Personen, die sich selbst als nett bezeichnen, sind mir grundsätzlich suspekt.
Meistens beruht dies auf einer falschen Eigenwahrnehmung und mangelnder Selbstkritik.
Solche Leute halten sich selbst für besonders gute Menschen, und benehmen sich gegenüber anderen meist moralisierend und bevormundend. Kratzt man ein wenig an der Oberfläche, offenbart sich die ganze Selbstgerechtigkeit, Scheinheiligkeit, Bigotterie, Verlogenheit und Heuchelei.
Oft postulieren solche Leute eine falsche Dichotomie zwischen „netten Menschen“ und „Arsc?löchern“ (das ist häufig Synonym für Realisten und Pragmatiker). Dabei ist die Wirklichkeit nicht so schwarz-weiß. Gutes und Schlechtes steckt in jedem Menschen, oft hängt es auch von der Situation ab, welche der beiden Seiten (vielleicht folgt die Topologie ja sogar einem Möbiusband?) überwiegt. Ein Schrödinger-Naturell ist eine (zeitabhängige) Überlagerung aus beiden Zuständen.
Manchen Leuten fehlt schlicht die Durchsetzungsfähigkeit, ihre eigenen Interessen gegenüber anderen zu vertreten. Die reden sich dann auch gerne darauf hinaus, dass sie ja eigentlich nur viel zu nett sind. (Das kann selbstverständlich in einzelnen Situationen durchaus zutreffen, und nachgeben und Kompromisse eingehen, gerechtfertigt sein, wenn es sich aber übermäßig häuft, sollte man sich mal selbst kritisch hinterfragen.) Für diese Leute ist Nettigkeit ein Synonym für die eigene Schwäche und Inkonsequenz.
Dann gibt es den Typus der besonders Toleranten, deren eigene Toleranz aber sehr schnell endet, wenn jemand ihre ach so tolerante Einstellung nicht vollumfänglich teilt.
Oder diejenigen, die sich so gut fühlen, weil sie meinen, dass sie anderen Menschen andauernd helfen. Ob ihre Hilfe tatsächlich erwünscht oder nützlich ist, ist dabei nebensächlich. Hauptsache sie selbst fühlen sich dabei so gut.
Oder die Großzügigen, die nach dem Motto agieren: „Tue Gutes, und rede darüber!“ Die Konsequenzen ihrer Herzensgüte lassen sie aber nur zu gerne andere Leute tragen.
Oder die Personen, die sich mit schleimig-kriecherischer Art versuchen anzubiedern.
Nicht zu vergessen, all die empathischen, einfühlsamen, sensiblen Personen, die selbstverständlich besser die Motivation und Beweggründe desjenigen kennen, der sie äußert, als dieser selbst. Dabei fehlt es gerade diesen Leuten oft völlig am Verständnis für andere Denkweisen, und ihr Reflektionsvermögen entspricht dem eines schwarzen Loches.
Schließlich gibt es noch Personen, deren ostentativ überschäumend-gute Laune einen gleich am frühen Morgen fast erschlagen kann, oder deren Herzlichkeit einen zu erdrücken droht.
Ach, was seid ihr alle für bewundernswert gute und nette Menschen! Alle haben euch ganz toll lieb!
Wer ehrlich mit sich selbst ist, sollte erkennen (und zugeben), dass man nicht immer nur lieb und nett sein kann.
Ich traue Leuten nicht, die ihre Gefühle nicht von ihren Handlungen abkoppeln können.
Ich mag Menschen, die zugeben, dass sie nicht nur aus Selbstlosigkeit, Menschenfreundlichkeit und Großherzigkeit handeln. Das ist ehrlich und authentisch. Da weiß man, worauf man sich einstellen muss.
Ich sehe mich selbst nicht als „netten Menschen“. Das schließt ja nicht aus, dass ich es zeitweise doch bin, aber eben nicht non-stop oder grundsätzlich. Ich bin i.A. durchaus gutmütig und hilfsbereit, und tue anderen Personen gelegentlich auch mal einen Gefallen. Wenn mir jemand freundlich und respektvoll begegnet, werde ich ähnlich reagieren. Meistens gewähre ich sogar einen Vertrauensvorschuss.
Aber wehe! ich bekomme den Eindruck, jemand will mich ausnutzen. Dann ist aber Schluss mit meiner Gunst. Und einen gesunden Egoismus und Eigennützigkeit sollte man nicht verlieren.
„Netten Menschen“ ist also vor allem ihr Selbstbild wichtig, und dass andere dies genauso sehen. Wer in seiner Einschätzung abweicht, bekommt dann auch schnell die nicht so nette Seite zu sehen, aber das geschieht diesen Arsc?löchern ja ganz recht!
„Ich traue Leuten nicht, die ihre Gefühle nicht von ihren Handlungen abkoppeln können.“ Also niemandem.
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Die Betonung liegt auf „können“. Das heißt nicht, dass sie es immer tun.
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Wieso niemand? Ich bilde mir ein, dass ich das meist mache und ich kenne viele, die das sehr gut trennen können. Gefühlsduselige Menschen sind nicht so meins. Ich glaube, dass Anne das in der Art gemeint hat – odr?
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Gefühle sind maßgeblich daran beteiligt wenn wir Entscheidungen treffen und wie wir mit anderen Menschen umgehen. Intuition und Emotionen sind sehr wichtig, vieles geschieht natürlich im Unterbewußtsein. Evolutionstechnisch ist das ein durchaus erfolgreiches Konzept, weil überlebenswichtig.
Gefühle von Handlungen abkoppeln ist natürlich Quatsch. Wobei man sich das bestimmt einbilden kann.
