Achthundertzwei

Ingrid’s Mutter hat ihren Mann nicht lange überlebt, und ist vor einigen Tagen gestorben.
Mir blieb kaum etwas anderes übrig, als Carsten wieder zur Trauerfeier zu begleiten.
Kirche, Friedhof, Leichenschmaus – wie bereits bei Ingrid’s Vater.

Erwähnenswert ist wohl, dass Fiona nicht alleine kam, sondern in Begleitung. Sie stellte uns ihren neuen Freund freudestrahlend vor.
„Papa, darf ich dir Vincent vorstellen? Vincent, das ist mein Vater, und das ist .. äh .. Anne.“
So einen schlaffen Händedruck habe ich bisher nur selten bei Frauen erlebt, aber noch niemals bei einem Mann.

Carsten unterhielt sich mit ihm.
„Ein trauriger Anlass, bei dem wir uns kennenlernen.“
„Fio wollte unbedingt, dass ich mitkomme.“
„Woher kennen Sie meine Tochter?“
„Von der Uni. Bei einer Veranstaltung.“
„Dann arbeiten Sie an der Uni? Oder studieren Sie noch?“
„Ich schreibe an meiner Bachelorarbeit.“

„Sie sind aber schon einige Jahre älter als Fiona, oder?“
„Äh, ja, vier Jahre. Das hat sich halt so hingezogen.“
„Und wie finanzieren Sie Ihr Studium?“
„Papa!“, warf Fiona ein, „das interessiert doch nicht.“
„Mich schon“, erwiderte Carsten scharf, „ich hatte schon einmal einen Schwiegersohn, der sich seinen Lebensunterhalt am liebsten von mir bezahlen ließ.“
„Das sind doch alte Geschichten“, meinte Fiona kleinlaut.

„Also, Vincent“, wandte sich Carsten wieder an diesen, „BAFöG, Jobben, Eltern. ..?“
„Meine Eltern. Aber ..“
„Und Ihre Eltern stört es nicht, dass sich Ihr Studium so lange hinzieht? Was arbeiten Ihre Eltern?“
„Papa“, mischte sich Fiona erneut ein, „jetzt frag‘ Vincent doch nicht so aus!“
„Ich bin sicher, Vincent gibt mir gerne Auskunft, wenn ihm an dir liegt. Nicht wahr, Vincent?“
„Hm, ja. Also, äh, meine Eltern, die haben ein Schreibwarengeschäft.“

„Und das läuft gut?“
„Äh, weiß ich nicht.“
„Papa, um solches Zeug kümmert sich Vincent nicht.“
„Um was kümmert er sich dann? Offenbar auch nicht um sein Studium, sonst hätte er das schon längst abgeschlossen haben können. Nicht wahr, Vincent?“
„Öhh ..“

Ich war die ganze Zeit schweigend daneben gestanden. Aber auch wenn mir ehrlich gesagt dieser Vincent nicht sonderlich sympathisch war, wollte ich das Gespräch doch nicht weiter eskalieren lassen. So legte ich meine Hand auf Carsten’s Arm und fragte ihn: „Wolltest du nicht noch Paul kondolieren?“
„Du hast recht“, beruhigte sich Carsten, „gehen wir zu ihm.“

Wir verabschiedeten uns schnell von Fiona und Vincent, sprachen noch kurz mit Paul, und verließen dann den Leichenschmaus.

Fortsetzung folgt.

Über Anne Nühm (breakpoint)

Die Programmierschlampe.
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80 Antworten zu Achthundertzwei

  1. aliasnimue schreibt:

    In Zukunft bleiben ihm wohl Begegnungen mit Fiona’s Begleitungen erspart. Besonders klug war das allerdings nicht.

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  2. schaum schreibt:

    ich finde so etwas doof. es ist schliesslich ihr glück oder eben nicht. ich bin da ganz anders gestrickt.

    es schäumt definitiv

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  3. HalfTheTruth schreibt:

    Das ist direkt, verschreckend direkt – und das spiegelt auch die (wahrscheinlich eh schon vorhandene) Unsicherheit des neuen Freundes wieder.
    Hart.

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  4. plietschejung schreibt:

    Carsten gefällt mir.
    Ein Mann aus der Praxis für die Praxis.

    Luftpumpen gibt es genug auf der Welt und Vincent geht klar in diese Richtung. Diese Feuertaufe ging wohl echt schief.

