Zwölfhundertzweiundzwanzig

Zu meinen frühesten Erinnerungen gehört, wie ich auf dem Schoß meines Vaters sitze. Um uns herum stehen Nachbarskinder. Diese Mädchen (Jungen gab es nicht in der Nachbarschaft, es sei denn, so viel älter, dass sie sich nicht mehr mit kleinen Mädchen abgeben wollten) waren mindestens zwei Jahre älter als ich, und gingen größtenteils schon in die Schule.
Mein Vater stellte uns Kopfrechenaufgaben, und wer glaubte, die richtige Lösung gefunden zu haben, der rief sie laut.
Nun ja .. die anderen hatten kaum eine Chance gegen mich, was besonders meinen Vater stolz machte, dem es nie zu langweilig wurde, sich Aufgaben für uns auszudenken. Den anderen Mädchen wurde es dagegen schon bald zu frustrierend. Aber irgendwie hatten sie wohl doch die Hoffnung, dass sich das Blatt zu ihren Gunsten wenden würden. Anders kann ich mir nicht vorstellen, dass sie trotzdem immer wieder zum Wettrechnen antraten.

Auch in der Schule war ich zunächst konkurrenzlos in Mathematik. Erst in der Kollegstufe im Mathe Leistungskurs erfuhr ich, dass es auch ein paar andere Schüler gab, die mathematisch begabt waren.
Bei meinem Abiturjahrgang gab es zwei Matheleistungskurse. Es hatte sich (von wenigen Ausnahmen abgesehen) (nicht nur ganz zufällig) ergeben, dass in meinem Kurs diejenigen Schüler waren, die tatsächlich gut in Mathe waren. In dem anderen dagegen waren die Schüler, für die Mathematik eher eine Verlegenheitslösung war, weil sie in Fremdsprachen eben noch schlechter waren.

Eine Zeitlang hatte ich erwogen, Mathematik zu studieren, und informierte mich zu diesem Zweck (damals noch ohne Internet). Meine Recherchen ergaben, dass die meisten Mathematiker später bei Banken oder Versicherungen angestellt sind. Das wollte ich keinesfalls, und mein Entschluss, Physik zu studieren wurde gefestigt.
Schließlich wollte ich ja – wie Goethe’s Faust – wissen, „was die Welt im Innersten zusammenhält“. Inzwischen habe ich jedoch erkannt (und mich damit abgefunden), dass man nur versuchen kann, das Verhalten der Natur mathematisch zu beschreiben. Warum sie sich gerade so verhält, und wie das genau funktioniert, dafür ist keine Erklärung in Sicht, nur ein paar unzureichende Modelle, die Einzelaspekte visualisieren können.

Es war mir klar, dass ich als Frau beim Physikstudium zu einer Minderheit gehören würde.
Bisher hatte ich auch in der Schule nur wenig mit Jungen oder Männern zu tun gehabt. Das würde sich auf einen Schlag ändern, und dieser Gedanke beunruhigte mich damals schon ein wenig.

In der ersten Woche meines Studiums gab es noch keine regulären Lehrveranstaltungen. Stattdessen sollten die Studienanfänger mathematisch auf ein möglichst gleiches Niveau gebracht werden.
Zu diesem Zweck wurden Gruppen gebildet, mit Studenten ähnlicher mathematischer Vorbildung – also ob sie Mathe Leistungskurs hatten, oder wie lange der letzte Mathematikunterricht schon zurückliegt, und ähnliche Kriterien.
Da ich direkt von der Schule kam, und den Mathe-Leistungskurs besucht hatte, kam ich natürlich – zusammen mit einer Reihe Kommilitonen – in die leistungsfähigste Gruppe.
Für uns war diese eine Woche Mathematik-Auffrischung ein Klacks. Andere Gruppen müssen sich teilweise deutlich schwerer getan haben. Aber das war ja gerade der Zweck dieser Woche, dass alle wenigstens die wichtigsten mathematischen Grundlagen präsent haben sollten.
Ein anderer Vorteil dieser Gruppenbildung war, dass man von Anfang an leicht Kontakt mit einigen Mitstudenten fand.

Ein paar weitere Studienerinnerungen gibt’s demnächst. Das wird sonst hier zu lang (und ich sollte mit meinen Themen haushalten, damit sie mir nicht ausgehen), und hat auch einen anderen Schwerpunkt als Mathematik.

Über Anne Nühm (breakpoint)

Die Programmierschlampe.
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22 Antworten zu Zwölfhundertzweiundzwanzig

  1. aliasnimue schreibt:

    Ich hab fast ausschließlich mit Jungs gespielt in der Grundschule.
    So Mädelskram hat mich nie besonders interessiert. Ich fand Puppen beängstigend.

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  2. Jezek1 schreibt:

    Heute bin ich mal der Erste hier….

    Meine erste kindliche Erinnerung, die auf einen späteren Beruf hindeutet, war das ständige basteln, herumwerkeln, schrauben und machen. Ich hatte mit den damals vorhandenen Mittel alles mögliche zusammengebaut; zum Teil über Nacht Türme mit enorme Höhe gebaut; Schiffe in Länge von Anakondas auf Kiel gelegt, etc..

    Später habe ich zum Beispiel einen Staudamm gebaut auf einer nahen Mülldeponie; die Deponie stand dann am nächsten Tag teilweise unter Wasser. Ich war von meinen Bauwerk sehr beeindruckt; die Untersuchungen, wer denn das verursacht hatte, waren weniger schön. Ich jedoch habe die ganze Aufregung nicht verstanden; mein Damm trieb ein kleines Wasserrad an mit dem auch einen Generator hätte angetrieben werden können. Verstehen konnte meine Motivation keiner so richtig; wer glaubt schon einem 9-jährigen Jungen?

