Allein mir fehlt der Glaube //1892

Wenn wir spazieren gehen, unterhalten wir uns über alles mögliche. Wir fachsimplen, wir philosophieren, ..
Carsten macht dann auch gerne mal ein Gedankenexperiment, oder er stellt eine Hypothese auf, bei der es mir als Theoretikerin eiskalt den Rücken herunterläuft, und die er dann mehr oder weniger als Advocatus diaboli vertritt.
Meistens sind diese Gespräche nicht besonderes bloggeeignet, zumal ich sie dafür besonders aufbereiten müsste.
So hatten wir vor einiger Zeit über Farbe und Geschmack von Elementarteilchen diskutiert (stark wechselwirkende Teilchen tragen eine Farbladung, schwache Wechselwirkung kann den Flavor ändern).

Auch die folgende Story ist nicht mehr ganz aktuell, aber da ich heute sonst kein interessantes Thema hätte, versuche ich die wesentlichen Punkte einigermaßen (und stark gekürzt) zu rekonstruieren.
Carsten warf die Frage auf, wie alt die Atome sind.
Schnell stimmten wir überein, dass ein Atom kein „ewiger Verbund“ ist. Beispielsweise in metallischen Leitungsbändern sind die (äußeren) Elektronen nicht an einen bestimmten Atomrumpf gebunden.
Somit stellte sich die Frage neu, wann die Atomkerne entstanden seien. Dies passierte wohl in einem Fusionsprozess in einem Stern (hier insbesondere in unserer Sonne). Spezialfälle wie Radioaktivität oder künstliche Fusion, Spaltung, Zerfälle oder sonstige Umwandlungsprozesse blendeten wir dabei aus.
Zuerst waren also die Nukleonen, die schon sehr kurz nach dem Urknall entstanden sein dürften. Freie Quarks gibt es (allem Anschein nach) ja nicht. Aus diesem Quark-Leptonen-Urbrei dürfte sich die Materie, wie wir sie heute kennen, im wesentlichen entwickelt haben, ist also – nach aktuellem Forschungsstand – fast 14 Milliarden Jahre alt.

Eigentlich Wahnsinn, dass sich die Materie gerade passend für uns entwickelt hat! Andererseits schlägt genau da das Anthropische Prinzip zu. Wenn das Universum nicht genau so wäre, wie es eben nun mal ist, könnten wir uns über diese Koinzidenz auch nicht wundern.

„Kann man irgendwie erkennen, wie alt ein Elektron ist?“, fragte Carsten weiter, „also, wann es entstanden ist?“
„Nö. Elektronen sind ja ununterscheidbar.“
„Vielleicht haben wir das nur noch nicht entdeckt.“
„Es gibt keinerlei experimentelle Hinweise für solch eine Eigenschaft.“
„Es wäre theoretisch aber möglich.“
„Wenn da eine Art Timestamp wäre, müsste es für die enthaltene Information auch einen Träger geben. Nichts deutet darauf hin. Meines Wissens gibt es auch keine entsprechenden Theorien, die so etwas postulieren. Im Gegenteil. Viele Theorien gehen davon aus, dass einzelne Elementarteilchen keine individuellen Eigenschaften (über ihren Quantenzustand hinaus) haben, die sie voneinander unterscheidbar machen würden.“
„Ausschließen kannst du es aber nicht.“
„Ich kann vieles nicht ausschließen. Die Nicht-Existenz lässt sich nicht beweisen. Genauso, wie man nicht beweisen kann, dass es keine übernatürlichen Mächte gibt. ..“ (Aufgrund dieser Überzeugung bin ich Agnostikerin.) „.. Ich glaube aber, dass es nichts übernatürliches gibt. ..“ (Aufgrund dieses Glaubens – wohlgemerkt, das ist ein reiner „Glaube“ – bin ich Atheistin.) „.. Ich glaube nur an die Natur und die Existenz der Realität.“ (Weshalb ich Naturalistin, und keine Solipsistin bin – aber auch das ist ein Glaube, ohne Beweis, da unsere Erkenntnisfähigkeit grundsätzlich auf den uns zugänglichen oder zumindest beobachtbaren Kosmos beschränkt ist.)

Unsere Unterhaltung verlief dann irgendwie auf einer Lichtung im Grase mit makrokosmischeren körperlichen Wechselwirkungen.

Über Anne Nühm (breakpoint)

Die Programmierschlampe.
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15 Antworten zu Allein mir fehlt der Glaube //1892

  1. Talianna schreibt:

    Nach aktuellem Stand ist sogar wichtig, dass Elektronen ununterscheidbar sind, sonst wären sie ja unterscheidbar, das Pauli-Prinzip griffe nicht und – PUFF! Adieu Chemie (und Biologie und Leben und der ganze Rest).

