Vierzehnhundertfünfundneunzig

Seit der Abmahnung hatte Herr Grau sich einigermaßen ruhig verhalten, zwar keinen Enthusiasmus gezeigt, aber auch nicht offen opponiert.
Aber wie so oft kommen Probleme gerade von einer unerwarteten Seite.

Herr Grau teilte mir mit, dass die Mitarbeiterin in seiner Abteilung, die für einige Bibliotheksmodule und bestimmte Datenbankangelegenheiten zuständig ist, momentan in Mutterschutz ist, und in Kürze in Elternzeit gehen will. Das heißt, eine Stelle wird vorübergehend vakant.
Da ich es vor einiger Zeit abgelehnt hatte, einen ausscheidenden Mitarbeiter zu ersetzen, wird es ohne diese Mitarbeiterin wirklich eng, so dass diesmal ein Ersatz notwendig wird.
Ich habe Herrn Grau also mitgeteilt, dass er die leere Stelle befristet für ein Jahr neu besetzen darf. Nach diesem Jahr werden wir weitersehen, ob noch Bedarf besteht. Vielleicht kommt dann die Mitarbeiterin aus der Elternzeit zurück, oder es ist dann weniger zu tun. Dann müssen wir die Ersatzkraft auch wieder einfach loswerden können. Wenn sie doch noch gebraucht wird, dann können wir ja weitersehen.

[Wobei ich schon mal bemerken muss, dass (jetzt weniger auf diese konkrete Stelle bezogen, sondern eher allgemein) ein befristeter Mitarbeiter, der fleißig und zügig arbeitet, und ein großes Pensum schafft, seine eigene Stelle eher überflüssig macht, als einer der langsam und fehlerhaft arbeitet oder herumtrödelt.
Das „Gesetz für mehr Lohngerechtigkeit“ führt dazu, dass der faule, langsame Beschäftigte für die gleiche Arbeitsmenge mehr Geld bekommt als der flottere und geschicktere – eine Variante des Weinbergmodells, die Tüchtigkeit bestraft und Inkompetenz belohnt.]

Ärgern tut mich an der ganzen Angelegenheit am meisten, dass Herr Grau es nicht für nötig gefunden hat, mir im letzten halben Jahr oder so mal mitzuteilen, dass diese Mitarbeiterin schwanger war. Er muss es ja gewusst haben, während die beantragte Elternzeit mich vor vollendete Tatsachen stellte, und ich jetzt ganz kurzfristig entscheiden musste, wie es weitergeht.
Das Problem, einen geeigneten Nachfolger zu finden, hat aber jetzt Herr Grau, und das wird auch nicht von heute auf morgen gehen, zumal die Gegend dort recht unattraktiv ist, und gute Leute normalerweise keinen befristeten Arbeitsvertrag wollen.
Eine Alternative wäre im Prinzip ein externer Mitarbeiter, sei er selbständig oder Leiharbeiter. Aber das ist mir zu teuer, zumal er ja auch noch eingearbeitet werden muss, bis er einigermaßen produktiv ist.
Wenn Herr Grau niemanden findet, muss er selbst sehen, wie er zurecht kommt. Hätte er mir die Schwangerschaft der Mitarbeiterin rechtzeitig kommuniziert, hätte ich anders planen können, und er hätte sich früher nach einer Vertretung umsehen können.

Und nur, um keine vielleicht wesentliche Information zu unterschlagen:
Diese Mitarbeiterin ist noch nicht lange dort eingestellt, vielleicht seit einem guten Jahr bis anderthalb Jahren oder so. Das heißt, ich hatte damals zwar schon mit der Software-Entwicklung an Standort 4 zu tun, und die oberste Verantwortung, hatte es aber Herrn Grau überlassen, wen er einstellt. Das war die erste Frau in dieser Abteilung gewesen, aber für mich weit weg, und insofern sah ich es eher als Herrn Grau’s Problem, weshalb ich damals kein Veto einlegte.
Übrigens hatte ich diese Mitarbeiterin bei meinem letztjährigen Besuch bei Standort 4 kurz kennengelernt. Sie erschien mir damals als weitgehend unauffällig.

Über Anne Nühm (breakpoint)

Die Programmierschlampe.
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27 Antworten zu Vierzehnhundertfünfundneunzig

  1. keloph schreibt:

    ich mag die nüchterne beschreibung der lage. alltag in einem deutschen unternehmen der heutigen zeit……..leider nicht allzu erfreulich.

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  2. Der Maskierte schreibt:

    Warum wundert mich die Schwangerschaft nicht? Kaum ist die Probezeit rum, geht es rund.

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  3. Plietsche Jung schreibt:

    Und nach dem ersten Kind kommt bald das zweite Kind 🙂

    Junge Frauen wollen nun mal Kinder. Das Arbeitgeber eine andere Interessenlage haben, liegt auf der Hand.

