Beruf und Verrufung //1773

Nachdem der letztjährige Schüler-Techniktag doch recht aufwändig war, hatte ich mir überlegt, ob ich ihn nur noch alle zwei Jahre durchführen soll. Ich schwankte ziemlich lange, habe mich aber jetzt doch entschlossen, auch heuer einen Techniktag für alle interessierten Schüler der höheren Klassen durchzuführen. An der Beteiligung liegt es dann, ob ich ihn zukünftig jährlich oder nur noch im Zwei-Jahres-Rhythmus mache.

Eigentlich glaube ich schon, dass es genügend Schüler gibt, die einen technikbezogenen Beruf erwägen, und deshalb gerne die Chance ergreifen, einmal in unseren Betrieb hineinzuschnuppern. Was jedoch mache ich mit denen, die bereits letztes Jahr dabei waren, und sich noch einmal melden?
Ich werde diese Schüler wohl nicht noch einmal einladen. Sie haben letztes Jahr gesehen, was es hier zu sehen gibt. Viel anders wird es nicht werden. Und ich muss immer im Hinterkopf behalten, dass jeder Schüler, der teilnimmt, auch Kosten verursacht.
Wenn sich zu wenige neue Schüler melden, dann mache ich eben erst 2020 den nächsten Techniktag.

Im Wesentlichen soll der Tag genauso ablaufen wie letztes Jahr. Das spart mir etwas Planungsaufwand. Da Verena mir nicht mehr assistieren kann, muss mir eine der Vorzimmerdamen helfen. Lukas wohnt nicht mehr in der Nähe, so dass ich ihn auch nicht für Gespräche in der Mittagspause einladen kann. So ist das nunmal. Leider sieht es so aus, als sei der Chef zu dieser Zeit auch geschäftlich verreist (zu meinem Geburtstag ist er aber wieder da), so dass er wohl ebenfalls nicht als Gesprächspartner zur Verfügung steht.

Tja, warum mache ich mir überhaupt die Mühe mit der Organisation und Planung, wo die Sache uns doch überhaupt keinen (direkten) Vorteil bringt?
Mein Gerechtigkeitssinn wird getriggert, wenn interessierte Schüler allein aufgrund ihres Geschlechts an diesem Tag sonst keine Möglichkeit bekommen, technische Berufe kennenzulernen. Mich ärgert es einfach, dass genderistische, idiologische Verblendung zu dieser Diskriminierung führt, so dass ich im Rahmen meiner Möglichkeiten wenigstens ein paar Jungen die Chance geben möchte, diesen Tag für ihre berufliche Zukunft zu nutzen.

Gestern Nachmittag habe ich mir mal angeschaut, wie viele Plätze für Mädchen und Jungen aktuell offiziell ausgeschrieben sind. Beim Girls‘-Day-Portal fand ich fast 5000 Angebote mit über 53000 Plätzen, beim Boys‘-Day-Portal waren es weniger als 2800 Angebote mit gerade mal gut 14000 Plätzen. Das ist mal ein realer Gender-Gap!
Gerne hätte ich gewusst, (ich weiß, das ist nicht repräsentativ, aber um einfach mal ein paar detailliertere Zahlen zu haben), wie viele Plätze es innerhalb eines 20-Kilometerradius um meine Wohnung gibt. Aber das jeweilige „Radar“ unterstützte eine konkrete Kilometerbegrenzung nicht, und zeigte auch die genaue Anzahl nicht an. Offensichtlich war nur, dass es für Mädchen wesentlich mehr Angebote gab. In meiner alten Heimat gab es für Mädchen zumindest noch eine bescheidene Auswahl, während für Jungen gerade mal drei Angebote zu sehen waren.

Eine der wichtigsten und folgenreichsten Entscheidungen, die man im Leben treffen muss, ist die Wahl eines geeigneten Berufes. Man kann es jungen Leuten nicht oft genug sagen, dass eine gute Schulbildung Grundvoraussetzung ist, um später frei wählen zu können, mit welchem Beruf man jahrzehntelang seinen Lebensunterhalt verdienen muss. Wer keine besonderen Begabungen und Stärken hat, muss aus dem Berufepool nehmen, was übrig bleibt. Das ist dann für gewöhnlich nicht sonderlich attraktiv.
Natürlich gibt es bei jedem Beruf auch Aufgaben, die man nicht so gerne macht. Als Programmierschlampe mochte ich es z.B. gar nicht, meinen Code zu dokumentieren, oder langwierig nur Daten einzugeben. Aber das gehört halt auch manchmal dazu. Als Führungskraft gefällt es mir nicht, wenn ich Mitarbeiter mit unangenehmen Angelegenheiten konfrontieren muss. Aber auch das muss gelegentlich sein.