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    • Das hatte ich auch im Hinterkopf.
      Wobei es allerdings denkbar wäre, dass es zusätzliche Eigenschaften gibt, die für das Pauli-Prinzip irrelevant sind, die also gar nicht in die Wellenfunktion eingehen und unabhängig davon bestehen könnten.

      Unsere mathematischen Konzepte, die Natur (so wie wir sie kennen) zu beschreiben, sind ja lediglich quasi heuristische Modelle.
      Da kann es durchaus einiges geben, das über unsere Weisheit (noch? oder grundsätzlich) hinausgeht.

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  2. Plietsche Jung schreibt:

    Glaube ist Sonntags, von 10-11 Uhr in der Kirche.
    Ich glaube, was ich sehe, anfassen oder messtechnisch erfassen kann.
    Davon gibt es im Leben genug.

    Theoretische Erklärungen und Berechnungen orietieren sich an Idealbedingungen, die annähernd nie erreicht werden und die Entwicklung zeigt, dass Dinge, die wir einmal annahmen und für richtig hielten, inzwischen auf dem Friedhof der Wissenschaft liegen.

    Wissen ist Macht, Glaube bringt nur den Untergang.

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    • Da hast du wohl im Kern recht.
      Man darf aber dabei nicht vergessen, dass nur das Streben nach neuen Erkenntnissen uns weiter voranbringen kann.
      Wenn niemand sich solche Gedanken gemacht hätte, wären wir irgendwo im Mittelalter steckengeblieben.
      Keine Computer, nichts, was unser Leben komfortabel macht, ..
      Freilich gab es auch viele Fehlschläge und Irrwege. Aus Trial and Error kann man lernen.

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  3. blindfoldedwoman schreibt:

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  4. Mia schreibt:

    „Unsere Unterhaltung verlief dann irgendwie auf einer Lichtung im Grase mit makrokosmischeren körperlichen Wechselwirkungen.“

    Das erinnert mich an eine Begegnung neulich im Wald:
    Bei einem Spaziergang mit meinem Hund musste ich an einer ähnlichen Situation praktisch vorbeilaufen. Ein älterer Mann und eine mittelalte Frau waren dermaßen miteinander „zugange“, dass sie mich erst gar nicht wahrnahmen. Erst als ich fast auf ihrer Höhe war, haben sie mich mitbekommen. Mir war das schon irgendwie peinlich und beinahe ein Grund zum Fremdschämen. Aber naja, was wollte ich machen. Ich musste dort vorbei. Zum Umkehren hatte ich auch keine Lust. Was vögeln die auch mitten im Wald? Hatten die kein Zuhause? Wie gesagt, der Mann hat mich zuerst wahrgenommen und der Frau unter sich dann in kurzen Worten verständlich gemacht, dass da jemand kommt. Also ich, nicht er – haha. Denen war das sichtlich mehr als peinlich und ruckzuck hatten sie sich selbst (so gut und schnell es eben ging) und ihre sieben Sachen zusammengesammelt und sich entfernt.

    Wären das junge Leute gewesen, dann hätte mich dieses Szenario gar nicht mal so geschockt. Aber Menschen jenseits der 40 bzw. 50, ja fast 60 öffentlich beim Kopulieren zu begegnen, hatte eine nahezu verstörende Wirkung auf mich. Ja ich weiß, auch ältere und alte Menschen haben ein Recht auf Sex. Aber muss das denn unbedingt in der freien Natur sein?

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    • Obwohl wir immer darauf achten, dass niemand in der Nähe ist, lässt es sich nicht völlig ausschließen, dass andere Leute zufällig des Wegs kommen.
      Spanner würden mir ja noch nicht mal etwas ausmachen (solange sie nicht filmen), aber Carsten schon.

      Zur Motivation:
      Outdoor-Sex ist etwas besonderes. Daheim im Bett hat man immer Gelegenheit. Aber draußen ist es nur im Sommer warm genug, und auch nicht immer trocken. so dass sich nur selten eine Möglichkeit ergibt.
      Es ist auch einfach schön, in frischer Luft und dem Himmel über sich ..
      Natürlich könnten wir uns auch auf den heimischen Garten beschränken. Aber wir gehen ja gerne spazieren, und oft überkommt uns unterwegs die Lust. Da ist es gut, wenn man ein geeignetes Plätzchen findet. Und das funktioniert halt leider nur im Sommer. Da nutzen wir halt die Gelegenheit.
      Carpe diem!

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  5. Talianna schreibt:

    Zum Thema Glaube wäre da allerdings noch etwas, das mir einfiel. Terry Pratchett legt Tod in den Mund, dass man mit dem Glauben an die „kleinen Lügen“ wie z.B. den Schneevater übe für den Glauben an die großen Lügen – Freiheit, Gerechtigkeit, Liebe … die man auch nur sehr subjektiv messen kann …

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  6. Pingback: Twitteritis //2088 | breakpoint

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