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    • Aliasnimue ist dir wohl knapp zuvor gekommen.

      Gebaut habe ich wenig, außer Puppenhäuser mit Legosteinen. Wobei ich gerne ausrechnete, wieviele Steine ich denn für eine bestimmte Architektur brauche.
      Meine Basteleien beschränkten sich auf Papiersterne, Wollpüppchen und ähnliches. In Schuhschachteln habe ich denen dann Wohnungen gebaut, mit einer Einrichtung aus lauter Streichholzschachteln und ein paar Nähgarnrollen.
      Rumgeschraubt habe ich AFAIR kaum. Und auch draußen habe ich als passionierte Stubenhockerin nicht rumgewerkelt.

      Hihi, dein Staudamm war bestimmt sehenswert!

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      • Jezek1 schreibt:

        Also ich fand meinen Damm super; war ca. 0,5 Meter hoch und ca. 3 Meter lang. Das Ding habe ich dann mit schönen Lehm wasserseitig abgedichtet und luftseitig mit großen Steinen am Fußpunkt des Bauwerks beschwert.

        Das Problem war nur, dass die Dammkrone höher war als das Ufer des Bächleins (Fehler 1), die Hochwasserentlastungsanlage gefehlt hat (Fehler 2) und das Turbinchen, eine Achse mit kleinen Flügeln dran, zu wenig Durchsatz zulies (Fehler 3).

        Aufgrund von dieser eklatanten Fehldimensionierung war mir klar: Jetzt reicht es nur noch zum Ingenieur.

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  3. mitm schreibt:

    „Kopfrechenaufgaben .. die anderen hatten kaum eine Chance gegen mich“

    Willkommen im Club! 😉

    Ich kann mich dunkel erinnern, daß eine der Aktivistinnen auf AllesEvo mal den Verdacht geäußert hat, Du wärst gar keine Frau – die Erinnerung kam mir auch gerade hoch, d.h. die unterbewußte Vorstellung, daß mathematisches Talent bei Mädchen sehr unwahrscheinlich ist, scheint sich deutlich in meinem Unterbewußtsein eingenistet zu haben (was mich extrem ärgert). Und das, obwohl ich zwei real existierende Frauen gut kenne, die ziemliche mathematische Talente sind.

    Diesen scheinbaren Widerspruch würde ich auf die Lektüre von zu vielen feministischen Texten in den letzten Jahren zurückführen. Mathematik ist ja nicht in erster Linie Kopfrechnen, sondern formal-logisches Denken und das formale Beweisen von Aussagen. Einem „mathematisch geprägten“ Menschen fallen bei näherer Befassung mit dem Feminismus automatisch die ständigen inneren Widersprüche und Falschaussagen auf, nicht zu reden von dem völligen Unverständnis von Statistik beim GPG oder bei Quoten. Stefanolix hatte vor einiger Zeit das peinliche mathematische Coming-out einer feministischen Aktivistin durchleuchtet – man fragt sich, ob das nur die Spitze des Eisbergs ist oder der ganze Eisberg.

    Man hat sein Unterbewußtsein ja nicht wirklich unter Kontrolle, man lernt automatisch durch wiederholte Erlebnisse und Beobachtungen. Der amtierende und medial dominierende Feminismus vermittelt ein absolut negatives Bild hinsichtlich der mathematischen Qualifikation von Frauen. Man kann zwar immer wieder NAWALT vor sich hin murmeln, aber das Unterbewußtsein ändert sich davon nicht. Um mein Unterbewußtsein zu reparieren müßte ich mich vermutlich ein Jahr lang von allen feministischen Texten fernhalten.

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    • daß eine der Aktivistinnen auf AllesEvo mal den Verdacht geäußert hat, Du wärst gar keine Frau

      Im Laufe der Zeit waren es sogar mehrere. Ich hatte wohl eine andere Meinung geäußert, der sie keine sinnvollen Argumente entgegensetzen konnten, und mit meiner Existenz die Prämissen ihrer Ideologie erschüttert.
      Da war es natürlich einfacher, meine Identität anzuzweifeln, als das eigene feministische Weltbild in Frage zu stellen.

      Für mich war es von Kleinauf ganz selbstverständlich, dass ich gut mit Zahlen und Mathematik umgehen konnte. Ich habe mir lange darüber gar keine weitergehenden Gedanken gemacht.
      Es war (und ist) halt so, dass es in MINT-Fächern deutlich mehr Männer als Frauen gibt. Das ist kein Problem, solange man keines daraus macht. Ich wäre nie auf die Idee gekommen, dies auf die Unterdrückung durch ein angebliches Patriarchat zu schieben.

      Wenn ich dem Feminismus Glauben schenken würde, würde ich mir selbst auch gar nichts mehr zutrauen, sondern für jeden persönlichen Misserfolg das Patriarchat verantwortlich machen.

      Was man von feministischer Seite als statistische Aussagen findet, genügt bei näherer Betrachtung fast nie wissenschaftlichen Standards, und dient vor allem der Manipulation von Leichtgläubigen.

      Als Blogger können wir diese Problematiken zwar immer wieder thematisieren. Allein Gehör finden in unserer Gesellschaft viel mehr feministische Behauptungen und #Aufschreie.

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