Wenn es Dich interessiert: „limbisches System und Auswirkungen auf das Handeln“.
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Bauchentscheidungen treffe ich auch. Das meinte ich aber nicht.
Wenn ich z.B. arbeite, dann haben Gefühle keinen Platz. Dann verschwinde ich in meinem Code und lasse Emotionen aussen vor. Technische Sachen kann ich auch völlig emotionsfrei rationell entscheiden. Die Leute, die das nicht können und fachliches Streiten persönlich nehmen, nerven.
Wie man da gestrickt ist, hängt sicher auch mit dem Beruf / der eigenen Prägung zusammen.
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Deine Emotionen verschwinden nie. Man kann das nicht trennen.
Ich weiß schon, was Du meinst. Aber es ist wissenschaftlich einfach nicht korrekt.
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Ob MEINE Emotionen verschwinden oder nicht, darf ich aber schon selber entscheiden? Ich kann vieles sehr gut ausblenden (auch z.B. Schmerzen) und dann ist das für mich weg.
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Das hatte ich ganz anders gemeint:
Nämlich Entscheidungen durchzuziehen, obwohl sie einem gefühlsmäßig nicht gefallen.
Rationale Erwägungen überschreiben emotionale Befindlichkeiten.
Das widerspricht deinem Kommentar nicht, sondern bezieht sich auf eine andere Ebene.
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Mich wundert es nur, weil Du ansonsten so korrekt bist, was Naturwissenschaften anbelangt.
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Hätte ich einen naturwissenschaftlichen Bezug herstellen wollen, hätte ich viel weiter ausholen müssen, statt nur einen kurzen, phänomenologischen Satz zu bringen.
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Ich mag Menschen mit Ecken und Kanten, die mir auch mal ihre Meinung sagen und bei denen ich weiss / einschätzen kann, was sie denken.
„Nette“ Menschen sind meist unheimlich falsch – das mag ich nicht.
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Genauso geht’s mir auch.
„Nette“ Menschen sind oft auch unglaublich schnell eingeschnappt, wenn mal jemand nicht ganz so nett zu ihnen ist.
Der Umgang mit solchen Leuten ist meistens einfach nur anstrengend.
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Anstrengend ist das richtige Wort. Geht mir auch so, wenn ich jedes Wort auf die Goldwaage legen soll.
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Hmm, ich möchte aber anmerken, dass „nett“ hier nicht als Synonym für „freundlich“ zu sehen ist. Man kann z.B. jemandem freundlich die ehrliche Meinung sagen, ohne dabei mit irgendwas vorm Berg zu halten, aber eben auch, ohne dabei bewusst vorsätzlich verletzend zu sein. So gesehen bemühe ich mich schon meist, freundlich zu sein. „Nett“ hingegen ist, wie schon beschrieben, oft leider nur verlogenes wischi-waschi.
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Ja, freundlich und nett haben einen gewissen Überlappungsbereich, sind aber keine Synonyme.
Leute, die ihre Nettigkeit betonen, stellen damit meist nur deb Anspruch, dass sich andere Personen gefälligst mindestens ebenso nett ihnen gegenüber zu verhalten haben.
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Bei mir stimmen Aussen- und Selbstwahrnehmung. Nett findet man da eigentlich nie in der Beschreibung 😆
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So richtig sicher kann man sich mit ersterem eigentlich nie sein, denn die subjektive Perspektive verstellt eine tatsächlich objektive Sicht.
Gelegentlich liest man schon „nett“ in einer Selbstbeschreibung. Da klingeln bei mir die Alarmglocken.
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.. aber unser Musikgeschmack unterscheidet sich schon deutlich.
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DAS war ja auch ein Griff in die Oldiekiste, aber du solltest mal einen Schlagermove in Hamburg mitmachen 🙂
Für mich ist das Gassenhauer/Campingplatz-Musik *lol*
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Nett, aber nie und nimmer beim Schlagermove gespielt.
Groove dich ein. Hier geht es um Rex Gildo, Jürgen Markus und Chris Roberts !!
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Die Beatles haben doch in Hamburg angefangen. Deren Musik gefällt mir schon besser.
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Das stimmt. Die Beatles waren leider noch nie meins, schon nicht damals im Englisch Unterricht.
Meine erste LP war „A night at the Opera“ von Queen.
Und deutscher Schlager war schon immer ein No-Go.
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Queen war auch toll ..
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Hm, mir sagt jeder, ich sei zu nett. Wie darf man das denn deuten? Und echt jetzt, wenn alle netter zueinander wären, wäre die Welt viel netter … 🙂
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Wenn das jemand zu dir sagt, ist es vermutlich durchaus positiv gemeint, im Sinne dass du niemandem etwas Böses willst.
Ich kritisiere hier den Gebrauch von „nett“ als Selbstzuschreibung von Personen, die eigentlich nur selbstgefällig sind, sich noch etwas darauf einbilden, und weniger „nette“ Menschen abwerten.
Ich bin mir nicht sicher, ob ich eine „nettere“ Welt nett finden würde.
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Im besten Fall: freundlich, offen und hilfsbereit. Und man kann es wirklich ausprobieren: ein Lächeln und eine uneigennützige Tat kann Deine Umgebung verändern.
Jemanden seinen Platz anbieten, in der Schlange im Supermarkt andere vorlassen, einer alten Dame helfen…
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Gegen all das ist ja gar nichts einzuwenden.
Aber wenn dann jemand damit prahlt: „Ach, was bin ich doch nett! Heute habe ich $dies und $das und $jenes gemacht!“, dann ist das nur noch unsympathisch.
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Dann ist er ein Narzisst.
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Vielleicht fehlt Dir eine Portion gesunder Egoismus?
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