Das Körbchen //1866

Vor gut einem Jahr hatte ich auf einer Fortbildungsveranstaltung Gregor kennengelernt. Wir blieben in Kontakt, und es gelang mir, ihn für ein kleines Kooperationsprojekt mit der Firma zu gewinnen.
Schon länger hatten wir vorgehabt, uns diesbezüglich persönlich zu einer Besprechung zusammenzusetzen, aber aufgrund von Terminproblemen hatte es immer nicht geklappt. Auch diesmal war das Timing ungünstig, denn Carsten und ich hatten ursprünglich geplant gehabt, Standort 2 zu besuchen. Da ein besserer Termin jedoch lange nicht in Sicht war, vereinbarten wir, dass Gregor uns noch am Vormittag aufsuchen würde, obwohl wir am Nachmittag zu Standort 2 abzureisen beabsichtigten.

Da ich kurz vorher noch dringend etwas mit einigen meiner Mitarbeiter besprechen musste, konnte ich erst etwas später dazustoßen. Normalerweise verspäte ich mich ja nicht, aber meine Mitarbeiter hattten mich angesprochen, als ich bereits im Begriff war loszugehen. Carsten hatte Gregor inzwischen in seinem Büro in Empfang genommen, und angefangen, einige Punkte durchzusprechen.
Ich betrat also Carsten’s Büro und wollte Gregor begrüßen. Ehe ich’s mich versah, umarmte er mich. Leider hatte ich meine Handtasche so umgehängt, dass sie vor meinem Unterbauch quasi als unbeabsichtigter Abstandhalter hing, und verhinderte zu erspüren, wie sehr er sich über das Wiedersehen freute.
Ein kurzer Seitenblick auf Carsten bestätigte mir, dass dieser es ziemlich gelassen aufnahm, zwar leicht genervt, aber nicht wirklich sauer.
„Anne, so schön, dich endlich wieder zu treffen. Herr Klugsch hat mich zum Mittagessen eingeladen. Ich hoffe, du leistest uns dabei Gesellschaft.“
„Wenn Herr Klugsch einlädt, wie könnte ich da ablehnen.“
Gregor schaute etwas verwirrt, aber mir blieb nicht verborgen, dass Carsten damit kämpfte, ein Schmunzeln zu unterdrücken.

Wir gingen dann zu geschäftlichen Belangen über, und aßen anschließend in einem fußläufigen Restaurant, ohne dass noch etwas bloggenswertes passiert wäre.
Carsten war ziemlich auf dem Sprung, da er rechtzeitig zum Flughafen musste. Er verabschiedete sich deshalb schon, sobald er die Rechnung beglichen hatte, um nochmal kurz ins Büro zu gehen, und danach in der Wohnung sein Gepäck zu holen.

Gregor hatte noch einen anderen Termin, den er am Nachmittag wahrnehmen wollte, aber für den Abend hatte er noch nichts vor. Er schlug vor, ihn zusammen zu verbringen.
Jetzt bin ich schon extra nicht mit zu Standort 2 geflogen, weil ich die Zeit hier brauche. Ich hatte für den Rest des Tages noch einiges auf meiner Agenda, das ich nicht alles ausfallen oder verschieben kann. Bedauernd erklärte ich das Gregor, ließ mich dann aber überreden, wenigstens in einer Bar etwas mit ihm zu trinken.

Zwar sah ich nachher Carsten noch kurz in der Wohnung, aber die Zeit reichte leider nicht für einen ausgedehnten Abschied.
Mit den Tasks auf meiner To-do-Liste kam ich einigermaßen voran. Zwischendurch nahm ich ein mikrogewelltes Käsebrot als Imbiss zu mir.

Wie vereinbart traf ich Gregor dann in der Bar. Wir unterhielten uns gut. Auf den ersten Cocktail folgte der zweite. Wie wohltuend, mit einem intelligenten, sympathischen Mann zusammenzusitzen, der feminduzierte Gynophobie noch nicht internalisiert hat.
Die Luft war verbraucht, so dass ich irgendwann gähnen musste.
„Langweile ich dich?“
„Nein, überhaupt nicht. Aber ich bin heute schon vor sechs Uhr aufgestanden. Das macht sich allmählich bemerkbar. Und ein wenig frische Luft wäre auch nicht schlecht.“
Wir kamen zum Schluss, dass in dieser lauen Nacht ein Spaziergang angenehm wäre. Leider lag Gregor’s Hotel in einer ganz anderen Richtung als meine Wohnung. Er meinte, er würde zuerst mich nach Hause begleiten, obwohl ich erklärte, dass das nicht notwendig sei.
Es waren noch viele Leute in der Innenstadt unterwegs. Erst als wir in eine Seitenstraße einbogen, wurde es ruhiger. Gregor legte den Arm um mich. Soweit waren wir letztes Jahr schon mal gewesen.