Noch nie war es so einfach wie heute, sich im Vorfeld über Aufgaben und Umfelder einzelner Berufe zu informieren. Jeder kann bereits vorher wissen, auf was er sich einlässt. Die positiven Aspekte eines Berufes sollten überwiegen, mit den negativen muss man sich dauerhaft arrangieren können, bzw. sie sollten durch andere positve Komponenten (z.B. Bezahlung, oder was einem sonst wichtig ist) kompensiert werden.
Deshalb ist es für mich so unverständlich, dass so viele Personen dauernd über ihren Beruf lästern (kurzfristig Frust und Ärger zu artikuieren, ist ja noch nachvollziehbar – aber wenn das zum Dauerzustand wird, haben diese Personen ihren Beruf verfehlt). Miese Bezahlung, miese Arbeitszeiten, miese Arbeitsbedingungen, .. Da frage ich mich schon, ob diese Leute es vorher versäumt haben, sich zu informieren, denn diese Zustände waren ja vorher absehbar. Oder haben sie sehenden Auges ihren Beruf gewählt? Warum jammern sie dann, wenn sie doch genau das wollten? Hatten sie vielleicht keine Alternative, weil ihnen die Fähigkeiten für einen besseren Beruf fehlten, so dass sie nehmen mussten, was sie bekamen?

Wie auch immer, und worauf ich eigentlich hinauswollte, ist, dass man Schüler in ihrer Entscheidung einen Beruf zu wählen nicht behindern sollte, sondern ihnen so viel fundierte Informationen geben sollte, wie möglich, sie dabei aber nicht in eine Richtung drängen darf, die ihnen nicht entspricht.

Ich wiederhole mich: Bevor man sich für einen Beruf entscheidet, sollte man sich umfassend informieren. Wenn sich während der Informationsphase herausstellt, dass der angedachte Beruf doch nicht ganz das Wahre ist, kann man noch leicht umdisponieren. Oder man entscheidet sich, diesen Beruf trotzdem zu wählen, trotz aller Nachteile, deren man sich inzwischen bewusst ist. Aber es soll sich danach nur niemand beklagen, dass genau das eingetroffen ist, das man vorher hätte wissen können.

Über Anne Nühm (breakpoint)

Die Programmierschlampe.
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9 Antworten zu Beruf und Verrufung //1773

  1. Plietsche Jung schreibt:

    Gut, dass du etwas Besonderes für Jungs anbietest.

    Die Wahl des Berufes ist oft eine Frage der individuellen Möglichkeiten und der lokalen Verfügbarkeit. Wer sich sehenden Auges in seine Selbstverwirklichung stürzt und danach unzufrieden ist, spürt dann endlich mal die Realität des Lebens. Aber zumindest kann jeder umschulen.

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    • Strenggenommen dürfen Jungen nur Angebote wahrnehmen, bei denen typische Frauenberufe vorgestellt werden.
      Also bieten wir offiziell halt auch irgendwelche Büroberufe an, damit die Schulfreistellung gewährt wird.

      Auch wenn theoretisch die Möglichkeit der Umschulung besteht, kosten Umwege halt immer Zeit und Anstrengung.
      Besser ist es, wenn man von vornherein zumindest die Richtung kennt, die man einschlagen will.
      Solche Zukunftstage könnten dazu einen wertvollen Beitrag leisten. Und wenn das angedachte Berufsfeld nicht begeistert, so weiß man wenigstens, was man nicht machen will.

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      • Plietsche Jung schreibt:

        Um von vornherein zumindest die Richtung zu kennen, müsste man auf Menschen mit Erfahrung und Knowledge hören, was den meisten Jugendlichen systembedingt schwerfällt, Dann dreht man eben mehrere Studiengänge im Anfang durch oder schmeisst Ausbildungen willkürlich hin.

        Insofern ist eine praxisnähere schulische Ausbildung deutlich zu empfehlen. Mehr Praktika, mehr Eigenverantwortlichkeit.

        ich hab mein Hobby zum Beruf gemacht und nach 10 Jahren dann die nächsten Richtung eingeschlagen und nutze mein Fachwissen noch heute. Der Job ist nicht immer einfach und auch nervig, stressig, aber ich möchte nichts wesentlich anderes machen. Für mich lif und läuft es, wie ich es möchte und geplant habe. Was will ich mehr ?

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  2. Leser schreibt:

    Der „Gender-Gap“ bei den Angeboten dürfte auch darin begründet liegen, dass Jungs sich vermutlich eher selten für typische Frauenberufe entscheiden, während ja momentan für dieses „Mädchen in typische Männerberufe“ politisch extrem agitiert wird.
    Warum eigentlich diese Aufteilung in „typische Frauen- und Männerberufe“ überhaupt beachten? Warum nicht einfach „Jedem Menschen der Beruf, welcher ihm liegt“?

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