    Wieder ordentlich Futter für die gequälten Emanzen in unserer lieblosen Gesellschaft.
    *zapp*

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  4. Pluvia schreibt:

    Freunde von mir planten, das erste Jahr der Kinderbetreuung etwa hälftig zu teilen.
    Ihr direkter Vorgesetzter ist eine recht schwierige Persönlichkeit, anders als dessen Vorgesetzter (der „oberste Chef“). Zwischen beiden Vorgesetzten bestehen Spannungen.

    Bereits in der Schwangerschaft hat der direkte Vorgesetzte alles getan, um einen reibungslosen Übergang im Interesse des Arbeitgebers zu sabotieren. Beispielsweise hatte die Freundin einige spezielle Aufgaben, in die sie den/die Nachfolger(in) sinnvollerweise eingearbeitet hätte (was aus fachlichen Gründen auch niemand sonst übernehmen konnte). Die Benennung des Nachfolgers wurde aber verzögert, bis sie im Mutterschutz war. Sie hat schließlich im Mutterschutz mehrfach von zu Hause aus mit dem Nachfolger telefoniert. Hätte sie das nicht getan, hätte dieser einige Aufgaben nicht ohne gravierende Probleme übernehmen können (Einhaltung von Fristen, etc.).

    Vor kurzem war sie im Unternehmen zum obligatorischen Besuch mit Kind. Dabei unterhielt sie sich mit dem obersten Chef, zu dem das Verhältnis gut ist. Er riet ihr, gut zu überlegen, ob sie nicht direkt das nächste Kind im Anschluss bekommen wolle. Die Arbeitsatmosphäre in der Abteilung muss fürchterlich sein und einige Mitarbeiter freuen sich, dass der problematische Vorgesetzte nicht mehr allzu lange bis zum Ruhestand hat. Da ein konstruktives Gespräch mit ihm zu ihrer Rückkehr und einem für alle Beteiligten sinnvollen Einsatz der Arbeitskraft nicht möglich ist, überlegen die Freunde nun ersthaft, ob sie nicht länger als die geplanten 6 Monate zu Hause bleiben soll.

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    • Ja, solche Probleme kommen leider viel zu häufig vor.

      Die von dir genannte fehlende Einarbeitung hat mich etwas daran erinnert:

      Dreizehnhundertfünfzig

      Oder etwas länger her:

      Zwölfhundertsechsundzwanzig

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      • Pluvia schreibt:

        Gegenüber Deinen früheren Posts sehe ich in den aktuellen Fällen Beispiele, dass eine unwillige Person mit Führungsaufgaben so einige Abläufe negativ beeinflussen kann.

        Über Herrn Graus Motivation kann ich nur mutmaßen. Bei dem Fall aus meinem Bekanntenkreis scheint – nach Erzählungen von insgesamt zwei Mitarbeitern – wohl fehlende Motivation sich einzusetzen im Angesicht des nahenden Ruhestands (in wenigen Jahren), gepaart mit eigenem Geltungsbedürfnis. Ich kenne auch den Nachfolger und kann aufgrund der konkreten Umstände sagen: Das Einarbeitungsproblem wäre jedenfalls vermeidbar gewesen mit ein wenig mehr Einsatz des direkten Vorgesetzten.

        Leidtragender ist letztlich das Unternehmen.

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  5. Pendolino70 schreibt:

    Da siehst du worauf übermässiger Arbeitnehmerschutz hinausläuft. Firmen stellen tendenziell zu wenig Mitarbeiter ein oder benutzen Leiharbeitsfirmen.
    In der Schweiz gilt de jure Hire & Fire und die Firmen sind sehr flexibel. Letztlich macht es den Arbeismarkt attraktiv und hält die Arbeitslosigkeit tiefer als starre Systeme wie Deutschland vor der Agenda 2010 oder Frankreich und Italien noch heute

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  6. ednong schreibt:

    Da nutzt die graue Eminenz ja all ihre Möglichkeiten aus … 😉
    Vielleicht hilft ja ein Machtwort seines Vorgesetzten, da das ja auch in gewisser Weise geschäftsschädigend ist. Aber vermutlich gibt es da keinerlei Vorgaben, wann er das zu melden hat …

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    • Das Machtwort hatte ich bereits mit der Abmahnung gesprochen.
      Aber Standort 4 ist im Wesentlichen eigenständig. Ausdrückliche Vorgaben, Schwangerschaften weiter zu melden, gibt es nicht.
      Aber da das die einzige Mitarbeiterin von Herrn Grau war, wird sich so etwas zmindest nicht wiederholen.

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  7. Jezek1 schreibt:

    Da wird sich Herr Grau nun schwarz ärgern.

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