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  5. Leser schreibt:

    Wow, krass.
    An Fiona’s Stelle hätte ich mir glaube ich meinen Pflichtteil am Erbe auszahlen lassen, und wäre irgendwohin, bloß möglichst weit weg vom „Elternhaus“ gezogen…

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    • vires schreibt:

      „erbe auszahlen lassen“ 🙂 ein erbe existiert erst wenn jemand stirbt. man nur vorher schon festlegen, dass man nach dem tod nichts mehr erhält, weil man vorher schon was bekommen hat. und das geht nur, wenn die gegenseite auch will

      „Beim Erben muss zuerst einer sterben“

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    • breakpoint schreibt:

      AFAIK hat sie keinen rechtlichen Anspruch darauf, sich ihren Pflichtteil zu Lebzeiten ihres Vaters auszahlen zu lassen.
      Das wäre auch problematisch, da sein Vermögen größtenteils an seine Firma gefunden ist, und er wohl kaum genügend Geld flüssig machen könnte.

      Sie lebt ja ein ganzes Stück entfernt (nicht nur zu ihrem Vorteil).

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      • Leser schreibt:

        Naja, das ginge ja dann immer noch in Form von irgendwelchen Firmenanteilen, die sich irgendwie zu Geld machen ließen. Naja, egal, so eine Performance wie von Carsten im Blogeintrag ist verachtenswert. Schade, dass die Tochter ihm nicht wenigstens den koffeinfreien Beerdigungskaffee ins Gesicht gekippt hat, oder dass Vincent anscheinend nicht stark genug war, sich so eine Behandlung gefälligst zu verbitten (freundlich ausgedrückt). Was fällt dem ein?!? Die Tochter ist volljährig und nicht sein Eigentum!
        Waaah, ich krieg grad schon wieder einen Hals.
        Passendes Captcha: „run amok“

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        • breakpoint schreibt:

          Rein theoretisch ließe sich das Geld wohl irgendwie beschaffen. Diese Möglichkeit ist aber absolut irrelevant.

          Was hast du eigentlich für ein Problem?
          Dieser Vincent lässt alles schleifen, ohne einen Finger krumm zu machen, auf Kosten seiner Eltern, später wohl der Gesellschaft.
          Er hätte sich ja Respekt erwerben können, wenn er sich die Fragen auf vernünftige Weise verbeten hätte. Aber selbst das hat er nicht auf die Reihe gekriegt.

          Und was ist jetzt schlimm, wenn Carsten sich um seine Tochter sorgt? Machen meine Eltern bei mir auch (ist zwar nervig, aber so ist das halt).

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          • Leser schreibt:

            Gerade in dem Alter ist es für viele Menschen noch so, dass sie versuchen, irgendwelchen gesellschaftlichen Idealen (oder den Wünschen der Eltern etc) gerecht zu werden und deshalb z.B. irgendwas studieren, ohne dass ihr Herz dahinter ist, einfach weil sie noch nichts gefunden haben, was zu ihnen passt.
            Jemanden dafür zu verurteilen mit den Worten „lässt alles schleifen, ohne einen Finger krumm zu machen, auf Kosten seiner Eltern, später wohl der Gesellschaft.“ kommt der menschenverachtenden Aussage „wer nicht arbeitet, soll auch nicht essen“ gefährlich nahe.

            Ich bin einfach kein Freund davon, dass Menschen sich verbiegen, um solchen „Sachzwängen“, die wir – wenn man die gesamte Gesellschaft betrachtet – nicht nötig hätten. Aber daran erkennt man eben auch, dass wir in den letzten (mindestens) 200 Jahren technischen Fortschritt mit Zivilisation verwechselt haben. Zum Glück geht das nicht mehr lange so weiter, spätestens wenn die Automatisierung in allen Bereichen zunimmt (den Zenit an dafür notwendiger Rechenleistung und Vernetzung sind wir gerade am überschreiten, und dann wird es gemacht werden, weil es einfach billiger ist, als Horden von Arbeitskräften zu beschäftigen), müssen wir uns überlegen, wo wir als Gesellschaft mit unserem technischen Fortschritt hin wollen.

