L’Inferno //1554

Inzwischen ist meine Teilhaberschaft an der Firma offiziell, und die Eintragung als (Mit-)Geschäftsführerin ist nur noch eine Formsache, die sich aus bürokratischen Gründen noch etwas hinzieht.

Das bringt mich zur Frage, was ich in Zukunft als Beruf angeben soll. Meine Freiberuflichkeit läuft ja, wenn auch nur mit niedrigerer Priorität, weiterhin nebenher. Die meiste Zeit verbringe ich derzeit mit der Leitung der Softwareentwicklung und weiteren Führungstätigkeiten im technischen Bereich.
Das Geschäftsführerzeug ist derzeit noch vor allem pro forma. Im Wesentlichen macht das Carsten, während ich in dieser Hinsicht nur eine Art Trainee bin.
Also was schreibe ich zukünftig in Formulare bei der Frage nach dem Beruf? Schließlich kann ich nicht alle Tätigkeiten, die ich mehr oder weniger ausübe, beschreiben und in ein kleines Formularfeld füllen.
Ich habe mich vorläufig dazu entschlossen, „Physikerin“ zu schreiben. Das habe ich studiert, da habe ich ein Diplom. Das ist also mein offiziell erlernter Beruf, und kann daher nicht so falsch als Angabe sein.

Ein anderer Punkt ist, dass ich nicht weiß, ob ich mir die Tätigkeit als Geschäftsführerin auf Dauer überhaupt zutrauen kann. Häufige Geschäftsreisen, dauernd irgendwelche Verhandlungen mit anderen, fremden Menschen, weitreichende Entscheidungen treffen, die nicht nur mich, sondern auch Mitarbeiter, Kunden und Supplier betreffen, .. das ist irgendwie nicht meine Welt.
Carsten ist ein unverbesserlicher Workaholic. Der geht darin wirklich auf. Aber das ist nicht meine Welt. Zwar hatte ich auch schon Phasen, in denen ich viel mehr arbeitete, als mir streng genommen gut tat, aber da war ich im Flow, hab‘ entwickelt und entkäfert.
Die Aufgaben einer Geschäftsführerin sind aber ganz anders als die einer Programmierschlampe, und ich weiß nicht, ob ich dem wirklich gewachsen bin. Ich müsste mich da voll reinhängen, um tatsächlich gut zu sein, will das eigentlich aber gar nicht.
Kann ich das Unternehmen später, wenn sich Carsten zurückgezogen hat, erfolgreich weiterführen? Oder wird es nur eher so vor sich hintümpeln? Oder setze ich es mit Fehlentscheidungen oder mangelndem Engagement ganz in den Sand?
Mein eigenes Geschäft habe ich zwar nicht ganz aufgegeben, aber doch sehr zurückgestellt. Ist es das wert? Schließlich habe ich es auch über Jahre hinweg aufgebaut, und mir einen ausgezeichneten Ruf erarbeitet.
Hinzu kommt, dass – selbst wenn es mir gelingt, die Firma noch so erfolgreich zu führen – ich mir wohl immer werde vorhalten lassen müssen, nichts selbst geleistet zu haben, sondern lediglich das Unternehmen meines Mannes übernommen zu haben. Golddigger und so.

Die Zeit wird vieles zeigen. Ich hoffe nur, dass weder ich noch Carsten den jetzt eingeschlagenen Weg jemals wirklich bereuen werden.

Über Anne Nühm (breakpoint)

Die Programmierschlampe.
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41 Antworten zu L’Inferno //1554

  1. keloph schreibt:

    als nur-akademiker habe ich genau das gleiche problem. ich denke, dass in deinem fall weder geschäftsführer, noch physiker einen beruf im klassischen sinne darstellen, aber auch ich wähle immer -mangels besserer alternative- meinen akademischen grad. und die öffentlichen formulare sind die einzigen, bei denen ich das tue.

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  2. blindfoldedwoman schreibt:

    Ich denke, wenn Du Deine selbst aufgebaute Blockade einmal abbaust, dann wirst Du sehen, dass auch Carsten nur mit Wasser kocht. Im Prinzip kann einem fast jede Tätigkeit Spaß machen, man muß es nur zulassen. Und Du sollst ja keine kleine Carstenkopie werden, darfst ruhig der Sache den eigenen Stempel aufdrücken.
    Wie lange sollst Du das eigentlich machen? Kommt sowas wie eine gemeinsamer Ruhestand in Carstens Plänen überhaupt vor?

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    • Welche Blockade?

      Carsten will sich in etwa 10 bis spätestens 15 Jahren zurückziehen. Dann bin ich dran.

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      • blindfoldedwoman schreibt:

        Na Du scheinst ja erhebliche Zweifel zu haben, ob diese Tätigkeit wirklich zu Dir passt. Das man dann einen evtl. Spaßfaktor nicht sieht, ist selbstverständlich.
        Willst Du denn wirklich bis 65 oder länger arbeiten und Dein Mann sitzt in der Zeit zu Hause und wartet auf Dich? Oder wollt ihr nicht lieber das Leben gemeinsam genießen, Reisen z.B. oder was euch sonst noch Spaß macht?

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        • Pappa ante portas? Nee, danke.
          Reisen sind eine gewisse Zeit interessant, aber auf Dauer möchte ich das nicht (werde noch oft genug auch geschäftlich verreisen müssen). Was uns sonst noch Spaß macht, machen wir eh, und ich fürchte, mit zunehmendem Alter wird das zwangsläufig weniger werden.

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  3. Leser schreibt:

    Ich würde sagen, erst, wenn Du die Tätigkeit mal eine Zeit lang ausgeführt hast, kannst Du wirklich sagen, ob sie Dir zusagt oder nicht, und ob sie Dir auch liegt. Und wenn das nicht der Fall ist, dann muss das eben jemand anders übernehmen, der gut darin ist, und sowas gerne macht.

