Ein ungewöhnlicher Vorschlag //1799

Plangemäß war ich bei Benjamin an der Uni gewesen, wo wir zusammen verschiedene Punkte besprachen und bearbeiteten.
Als wir uns zwischendurch einen Kaffee gönnten, meinte Benjamin verlegen, er müsse noch etwas anderes mit mir besprechen.
„Um was geht es?“, fragte ich aufmunternd.

„Du hast gesagt, dass du deine Doktorarbeit noch vor der Eröffnung des Berliner Flughafens abgeben willst.“
„Ja“, bestätigte ich – das mit dem Flughafen ist inzwischen so eine Art Running Gag für mich geworden, „ich denke, das dürfte realistisch sein.“
„Was würdest du machen, wenn heute in den Nachrichten käme, der Flughafen sei fertig?“
„Da zwischen offizieller Ankündigung und tatsächlicher Eröffnung auf jeden Fall wenigstens einige Monate liegen werden“, erwiderte ich halb im Scherz, „würde ich den aktuellen Stand einfrieren und innerhalb weniger Wochen abgeben.“ Immerhin habe ich längst die wesentlichen Teile fertig. Bloß das Paretoprinzip verzögert die detaillierte Ausarbeitung noch.

Benjamin druckste weiter herum: „Weißt du, dass ich dir aufgrund unserer privaten Freundschaft besser eh keine Bestnoten geben kann?“
„Das haben wir doch schon mal besprochen“, inzwischen war ich leicht genervt, „ich werde halt ein paar kleine Unstimmigkeiten oder Nachlässigkeiten einbauen. Das rechtfertigt dann einen Abzug.“ Auch wenn mir die Note relativ egal ist, lege ich dennoch Wert auf eine faire, angemessene und vergleichbare Bewertung.
„Wenn es dir nicht auf die Note ankommt, spricht nichts dagegen, dass du so bald wie möglich abgibst. Solange es einigermaßen Hand und Fuß hat, kannst du als Frau gar nicht durchfallen.“
Ich ignorierte den letzten Satz, und erklärte stattdessen: „Ich habe es aber nicht eilig. Mir fehlt noch ein ganzer Anhang, ein Schwung Nebenberechnungen, ein paar Graphiken und etlicher Kleinkram. Wir waren uns einig, dass ich mir Zeit lasse, solange ich eben brauche. Also warum sollte ich die Angelegenheit beschleunigen?“

Benjamin rückte schließlich damit heraus, dass er den Kontakt mit mir am liebsten beenden wolle, um seine Chancen, Teresa zurückzugewinnen zu erhöhen. Wenn sie ihm nicht so weit vertraut, sollte er sie IMHO lieber ziehen lassen. Aber das ist seine Sache.

„Selbst wenn ich mich mit dem aktuellen Stand begnügen würde, würde es ein paar Wochen dauern, bis ich alles in eine akzeptable Form gebracht habe.“ Und über den Druck und die Veröffentlichung habe ich mir noch nicht einmal Gedanken gemacht. Danach noch Rigorosum und was weiß ich.
„Aber ich könnte Teresa sagen, dass deine Promotion in ein paar Monaten abgeschlossen ist, und ich dich dann nicht mehr sehen muss. Das würde mir schon viel helfen.“

„Wenn das Niveau wenigstens auf Betastand wäre .. aber das ist noch nicht mal in der Alpha-Phase.“
„Den Anhang kannst du ganz weglassen, und die Nebenberechnungen brauchst du auch nicht so ausführlich zu machen. Lass‘ den Leser ruhig selbst ein paar kurze, geradlinige Zwischenrechnungen machen. Ehrlich – das was du bereits hast, ist schon um einiges besser als die durchschnittliche Dissertation. Nur dein Perfektionismus will noch die letzten paar Prozente rauskitzeln.“

„Dann wäre noch das Rigorosum. Ich bin weit davon entfernt, mich mit allen relevanten mathematischen Bereichen hinreichend auszukennen.“
„Mit irgendwelchen Spezialthemen brauchst du nicht zu rechnen. Im wesentlichen stellst du deine Dissertation vor, und beantwortest vielleicht noch ein paar allgemeine Fragen, die für dich kein Problem darstellen werden.“

„Ich überleg’s mir“, meinte ich, bevor wir wieder andere Themen durchsprachen.

Über Anne Nühm (breakpoint)

Die Programmierschlampe.
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17 Antworten zu Ein ungewöhnlicher Vorschlag //1799

  1. idgie13 schreibt:

    Könntest Du nicht den Betreuer der Arbeit wechseln?

    Erfahrungsgemäss dauert der Kleinkram am Ende ziemlich. Das Rigorosum ging bei mir übrigens um alles, nur nicht die Arbeit. Ich musste ein Fach wählen und wurde dazu geprüft.