            Da einem jungen Menschen zum Vorwurf zu machen, dass er seinen Platz im Leben noch nicht gefunden hat, kann ich nicht gut heißen. Auch, weil die vorherige Generation (zu der Carsten definitiv gehört) unter völlig anderen Bedingungen aufgewachsen ist. Heute ist Vincent vermutlich ein heißer Anwärter der „Generation Praktikum“ (oder wie es gerade sonst verschlagwortet wird), d.h. trotz Studium erwartet ihn dann ein niedrig oder überhaupt nicht bezahlter Job, den zu machen er wirkliche Leidenschaft empfinden müsste, oder aber er lernt (wie so viele), nur noch irgendwie verwertbares „Menschenmaterial“ zu sein…

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            • breakpoint schreibt:

              Das Gespräch oben habe ich um einige Details gekürzt, zum einen, weil es sonst zu lang geworden wäre, zum anderen aber auch, um nicht Informationen freizugeben, die Anonymität erschweren würden.
              So studiert Vincent ein bestimmtes Orchideenfach, das niemand studieren würde, außer aufgrund von wirklichem Interesse. Ich kann mir kaum vorstellen, dass er das auf Druck seiner Eltern gewählt hat. So kam das nicht rüber.
              Er hat seine eigene Entscheidung getroffen, hatte aber nicht das Durchhaltevermögen, sein Studium zügig und konsequent durchzuziehen.
              Außerdem sah er es praktisch als sein gutes Recht an, dass seine Eltern bis zum St.-Nimmerleinstag für seine Lebenshaltungskosten aufkommen.
              Sorry, aber mit dieser Einstellung kann ich nichts anfangen.
              Ich habe mein Studium zwar auch auf Kosten meiner Eltern durchgeführt, sah das aber nicht als selbstverständlich an, habe nebenbei als Hiwi gejobbt, habe es in der Mindeststudiendauer abgeschlossen, und bin meinen Eltern immer noch dankbar dafür.

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            • Leser schreibt:

              Vielleicht war der Druck der Eltern ja auch nur unbestimmt, überhaupt zu studieren. Wenn er eine Ausbildung gemacht hätte in einem Bereich, der ihn interessiert, wäre er vielleicht viel erfolgreicher damit gewesen. Wenn das durch den Druck der Eltern verhindert wird, dann kann auch mal sowas dabei herauskommen.

              Aber selbst wenn das nicht der Fall ist, so finde ich es verachtenswert, Menschen zu verurteilen, die sich nicht mit der kapitalistischen Verwertungslogik anfreunden können.

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            • breakpoint schreibt:

              Das ist reine Spekulation. Das weißt du nicht, und das weiß ich nicht.

              „Menschen zu verurteilen, die sich nicht mit der kapitalistischen Verwertungslogik anfreunden können“
              Wer macht das denn? Es geht darum, dass er sich kein bisschen angestrengt hat, eine gewisse Leistung zu erbringen. Das war ihm alles egal. Warum hätte er sich auch bemühen sollen, wo seine Eltern ja eh alles zahlen.

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            • Leser schreibt:

              Wer das macht? Nun, Carsten anscheinend ganz definitiv, und Du allem Anschein nach ebenfalls.

              Genau darum geht es, dieses „Leistung erbringen“, bzw. dieser Zwang, das zu tun, um sich seine Lebensberechtigung zu „erwirtschaften“. Das finde ich menschenverachtend. Und wenn er dann, sollten seine Eltern ihm irgendwann die Unterstützung verweigern, in Hartz IV landet, oder in einem der Sklavenjobs, von deren Gehalt man nicht leben kann (was aber dank Mindestlohnregelung künftig nicht einmal mehr zur „Aufstockung“ berechtigt), dann wäre er vermutlich ganz untendurch, und Carsten würde sich denken „Meine Tochter ist mit nem Asozialen zusammen“.

              Dabei ist die mangelnde Sozialkompetenz häufig genug umso stärker am entgegengesetzten Ende der Verteilungsskala zu finden.

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            • breakpoint schreibt:

              Solange mir keine gebratene Tauben in den Mund fliegen und keine Würste an den Bäumen wachsen, denke ich genau so.

              Wie stellst du dir denn das vor?
              Wer keine Lust zu arbeiten hat, lässt es und faulenzt, während die Doofen sich abrackern, um ihn mit zu durchzufüttern?
              Diese Einstelllung empfinde ich als menschenverachtend.