Nach einigen Metern versuchte er, mich zu küssen. Seufzend drehte ich mich zur Seite. Meine Schlampenzeiten sind passé. Leider.
„Was ist?“, fragte Gregor, und zog mich noch ein wenig näher an sich.
„Es tut mir leid. Ich bin exklusiv gebunden.“
„Ist das ein Hinderungsgrund?“
„Ich fürchte, ja.“
Seine Umarmung lockerte sich. „Aber das hast du doch schon vorher gewusst. Warum flirtest du mit mir, wenn du dann einen Rückzieher machst?“
„Ich wollte keine falschen Hoffnungen wecken, sorry. Deine Gesellschaft hat mir gefallen. Hattest du nicht trotzdem einen angenehmen Abend? Oder habe ich deine Zeit verschwendet?“
Er hatte mich inzwischen ganz losgelassen, und atmete tief durch. „Wenn ich dich recht verstehe, wird das auch in Zukunft nichts.“
„Ich bedaure das genauso, aber ich hab deswegen eine verpflichtende Vereinbarung mit meinem Mann, an die ich mich halten muss.“
Allmählich ermüdete mich die Diskussion. Der Drang, der Versuchung nachzugeben, hatte bereits nachgelassen.
„Dann ist es wohl das Beste, wenn ich jetzt in mein Hotel gehe. Ich nehme an, du findest auch alleine heim“, meinte er etwas schroff.
„Ich wünsche dir eine schöne Nacht“, antwortete ich, „und wegen des Geschäfts maile ich dir morgen.“
„OK“, bestätigte er kurz, „gute Nacht.“ Er wandte sich ab, und ging in die andere Richtung zurück.

Nicht nur er ist enttäuscht, auch ich habe das Gefühl, eine Gelegenheit versäumt zu haben (und seien wir ehrlich: ich werde auch nicht jünger – so viele Gelegenheiten wird mir das Leben nicht mehr bieten).
Er hatte ja noch nicht einmal die Chance, sich über meine Ablehnung hinwegzusetzen.
Immerhin antwortete er auf meine gestrige Mail in gewohnt freundlich-flapsiger Weise, und scheint mir nichts nachzutragen.

Über Anne Nühm (breakpoint)

Die Programmierschlampe.
Dieser Beitrag wurde unter Uncategorized abgelegt und mit , , , , , , verschlagwortet. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.

16 Antworten zu Das Körbchen //1866

  1. claudius2016 schreibt:

    Ich bin mir nicht sicher, ob Eure Exklusiv-Vereinbarung so richtig sinnvoll ist.

    Like

  2. Plietsche Jung schreibt:

    Ich finde eure Exklusiv-Vereinbarung gut und ich wundere mich ein wenig, warum du so wackelst. Ist dir persönliche Bestätigung und „die Gelegenheit“ so wichtig ?
    Bekommst du zu wenig Anerkennung ?

    Sorry, wenn ich so direkt frage.

    Like

    • Rational kann ich das nicht begründen, Plietschi.

      Ich bin jetzt halt schon über fünf Jahre nur mit ihm zusammen. Da wäre ein wenig Abwechslung auch mal schön.
      Es heißt ja, dass man es später bereut, Gelegenheiten nicht wahrgenommen zu haben. Tja ..

      Ich halte mich ja an die Vereinbarung, aber es fällt mir nicht immer leicht.

      Gefällt 1 Person

      • Plietsche Jung schreibt:

        Ich kann nachvollziehen, dass dich vertane Gelegenheiten wurmen, aber ich möchte dazu nicht urteilen. Vielleicht bestätigen Gelegenheiten auch, dass Carsten der beste Mann der Welt für dich ist und bleibt, denn draußen in der Welt gibt es wenig wirklich kompatibles.

        Ich habe diesen „Drang“ nach Gelegenheiten in meinem Freundeskreis oft bei Personen bemerkt, die sehr früh geheiratet haben. Haus, Kinder und fertig war der gewisse Zwang. Bis dann das Faß überläuft.

        Wie auch immer du dich entscheidest, bemühe den Bauch, den südlichen Bauch und den Kopf dabei.

        Gefällt 1 Person

  3. Fragender schreibt:

    Ihr braucht in eurer Ehe eine schriftliche Vereinbarung gegen das Fremd-Vögeln? Was für ein Mumpitz! Ist die auch notariell beurkundet?
    Genügt euch nicht euer Ja-Wort im Standesamt/in der Kirche? Vielleicht ja sogar eure Liebe zueinander? Vertraut ihr euch nicht?
    Was passiert, wenn einer von euch die Vereinbarung verletzt? Habt ihr schriftlich festgelegt, was die Konsequenz bei einem Bruch sein würdet? Denn ohne dem braucht es logischerweise auch keine Vereinbarung. Darf im Fall der Fälle der Andere dann auch mal fremd-vögeln? Dann seid ihr zumindest quitt.
    Auf was für übergeschnappte Einfälle manche Leute kommen …

    Like

  4. blindfoldedwoman schreibt:

    Mit jemand, der in Abwesenheit des Chefs versucht, mit dessen Frau anzubandeln, sollte man keine Geschäfte machen. Das zeugt von Charakterschwäche.

    Like

  5. Pingback: Tweetellibum //2070 | breakpoint

Hinterlasse einen Kommentar