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  4. Plietsche Jung schreibt:

    Auf deine Visitenkarten gehört die Geschäftsführung. Den akademischen Abschluss schreiben nur Österreicher drauf, weil sie vielleicht ne Neurose haben. Niemand interessiert das, denn es ist rückwärts gerichtet und nicht dein Job.

    Wenn dir der Job nicht liegt, mach etwas anderes. Du kannst ein Unternehmen nicht pushen, wenn du nicht die DNA hast und wenn Carsten sich zu Ruhe setzt, verkauft ihr und fröhnt euren Hobbys.

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  5. Dieter schreibt:

    Bestimmt keine leicht Entscheidung, aber du hast noch viele Jahre Zeit zu sehen, was du daraus machst.

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  6. Ioannis Dimas schreibt:

    Die Leber wächst mit ihren Aufgaben – der Mensch an sich auch. 😉

    Bei Deinen intellektuellen Fähigkeiten, liegt die Herausforderung eher darin – die Seiten der Aufgaben zu lernen und anzuwenden die dir als „fremd“ erscheinen und mit denen Du bisher wenig bis gar keine Berührungspunkte hattest.

    Schönes Wochenende noch.

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  7. Pluvia schreibt:

    So oder so braucht Ihr eine langfristige Nachfolgeplanung – soo groß ist der Altersunterschied zwischen Carsten und Dir nicht, als dass das Problem damit wirklich gelöst wäre. Entwerder Verkauf (extern oder intern an einen/mehrere besonders qualifizierte Mitarbeiter, der/die freilich eine Finanzierung bräuchte und die realistische Fähigkeit, das Ruder zu übernehmen). Oder einen familiennahen Nachfolger. Da sich Carstens Kinder inkl. Partner wohl *eher* nicht eignen, könnt Ihr mittelfristig vielleicht Hoffnung Sophie, Niklas oder Lukas setzen, die man dann freilich ab dem Alter von ca. 20 Jahren langsam auf die künftige Rolle vorbereiten und heranführen müsste. Ich vermute, dass aus Carstens Sicht Deine Verwandschaft keine realistische Option darstellt?

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    • Für die nächsten 20 bis 25 Jahre bin ich ja erst mal die Nachfolgeplanung. Noch länger vorauszuplanen ist IMHO nicht sehr sinnvoll. Bis dahin kann so viel dazwischen kommen, was nicht vorhersehbar ist.

      Momentan wüsste ich in meiner Verwandtschaft niemanden, der geeignet wäre.
      Aber – wer weiß – in zehn oder fünfzehn Jahren wäre es bestimmt sinnvoll, das alles zu überdenken, und eventuell anzupassen.
      Wenn ich nicht schon vorher die Reißleine ziehe.

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      • Pluvia schreibt:

        Nun, Du bist als Nachfolgerin nur so lange „in der Pipeline“, bis Du das Ruder tatsächlich (voll) übernimmst. Da ein interner Nachfolger oft mühsam herangezogen und für die Aufgabe fit gemacht werden muss, solltet Ihr wohl deutich früher als in 25 Jahren die Nachfolgeplanung in Angriff nehmen. Was nicht heißt, dass sie damit in Stein gemeißelt wäre: Pläne kann man auch ändern.

        Tatsächlich ist eines der zentralen Probleme der Unternehmensnachfolgeplanung, einen geeigneten Nachfolger zu finden bzw. auszubilden.

        Aber Du hast schon recht: Lass die Kinder erst einmal ihr Abitur machen. Vorher sind ohnehin zu viele Variablen unbekannt um verlässliche Annahmen zu treffen.

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        • Ja, sicher.
          Aber die nächsten 10 Jahre arbeite erst ich mich mal ein, und während Carsten sich dann allmählich zurückzieht, werden wir weitersehen.

          Bis dahin sind wir gegenseitig Fallback und Redundanz.
          Falls unvorhergesehen Carsten und ich gleichzeitig ausfielen, könnten das die anderen Führungskräfte einige Wochen überbrücken. Auf längere Sicht wäre dieser worst case aber wohl das Aus. Gegen alle Eventualitäten kann man sich nicht mit vernünftigem Aufwand absichern.

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  8. idgie13 schreibt:

    Was ich da schreiben soll, weiss ich auch immer nicht. Ich arbeite ja auch in verschiedenen Berufen und bin bei 2 Firmen (1 davon ist meine) in verschiedenen Funktionen angestellt.

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  9. heubergen schreibt:

    Ist wohl eine Frage des Willens, ich selbst war früher (5-10 Jahre) auch extrem introvertiert und wollte nichts mit Menschen zu tun haben. Selbst heute kostet es mich jedes Mal wieder Überwindung an eine Veranstaltung zu gehen, eine Einladung zu akzeptieren etc.
    Doch in den allermeisten Fällen stellt es sich nachher als positiver heraus als gedacht. Es sind dann die kleinen Dinge an denen man sich freuen sollte. Ein Gespräch mit einer netten oder interessanten Person, neue Bekanntschaften etc.

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  10. ednong schreibt:

    „Aber vor allem habe ich überhaupt kein Bedürfnis, mich auf fremde Leute einzulassen.“ – ja, das ist dann wohl eher das eigentliche Problem 😉

    Auch wenn du dich die nächsten 10 Jahre erst einarbeitest, würde ich mit Carsten schon besprechen, wen man dann also Nachfolger für dich wählen könnte. Denn die Zeit wird auch irgendwann mal kommen.

    Und ich kann dich durchaus verstehen – selbständig sein ist was grundsätzlich anderes als angestellt zu sein und ggf. GF zu sein. Aber da mußt du wohl durch …

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