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            • Leser schreibt:

              Ich habe keine Lösung dafür, aber ich bin verdammt froh, dass ich die Welt nicht so sehe, wie Du (und auch nie so sehen werde). Denn wenn ich das täte, müsste ich mir zum Ziel machen, sämtliches menschliches Leben auf unserem Planeten auszurotten.

              Jedes Leben hat ein Recht auf Existenz, und wenn sich die Mitglieder einer Spezies aus völlig willkürlichen Gründen (denn es ist ja genug da, die Ressourcen unseres Planeten könnten auch locker 10 oder 15 Milliarden Menschen mit Nahrung, sauberer Energie etc. versorgen) gegenseitig das Existenzrecht streitig machen, dann hat die Spezies als ganzes ihr Recht auf Existenz verwirkt.

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            • breakpoint schreibt:

              So üppig und reichlich wie du es siehst, sind die Resourcen auf unserem Planet bei weitem nicht.
              Und es ist gar nicht einzusehen, warum nicht jeder wenigstens ein bisschen guten Willen zeigen sollte, im Rahmen der eigenen Möglichkeiten, zum Gemeinwohl beizutragen.

              Eine Schnorrermentalität unterstütze ich nicht.

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            • Leser schreibt:

              Doch, die Resourcen würden ausreichen – vielleicht nicht, wenn alle so viel Fleisch essen würden, wie es viele westliche Kulturen tun, aber prinzipiell sollten 15 Mrd. kein Problem darstellen. Das Problem liegt darin, dass sie falsch verteilt werden, und vor allem, dass damit Profit gemacht werden soll. Also wird nur das gemacht, was profitabel ist, nicht das, was sinnvoll wäre.

              Und Vincent hat sicher nicht bei Carsten nach Geld gefragt, Fiona ebenfalls nicht. Also stellt sich die Frage der Unterstützung doch überhaupt nicht. Tolerieren sollte man es. Wobei natürlich „Schnorrer“ bereits ein derogativ ist, damit eine Wertung und das Gegenteil von Toleranz. Er nimmt für sich halt sein Grundrecht auf menschenwürdige Existenz, ohne irgendwelche Bedingungen erfüllen zu müssen, in Anspruch. Dieses Recht hat jeder (zumindest vom Gefühl her, bzw. sollte es haben), es wird nur leider viel zu häufig negiert.

              Aber das ist das leidige alte Verteilungsproblem. Wenn wir nicht technischen Fortschritt mit Zivilisation verwechseln würden, sondern wirklich zivilisiert wären, dann hätte der Produktivitätszuwachs durch den technischen Fortschritt allein der letzten Jahrzehnte bereits dafür gesorgt, dass wir mit einer 10-Stunden-Woche Vollbeschäftigung bei vollen Lohnausgleich hätten. Oder alternativ einen so großen Teil an Arbeitslosen, für die trotzdem immer genug da ist, so dass sich nicht mehr über Arbeit definiert werden muss, sondern nur noch die Arbeiten würden, die es wirklich wollen, während die anderen eben frei wirkten und handelten, völlig ohne kranke Sachzwänge, und dabei unserer Gesellschaft vermutlich noch weitaus mehr Fortschritt brächten, auch auf zivilisatorischer Ebene und nicht nur auf technischer.

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            • breakpoint schreibt:

              „Er nimmt für sich halt sein Grundrecht auf menschenwürdige Existenz, ohne irgendwelche Bedingungen erfüllen zu müssen, in Anspruch.“

              Wenn jemand für sich den Anspruch erhebt, ohne irgendeine Gegenleistung und auf Dauer auf Kosten anderer leben zu wollen, halte ich dies für arrogant, überheblich und rücksichtslos.

              (Damit wir uns richtig verstehen, es geht um das Wollen. Leute, die z.B. aus gesundheitlichen Gründen nicht können, sind ein ganz anderer Fall).

