirac, das Positron und Anderson boten sich an.
Ich liebe solche Geschichten, wo unphysikalische Lösungen eben doch Physik beschreiben … auch wenn ich die Geschichten gerne dramatisch übersteigert erzähle, ist schon die Wahrheit bei sowas ein Knüller.
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Es ist schon toll, wenn eine neue Theorie eine Voraussage macht, die dann tatsächlich auch zutrifft.
Bei vielen Voraussagen ist das halt auch nicht der Fall (und die geraten dann schnell in Vergessenheit).
Die Natur selbst ist eine unbestechliche Instanz, die solche Hypothesen im Experiment veri- oder falsifizieren lässt.
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Man kann das „Publication Bias“ nennen – oder Fortschritt.
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