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  2. Elli schreibt:

    Hmm,

    also sollst Du den Qualitätsanspruch an die eigene Arbeit und seine Bewertung senken, damit er seine persönlichen Probleme vielleicht gelöst bekommt? Das Ansinnen ordne ich irgendwo zwischen unfair und unverschämt ein.
    Deine Arbeit wird dokumentiert, über Jahre aufbewahrt und mit Dir und deinen beruflichen, bzw. wissenschaftlichen Fähigkeiten in Verbindung gebracht werden – selbst wenn nur ein kleiner Personenkreis sich tatsächlich damit befasst. Du wirst dich zeitlebens ärgern, dass Du es hättest besser machen können (unabhängig von seiner Bewertung, bzw. Note). Seine Ehe hingegen ist vielleicht nur noch Schall und Rauch und hängt doch nicht nur wegen eurer Vergangenheit am seidenen Faden.
    Die Beziehung der beiden wird unabhängig von Dir scheitern oder fortbestehen, das liegt in Benjamins und Theresas Hand, nicht in deiner.
    Für mich sieht es so aus, als sollst Du berufliche Nachteile für seinen persönlichen Vorteil in Kauf nehmen – welch ein Pädoyer gegen die Verquickung von privaten (flüchtigen) Beziehungen und beruflichen Machtverhältnissen.

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    • Das sind sicherlich gewichtige Argumente.
      Ich würde aber ganz bestimmt keinen Pfusch abgeben. Mein Dilemma ist zwischen „gemütlich im gleichen Tempo weitermachen wie bisher“ und „alles andere erst mal zurückstellen, um deutlich früher fertigzuwerden“.
      Mit der Promotion hatte ich ursprünglich ja nur begonnen, weil Benjamin mich damals davon überzeugt hatte. Da hängt aber nicht mein Herzblut dran, und durch verschiedene Publikationen ist mein fachlicher Ruf sowieso gesichert.

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      • Elli schreibt:

        Ich finde, eben weil Du bereits einen fachlichen Ruf durch vergangene Publikationen aufgebaut hast, wäre es doch schade, sich durch eine halbgare oder verfrühte Promotion einen Schönheitsfleck auf der beruflichen Reputation zu verschaffen.

        Und zwischen Pfusch und dem Bestmöglichen sind ja noch viele Abstufungen.
        Frag Dich doch, mit welchem Szenario Du besser umgehen kannst, wenn Du in 20 Jahren auf die Promotion zurückblickst: Wenn Du nachgibst um Benjamin einen Gefallen zu tun („ich habe es ihm zuliebe getan“) oder wenn Du eine nicht optimale Leistung abgibst, weil z. B. Umstände in deiner Person oder deinem eigenen Lebensumfeld dich dazu bewegen („ich habe das damals bewusst gemacht, weil ich beruflich eingespannt war, kein Herzblut daran hing oder XYZ/sonstiges passiert ist“)

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        • Wenn ich meinen Beruf auf eine wissenschaftliche Karriere ausgerichtet hätte, würde ich dir uneingeschränkt zustimmen.
          So jedoch ist diese Beschäftigung nur eine Art Hobby, das ich halt nebenbei betreibe, und das mir für mein Kerngeschäft praktisch nichts bringt.
          Ich schaue jetzt erst einmal, wie weit ich in den nächsten ca. zwei Monaten komme, wenn ich mich vordringlich der Dissertation widme (es geht ohnehin nur noch um Feinheiten – das grobe Gerüst mit den wesentlichen Bestandteilen steht schon länger). Dann entscheide ich, ob ich sie kurzfristig abgeben kann, oder doch noch länger (dann aber wieder nur nebenbei) daran arbeite.

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  3. blindfoldedwoman schreibt:

    Findest du das menschlich nicht sehr enttäuschend?

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    • Nur allzu menschlich finde ich es. Schließlich ist sich jeder selbst der nächste.

      Ich gestehe Benjamin zu, dass er trotzdem noch ganz normal mit mir umgeht. Er hätte sich auch ganz von mir zurückziehen können und sich weigern, mit mir zusammenzutreffen.
      Und ich rechne es ihm hoch an, dass er ganz offen mit mir darüber redet. Er würde es zwar gerne sehen, wenn ich ASAP fertig wäre, macht mir aber keinen wirklichen Druck deswegen.

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  4. ednong schreibt:

    “ … kannst du als Frau gar nicht durchfallen.“ – oh man. Er sollte dich diesbezüglich eigentlich einschätzen können.

    Letztlich ist es ja sein Dilemma, in dem er steckt. Und wenn ihm sein Frau nicht vertraut, wird der Argwohn ihrerseits immer bleiben – und sicher nicht nur auf dich bezogen. Schon traurig von ihr, und traurig, dass er sich auf so etwas einlässt.

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    • Gerade weil er mich gut kennt, weiß er, dass er solche Bemerkungen machen kann, ohne dass ich sie gleich in den falschen Hals kriege. Diesmal bin ich halt nicht weiter darauf eingegangen.

      Nachdem ich eh schon die Femme Fatale und wohl Auslöser für diese Krise bin, möchte ich zumindest Versöhnungsversuchen nicht im Weg stehen, selsbt wenn sie nicht besonders erfolgsversprechend sind.

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