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            • Leser schreibt:

              Das ist arrogant, überheblich und rücksichtslos – außer bei den „reich geborenen“, den Erben von von zu Konzernen gewachsenen ehemaligen Familienbetrieben, die immer noch der Familie gehören. Menschen, die so unverschämt viel Geld haben, dass sie nie arbeiten müssen, sondern sich beliebig ihren Interessen widmen können. Die durch ihren Reichtum sogar zum Teil über dem Gesetz stehen, weil sie sich einfach „freikaufen“ können (wem tut schon eine Million weh, wenn er das Tausendfache oder das Zigtausendfache davon hat?), oder sie kaufen sich eben ein Gesetz nach ihrem Geschmack…
              Unsere Auffassung von Normalität misst an der Stelle sowas von mit zweierlei Maß (und aus gutem Grund lassen sich diese Leute auch kaum in der Öffentlichkeit blicken – sie haben Angst, aufzufliegen), denn es wird als Normal erachtet, dass manche eben mit der Macht, Existenzen zu machen oder zu vernichten geboren werden, und zigtausende „Sklaven“ unter sich haben, die ihren Reichtum vergrößern, ohne dass sie dafür je in ihrem Leben einen Finger krumm zu machen bräuchten.
              Ja, man kann es als „Neiddebatte“ diffamieren, aber darum geht es nicht. Es geht um Gerechtigkeit, welche ein Merkmal einer zivilisierten Gesellschaft ist. Bzw. für das Fehlen von Zivilisation, sofern es sie nicht im Mindestmaß gibt. Und natürlich haben die, die am „längeren Hebel“ sitzen, kein Interesse daran, an dieser Ungerechtigkeit jemals etwas zu ändern.

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            • breakpoint schreibt:

              Auch wenn diese reich Geborenen von ihrem eigenen Vermögen leben, und nicht auf Kosten der Gesellschaft, sind sie mir auch nicht unbedingt sympathischer.
              Ich habe Respekt und Hochachtung vor Leuten, die es aus eigener Kraft zu etwas gebracht haben, oder die zumindest ihr bestes versuchen.

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            • Leser schreibt:

              Es ist halt ein Trugschluss, dass diese Leute nicht auf Kosten der Gesellschaft leben – denn das tun sie. Auf Kosten der „Untergebenen“, von der Reinigungsfachkraft bis zum Topmanager, die sie zwar bezahlen, aber anscheinend nicht in einer gerechten Form, denn es muss ja immer noch mehr Rendite als im vorherigen Vergleichszeitraum übrig bleiben. Das ganze bläst sich auf in eine Exponentialfunktion, und ist ab irgend einem Punkt einfach nicht mehr gerechtfertigt. Ja, dann wird auf Kosten der Gesellschaft gelebt, denn sie könnten alternativ ja die angebotenen Produkte/Dienstleistungen billiger machen (ab einem Punkt, wo sie sagen „so, jetzt hab ich genug, mehr brauch ich nicht.“) oder die Mitarbeiter insgesamt höher bezahlen und am Unternehmensgewinn beteiligen. Dazu kommt natürlich auch noch der politische Einfluss, der dafür sorgt, dass Gesetze für die Wirtschaft und damit gleichbedeutend gegen die Gesellschaft gemacht werden.
              Wir haben das Problem, dass ein Wirtschaftssystem bzw. dessen darin tätige Akteure eigentlich der Gesellschaft dienen muss. Arbeitsteilung und so weiter eben. In Wirklichkeit ist es aber so, dass jeder einzelne Mensch zu einem Diener der Wirtschaft geworden ist, und damit insgesamt die Menschen der Wirtschaft dienen, anstatt umgekehrt, wie es eigentlich sein sollte. Folglich ist jeder, der bei diesem Mechanismus nicht mitmachen will, auch gleich ein „Asozialer“. Natürlich auch alles in dieser Richtung medial meinungsgesteuert, damit kritische Stimmen bloß nicht zu laut oder gar ernst genommen werden.

              Wer es heute noch schafft, es aus eigener Kraft „zu etwas zu bringen“, der ist allerdings entweder psychopathisch veranlagt und gehört daher von Machtpositionen jeglicher Art möglichst fern gehalten, oder er hat einfach mein Mitleid verdient, weil er sich total in was verrannt hat, und völlig das wirkliche Leben aus den Augen verloren hat. Naja, jedem das Seine, wie es so schön heißt…

              Trotzdem, genau mit diesem Spruch hat man zu Adolfs Zeiten gerechtfertigt, dass Menschen in Konzentrationslager gesperrt und zu tode gefoltert wurden. Ich würde ihn heute allerdings eher so interpretieren, dass wir produktiv genug sind, um uns auch ein Grundrecht auf „Faulheit“ leisten zu können. Diese Leute machen ja vielfach trotzdem noch Dinge, die „im Kleinen“ wichtig sind, sich aber eben nicht monetär ausdrücken lassen.

