Vierzehnhundertzwei

Sabine war auf die Idee gekommen, mich an Buß-und-Bettag zu besuchen, weil sie an einem schulfreien Tag besser Zeit hat. Außerdem wollte sie in der Stadt auch ein paar Einkäufe und Erledigungen machen.
Bis auf das Baby, das noch gestillt wird, hatte sie vor, ihre Kinder der Obhut derer Großeltern zu überlassen. Diese hielten es allerdings für eine noch bessere Idee, wenn sie ebenfalls mitkämen.

So fuhren sie also gestern alle zusammen im Kleinbus in die Stadt.
Um den ganzen Tag mit ihnen zu verbringen, hatte ich weder Zeit noch Lust, so dass ich nur eine Zeitlang mit ihnen durch das Einkaufszentrum zog, und sie anschließend zum Griechen zum Essen einlud. In meiner Wohnung wäre es für so viele Personen zu eng gewesen.
Carsten war geschäftlich unterwegs, so dass er uns keine Gesellschaft leisten konnte. Ich nehme an, dass es ihm ganz recht so war.

Wir saßen also – 4 Erwachsene und 4 Kinder – an einem der größten Tische. Sabine hatte Kristina auf dem Schoß. David hatte sich nicht davon abhalten lassen, auf meinen Schoß zu klettern, und wollte dort unbedingt Hoppe-Reiter machen. Normalerweise bin ich es, die reitet. Aber so blieb mir nichts anderes übrig, als David auf meinen Beinen herumhopsen zu lassen, und dabei zu singen.

An der Wand war ein Bild, das wohl nackte Bacchanten darstellen sollte – allerdings nicht so ganz realistisch. Gerade als die Bedienung kam, fragte mich David in voller Lautstärke: „Dande Anne, warum ham die Männer da denn kein‘ Bibbimax?“
Sabine lief knallrot an, meine Mutter stotterte etwas, Heidi und Robin feixten, und die Bedienung versuchte so zu tun, als hätte sie nichts gehört.

Ansonsten liefen die Tischgespräche einigermaßen harmonisch. Es ging halt vor allem um Nachbarschaftsklatsch und die Fortschritte der Kinder. Mein Vater betonte immer wieder, dass der designierte US-Präsident so alt sei wie er. Meine Mutter erinnerte mehrmals daran, dass im Kofferraum von Sabine’s Kleinbus noch etliche Gläser mit Eingemachtem stünden, die sie mir mitgebracht habe. Von der Himbeermarmelade abgesehen, habe ich daran aber kein Interesse. Naja, Stangenbohnen und Mangold (welch wunderschönes Wort!) sind auch nicht schlecht. Vielleicht auch eingemachte Birn’schnitz‘.
Heidi und Robin löcherten mich mit Fragen aller Art, von denen ich nur einen geringen Teil beantworten konnte. Besonders meine Eltern hatten ihnen immer wieder gesagt, wenn sie selbst nicht weiter wussten: „Do frogsde mol die Dande Anne. Die isso gscheid, die wess des ehr.“ Naja, um Kinderfragen zu beantworten, fehlt mir wohl das Verständnis und die Geduld.
Beispielsweise (das war noch eine der nachvollziehbaren Fragen) wollten sie wissen, warum aus der Brust ihrer Mutter Milch für ihr Schwesterchen käme. Also hob ich an, was mir ex tempore so einfiel (bin schließlich mit dieser Thematik nicht gerade vertraut), dass der Saugreiz die Produktion von Prolaktin und Oxytocin anrege, wovon das erstere für die Milchproduktion verantwortlich sei, das letztere den Milchflussreflex auslöse. Allesamt schauten sie ziemlich verständnislos, woraufhin meine Mutter dann erklärte, dass der liebe Gott schon dafür sorge, dass kleine Kinder von ihrer Mama, die sie ja so lieb hat, Nahrung bekommen.

