Dreizehnhundertneunundvierzig

Nach einem anstrengenden Tag saßen wir zusammen auf dem Sofa und schauten eine Dokumentation über die Forschung bei CERN im Fernsehen, um zu entspannen.
Ich muss vorausschicken, dass Hochenergietheorie nicht so Carsten’s Stärke ist, und dass er an diesem Tag besonders viel Stress und Ärger hatte, und entsprechend schlecht gelaunt war.

Er erzählte mir also am Anfang, dass er kürzlich in einem Buch gelesen habe, „warum Teilchen ohne Masse sich mit Lichtgeschwindigkeit bewegen“. Das „Warum“ interessierte mich natürlich auch, und so fragte ich ihn, „warum“ das so sei.
Er fing an mit Lorentztransformationen, und dass sie mathematisch nur dann funktionieren würden, wenn masselose Teilchen sich mit Lichtgeschwindigkeit bewegen. Das sei so in dem Buch hergeleitet worden.
Ich erwiderte, dass das keine Erklärung des Warums sei, sondern dass die mathematischen Gleichungen schlicht deshalb genau so formuliert seien, dass es eben passt und so herauskommt. Mathematik kann nur beschreiben, nicht erklären.

Inzwischen zeigten sie im Fernsehen eine Graphik, die angeblich die Existenz von Higgs-Bosonen bewies. Carsten meinte, dass dieser kleine Ausreißer ja wohl als Beweis nicht ausreiche, und verwies auf die Enten mit überlichtschnellen Neutrinos und kalter Fusion.
Ich wies darauf hin, dass dies bestimmt nicht die einzige Messung gewesen sei, und die Skalierung zudem ungünstig gewählt.

Mittlerweile kam bei dieser Doku eine Physikerin zu Wort, die etwas über ihre Arbeit bei CERN erzählte. Carsten meinte, sie sei eine Quotenfrau, die nur deshalb im Fernsehen zu Wort käme, weil sie eine Frau sei.
Ich hielt mich zurück, und sagte gar nichts.

Später ging es noch einmal um die gottverdammten Higgse, und dass sie der Grund seien, warum Teilchen Masse hätten. Die Sendung behauptete, erst durch das Wirken der Higgse würden Teilchen Masse erhalten. Dabei ist das auch nur mathematische Trickserei. Beim Higgs-Mechanismus erfolgt eine Symmetriebrechung, die die rechnerische Einbeziehung einer Masse erlaubt. Das sagte ich auch laut, dass einfach die Formeln so hingedreht werden, dass es eben passt, und konsistent mit dem Verhalten der Natur sind. Ein anderes Beispiel sind renormierte Eichtheorien. Oder Wellenfunktionen. Oder Vektorpotentiale. Oder komplexe Wechselstromwiderstände. Oder nicht-kommutierende Spinorenfelder. Oder ..
Wir unterhielten uns dann noch über Quarks (was mich daran erinnert, gelegentlich die Quark-Hexalogie im Nühmphenblog fortzusetzen – da habe ich erst die erste Generation behandelt), und ob es sie in freier Form geben kann, wenn man ihnen nur genügend Energie gibt, und inwieweit man dann überhaupt von „Existenz“ sprechen kann, wenn es sie nicht einzeln gibt, sondern nur als Bestandteile von Hadronen.

Als die Fernsehsendung zu Ende war, gingen wir zum praktischen Teil über, indem wir Stoßexperimente à la Large Hardon Collider durchführten. Erst das brachte dann die gewünschte Entspannung.

Über Anne Nühm (breakpoint)

Die Programmierschlampe.
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11 Antworten zu Dreizehnhundertneunundvierzig

  1. Molly L. schreibt:

    Hin und wieder kommt es selbst in gut organisierten Haushalten zu Stoßzeiten.

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  2. tom174 schreibt:

    Physik ist nichts anderes als der Versuch der Mathematik die Natur zu vergewaltigen.

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  4. Plietsche Jung schreibt:

    Das hab ich schon mal in einem besseren Stil von dir gelesen. Ein bißchen mehr Mühe, Anne. Bitte.

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