              Ehrlich gesagt kotzt mich vor allem der Zwang, dass es bei allem nur ums Geld geht, an. Und das ist ja auch die Geißel, mit der die Menschen in sklavenhafter Unfreiheit gehalten werden: Geld wird künstlich verknappt, von den Kreisen, die die Kontrolle darüber haben, aber jeder braucht es zum Leben – folglich ist es nichts weiter als ein Machtinstrument. Denn dass es wirklichen Wert hätte, ist wohl hoffentlich spätestens seit den diversen „Blasen“ im Finanzmarkt, der Bankenrettung und ähnlichem klar. Wem das zur Klarheit darüber nicht reicht, der schaue sich noch bitte das andere Ende der Verteilungsskala an, wo jemand mit einem 40-Stunden-Job keinen ordentlichen Lebensunterhalt erwirtschaftet – vermutlich weil einfach irgendjemand in den „Zirkeln der Macht“ nicht will, dass es allen Menschen gut geht (ähnlich wie in der Brakteatenzeit die Adligen die Handwerker darum baten, sonntags zur Kirche nicht ihren feinsten Zwirn anzuziehen, damit sie sich noch von ihnen unterscheiden könnten).

              Waaaah, das Thema regt mich auf, diese erbärmliche Steinzeitlichkeit unserer sogenannten pseudo-Zivilisation, dass wir uns immer noch nicht über das Stadium eines Tieres hinausentwickelt haben, gesellschaftlich, obwohl allüberall gefaselt wird, wir wären zivilisiert.

              Wäre ich Außerirdischer, ich würde die Erde auch meiden: Kein Intelligentes Leben aufzufinden….

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            • breakpoint schreibt:

              Ich glaube, es hat keinen Sinn mehr, diese Diskusssion hier weiterzuführen.
              Unsere Positionen sind zu weit voneinander entfernt, um zu einem Konsens zu kommen, und ich will mich nicht herumstreiten.

              Ich schätze dich aber trotzdem weiterhin als Leser und Kommentator.

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  6. Waldstern schreibt:

    Also Papa hat vollkommen richtig gehandelt

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    • Leser schreibt:

      Asozial hat er da gehandelt, im wahrsten Sinne des Wortes!
      Und dann werden finanziell benachteiligte Personen immer als „sozial schwach“ diffamiert – da geht mir die Hutschnur hoch!

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      • breakpoint schreibt:

        Was war daran „asozial“?
        Vincent ist nicht „finanziell benachteiligt“. Seine Eltern, denen er übermäßig lange auf der Tasche liegt, haben ein Schreibwarengeschäft. Denen geht es finanziell bestimmt nicht schlecht.

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        • Leser schreibt:

          Ich kann es mehr als nur gut nachvollziehen, nach dem Aufwachsen im wohlbehüteten Elternhaus plötzlich in eine Leistungszwangs-Gesellschaft geworfen zu werden, in der Menschsein nichts zählt, sondern nur alles in Geld umgerechnet wird. Was sich nicht in Geld umrechnen lässt, ist wertlos. So wie das Leben von Vincent. Lebensunwertes Leben, nach der kapitalistischen Verwertungslogik!
          Und Carsten denkt anscheinend wirklich so….schauderhaft.

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          • breakpoint schreibt:

            Oh je! Vom armen Vincent wurde plötzlich erwartet, dass er nicht nur faul als menschlicher Parasit rumsitzt, sondern vielleicht auch selbst ein mal etwas sinnvolles tut!

            Irgendjemand muss auch seinen Lebensunterhalt erwirtschaften. Ein bisschen guter Wille wäre da nicht zu viel verlangt – statt permanenter Leistungsverweigerung.

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    • breakpoint schreibt:

      Er hätte es vielleicht ein bisschen diplomatischer angehen können, aber grundsätzlich war sein Vorgehen sinnvoll.

      Schön, dass du zu meinem Blog gefunden hast.

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  7. bonobo schreibt:

    lol.
    Würde ein Film so anfangen, würde ich nicht umschalten. Man fühlt mit beiden Parteien sozusagen mit.
    Eigentlich seltsam, dass Kinder irgendwann ihre Eltern verstehen, aber Eltern in ihren Kindern immer nur sich selbst sehen.