Da Sabine die ganze Zeit das Baby im Arm hatte, brauchte sie länger zum Essen als wir anderen. Ich war David immerhin losgeworden, als das Essen serviert worden war.
Inzwischen war Kristina eingeschlafen, so dass Sabine sie vorsichtig von ihrer Brust lösen konnte. Daraufhin hörten wir eine Art lautes Gurgeln in ihrem Bauch, dann breitete sich auch schon ein seltsamer Geruch aus, und Sabine rief. „Ach, nein! Dass das gerade hier passieren muss!“ Kristina blinzelte, und war wieder wach.
Da das Restaurant keinen Wickelraum hatte, brachen wir ziemlich überstürzt auf. Da meine Wohnung keine zehn Gehminuten entfernt war, bot ich Sabine wohl oder übel an, mit Kristina zur Wohnung zu kommen, um ihr dort die Windel zu wechseln. Die anderen wollten schon Richtung Stadtmitte vorausgehen, um – trotz leichten Regens – noch einen Stadtbummel zu machen.

Unterwegs (mit Kinderwagen und beschirmt) erzählte mir Sabine von ihren Befürchtungen, dass Thorsten’s Arbeitplatz gefährdet sei. Der größte Arbeitgeber des Landkreises will ja massiv Stellen abbauen, was sich auch auf den Zulieferer auswirkt, bei dem Thorsten arbeitet. Ich beruhigte Sabine, dass sie sich nicht zu viele Sorgen machen solle. Schließlich arbeitet Thorsten schon sehr lange dort, und sein Arbeitgeber muss bei betriebsbedingten Entlassungen auch soziale Aspekte berücksichtigen. Da wird er einem Alleinverdiener mit vier Kindern nicht so einfach kündigen.

Was ich vom Wickeln mitgekriegt habe, wollt ihr nicht wissen. Letztendlich war Kristina aber wieder sauber und wohlriechend in frische Kleider gehüllt.
Sabine’s Hose hatte auch etwas abgekriegt, und wir beratschlagten, ob ich ihr einen Rock von mir leihen solle. Da ich aber keinen geeigneten und passenden für sie hatte, und die Verschmutzung ihrer Hose (nach einigem Rubbeln) nur geringfügig war, beließen wir es dabei.

Sie ging dann mit Kristina wieder in die Stadt, um die anderen zu treffen. Ich blieb in der Wohnung, und arbeitete für den Rest des Arbeitstages dort.
Bevor die Verwandtschaft wieder heimfuhr, kamen sie noch kurz bei mir vorbei, um mir die Einmachgläser zu bringen. Ich bot ihnen zwar noch ein Getränk an, aber sie wollten schnell heim, um abends noch in die Kirche gehen zu können.

Über Anne Nühm (breakpoint)

Die Programmierschlampe.
Dieser Beitrag wurde unter Uncategorized abgelegt und mit , , verschlagwortet. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.

34 Antworten zu Vierzehnhundertzwei

  1. blindfoldedwoman schreibt:

    Lernen die Kids erst in der Schule Deutsch?

    Like

  2. claudius2016 schreibt:

    Ich finde es auch immer skuril, wenn Eltern und Kinder Begriffe, speziell für Geschlechtsteile verwenden, die diese umschreiben statt eines der jeweils richtigen Worte zu nutzen. Jede/r weiß, was mit „Bibimax“, „Pullermann“ etc. gemeint ist, da könnte man auch gleich die richtigen Worte verwenden.
    So werden erst verniedlichende, dann wahrscheinlich vulgäre und zu allerletzt die richtigen Begriffe gelernt.

    Like

  3. Prof schreibt:

    Manche Sätze lesen sich wie eine Vergewaltigung…

    Like

  4. ednong schreibt:

    Ein grauseliges Schriftdeutsch habt ihr da drunten …

    Like

  5. Pingback: Twittanic //1576 | breakpoint

  6. Pingback: Die Osterreise (3. Teil) //1822 | breakpoint

  7. Pingback: Callverwandtschaften //2367 | breakpoint

  8. Pingback: Ubiquitous Namespace //2967 | breakpoint

Hinterlasse einen Kommentar