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    • breakpoint schreibt:

      Vielleicht weil Eltern für ihre Kinder nur das Beste (bzw. was sie dafür halten) wollen, für die Kinder aber der Status Quo der Eltern irgendwie selbstverständlich ist.

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      • Leser schreibt:

        Da fällt mir das alte Sprichwort ein: „Gut gemeint ist das Gegenteil von gut gemacht.“

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      • bonobo schreibt:

        Kinder fühlen mit ihren Eltern anders mit, weil sie viele Probleme von denen nicht verstehen. Für ein Kind macht es keinen Sinn, dass Mama weint, weil die Arbeit so anstrengend war. Rückwirkend versteht man es.
        Man geht vielleicht als Kind rationaler an die Einfühlung heran und als Elternteil macht man das intuitiv. Kind fällt hin, man sieht es und es tut einem selber weh.

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        • breakpoint schreibt:

          Das mag so für kleine Kinder gelten.
          Aber Kinder werden groß und volljährig, die meisten auch erwachsen.

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          • bonobo schreibt:

            Diese beiden sind vieleicht noch nicht so weit und Carsten war vielleicht auch etwas zu offensiv.
            Klar, ihm liegt das Mädchen am Herzen, nicht der Student Nummer X, der vielleicht so lange studiert, weil er Krebs hatte. Oder weil er kifft.
            Carsten hat schon mal einen wildfremden Stecher durchgefüttert, er will das nicht noch mal machen. Es ist schon gut, das gleich klarzustellen, andererseits ist es aber nicht sehr clever, das der Tochter vorzuwerfen, bis sie 80 ist, weil er ihr dadurch indirekt unterstellt, dass sie sich nicht entwickelt = immer Kind bleibt. Das könnte zur Entfremdung führen und es sollte ja besser zur Selbstständigkeit führen.

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            • breakpoint schreibt:

              Tja .. aber was passiert ist, ist passiert, und lässt sich nicht mehr rückgängig machen.
              Bevor das Gespräch noch mehr aus dem Ruder lief, habe ich ja eingegriffen. Mehr will ich persönlich mich aber da nicht reinhängen.

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            • bonobo schreibt:

              Ich find’s gut, dass Du da eingegriffen hast. Und auch, dass Du Dich da nicht rein hängen willst, dass ist ja eine Sache zwischen denen. Und außerdem, ein schlechter Start bedeutet nicht ein schlechtes Rennen.
              Vermutlich hat Carsten auch völlig Recht mit seiner Einschätzung des jungen Mannes 😀

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            • breakpoint schreibt:

              Grundsätzlich teile ich hier Carsten’s Einschätzung, meine aber dass es trotzdem alleine Fiona’s Angelegenheit ist, wie sie mit ihm umgeht.

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            • bonobo schreibt:

              Ja, das stimmt. Da muss sie selber durch.
              Ich hab meinen Vater irgendwann mal gefragt, ob er mir nicht auch noch mein Leben lang vorwerfen will, dass ich mit zwei in die Hose geschissen hab. Seitdem wirft er mir das auch noch vor, er hat einen seltsamen Humor.

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            • breakpoint schreibt:

              Solange das wirklich nur Humor ist, würde ich das gelassen zur Kenntnis nehmen – naja, bei Wiederholung wohl schon zunehmend genervt. 🙄

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            • bonobo schreibt:

              Ja, ich bin genervt, aber inzwischen sehe ich seine repetitiven Witze als eine Art Behinderung :/

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  8. Murgs schreibt:

    Ich kann noch nicht richtig mitreden, aber bislang war ich über die männlichen Begleiter meiner Töchter schon vor dem Kennenlernen einigermaßen informiert.
    Allzulange Studienzeiten sind zwar zu begründen, aber zunächstmal kein Thema für das erste Gespräch.

    Ich hatte aber auch keinen Grund mir potentielle Schwiegersöhne zur hochnotpeinlichen Befragung vorzunehmen.

    Zu einem so persönlichen Termin wie ein Begräbnis wäre mir allerdings ein frisch gebackener Freund auch sauer aufgestossen. An Carstens Stelle hätte ich Fiona die Ohren langgezogen.

    Übrigens war ich gerade auf der Trauerfeier für meine Schwägerin.
    Es ist wohl Friedhofszeit :-((
    Es ging viel um Familie und die Beziehungen untereinander – gerade wenn die Belastung weit über das normale Maß geht.

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    • breakpoint schreibt:

      Über die Existenz von Vincent war Carsten wohl schon vorher informiert, wusste aber nichts näheres über ihn.
      Wenn sein Studium sich beispielsweise verlängert hätte, weil er hätte arbeiten müssen, wäre das gar kein Thema gewesen.
      Aber offenbar war es ihm keinerlei Anstrengung wert. Faulheit halt.

      Mein Beileid für deine Schwägerin. ÄLT hat in ihrem Blog ja auch schon eine Beerdigung erwähnt.
      Da wart ihr wohl in H.?

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      • Murgs schreibt:

        Also die Vorbereitung der Vorstellung des Freundes will gut vorbereitet sein – Fiona.
        Seinen Lebenslauf sollte man immer im Griff haben, denn die Frage kommt bei jedem Bewerbungsgespräch und die passende Ausrede muß dann sitzen, um glaubwürdig zu klingen. -Vincent
        Auf dem familiären Hintergrund herumbohren ist oft ergiebiger, als an der Hängepartie im Studium. -Carsten

        Ja wir waren da. Mein Neffe ist 14 Tage Jünger als FLT, also gerade 15.
        Ad ist Zusammenhalt in der Familie gefragt, egal wie groß das Chaos schon ist:
        ÄLT hatte mit Mama und Freundin den Umzug an den Tagen vorher durchgezogen. MLT erholt sich von Asthma-Anfall im Schulkeller-Klassenraum. FLT wurde im Internat eingesammelt und nachts in einer JH wieder zur Kennenlern-Wanderung abgegeben.
        Empfangskomitee waren Direx und Klassenlehrerin.

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        • breakpoint schreibt:

          Keine Vorbereitungstipps für mich? Aber ich stand ja auch nur dekorativ dabei.

          Nein, es gab ja gar nicht viel Gelegenheit für solche Vorbereitungen. Die Beerdigung kam unerwartet, dann musste alles schnell gehen und es gab so viel anderes zu planen.

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  9. Bellona schreibt:

    ich muss sagen, ich kann auch sehr froh sein, dass meine eltern mich unterstützt haben. ich war völlig ziellos und habe auch ein studium abgebrochen und ein neues begonnen und meine eltern haben das mitgemacht. ohne schreibwarengeschäft (trotzdem knapp zu viel verdienend, als dass ich bafög bekommen hätte). ich habe zwischendrin immer mal gearbeitet, aber fakt ist, meine eltern haben das meiste an kosten gestemmt und ich habe heute ein viel schlechteres gewissen deshalb als damals. ich war damals schon dankbar und wusste, dass das nicht selbstverständlich ist, aber ich hatte auch haufenweise andere flausen im kopf, die mich tag und nacht beschäftigten, als wären sie lebensnotwendig. ich hätte definitiv mehr oder öfter nebenher arbeiten können und ich hätte auch mein studium schneller abschließen können (vielleicht ein semester, vielleicht sogar zwei). das weiß ich jetzt. manche werden erst später erwachsen, manchmal wird einem erst später der ernst des lebens klar. ich war ein verwöhntes einzelkind und jetzt, da ich mein eigenes geld verdiene, versuche ich, meinen eltern etwas davon zurückzugeben auf vielen verschiedenen wegen. vielleicht kommt auch dieser hallodri noch auf diesen trichter, man kann’s nicht wissen. 🙂

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    • breakpoint schreibt:

      Es ging weniger darum, dass er ein paar Semester länger gebraucht hat, sondern um die völlige Gleichgültigkeit und die Einstellung: „Was soll ich mich anstrengen? Meine Eltern zahlen sowieso.“

      Wie du habe ich auch knapp kein BAFöG bekommen, sondern mein Studium wurde hauptsächlch (bis auf einen kleinen Hiwi-Job) von meinen Eltern finanziert.
      Dafür bin ich ihnen heute noch dankbar. Und damals war ich es auch.

      Tja, wer weiß, vielleicht ändert er noch seine Einstellung und geht bewusster und verantwortungsvoller mit dem Geld seiner Eltern um.
      So wie ich ihn kennengelernt habe, dürfte jedoch ein eventueller Sinneswandel noch in weiter Ferne liegen.

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