Siebenhundertvierundachtzig

Noch vor dem Urlaub hatte ich die Req Spec in groben Zügen fertig gestellt. Nach dem Urlaub schaute ich sie nur noch mal durch, und verbesserte noch ein paar Feinheiten.
Bereits vor Beginn der Spec hatte ich das grundsätzliche OK des Chefs bekommen, dass die Spec später auch umgesetzt werden würde (sonst hätte ich mir die Arbeit gar nicht erst gemacht). Als ich sie ihm deshalb zumailte, ging ich davon aus, dass er sie – vielleicht bis auf ein paar Einzelheiten – durchwinken würde.

Stattdessen bat er mich in sein Büro (nein, keine Chance, nur rein geschäftlich), um die Spec mit mir zu besprechen.
„Du hast dir da wirklich viel Arbeit gemacht und die einzelnen Requirements sehr detailliert aufgeschlüsselt. Ich bin beeindruckt.“
Ich zuckte die Schultern: „Das ist nun mal mein Job. Entweder ich mache es ordentlich oder gar nicht.“
„Ja, sehr schön. Ich habe nur leider nicht die Zeit, das selbst alles genau durchzugehen.“
„Dann sollen wir ohne Review mit der Implementierung beginnen?“, wollte ich mich vergewissern.
„Das habe ich so nicht gesagt“, schüttelte er den Kopf, „ich werde die Spezifikation an Ulrich weitergegeben. Er kennt das Produkt am besten.“
Ich war nicht begeistert, und sagte ihm das.
„Versteh‘ doch, ich kann da jetzt keine Zeit dafür erübrigen. Meine Frau wünscht, dass ich weniger arbeite.“
„Haha. Dann macht eben Ulrich das Review“, gab ich zwangsläufig nach, denn gegen dieses Argument komme ich natürlich nicht an.

„Und lass‘ ihm zwei bis drei Wochen Zeit, bevor du nachfragst. Er ist auch ziemlich eingespannt.“ Warum eigentlich? Seit ich die Softwareentwicklung übernommen habe, ist er ja nur noch für den Rest der Entwicklung zuständig. Da sollte er noch genug Luft haben.
„Ja, ja, ist ja nicht mein Business. Mir kann es egal sein, wie lange er braucht.“
„OK, das war’s dann. Du kannst wieder zurück.“
„Ganz wie du willst“, meinte ich beim Aufstehen, und ging Richtung Tür.

„Ach so“, hielt er mich noch auf, „du hast doch hoffentlich nicht irgendwelche Obszönitäten in der Spec versteckt?“
Perplex hielt ich inne. „Aber nein“, erwiderte ich würdevoll, „das ist ein professionelles Dokument. Wir kommst du darauf?“
„Naja, ich kenne dich gut, und das wäre dir durchaus zuzutrauen.“
„Du kannst ganz beruhigt sein, ich habe lediglich die branchenübliche Terminologie benutzt. Device ist nun mal device und tool ist nun mal tool. Dazu kann ich nichts.“
„Schon OK. Ich erinnere mich nur an deine Reinigungsanweisung für die Computergehäuse. Oder an deine Logo-Entwürfe.“
„Wenn du ganz sicher gehen willst“, antwortete ich inzwischen etwas ärgerlich, „dann lies die Spec gefälligst selbst.“
„Ist ja gut. Wenn du mir das zusicherst, dann glaube ich dir schon.“
„Vielen Dank für dein grenzenloses Vertrauen. Darf ich jetzt gehen?“
Mit einer Handbewegung verabschiedete er mich.

Dadurch dass ich jetzt auf das Placet des CTO’s angewiesen bin, verschiebt sich der Implementierungsbeginn erst mal weit in die Zukunft: mehrere Wochen bis ich überhaupt ein Feedback kriege. Dann wird er bestimmt einige Sachen ändern wollen, und sei’s nur, um zu demonstrieren, wie gründlich er ist, und dass er sich nicht von der Frau des Chefs beeinflussen lässt. Bis ich die Änderungen dann einarbeite, wieder – vielleicht mehrmals – das Ganze hin und her. So verschiebt sich das alles ins völlig Ungewisse.
Und wie beschäftige ich meine Jungs jetzt auf unbestimmte Zeit bis dahin? Die Resourcenplanung habe ich unter der Annahme gemacht, dass wir in den nächsten Wochen mit der Implementierung beginnen. Wenn ich ihnen jetzt ein anderes größeres Arbeitspaket gebe, sind sie vermutlich nicht damit fertig, wenn der initial Start ist. Mit kleineren Aufgaben kann ich aber nur begrenzte Zeit sinnvoll überbrücken. Wie ich’s auch mache, es ist falsch.

Über Anne Nühm (breakpoint)

Die Programmierschlampe.
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21 Antworten zu Siebenhundertvierundachtzig

  1. mkuh schreibt:

    Hallo
    SAG ihnen das zuerst das bald was großes kommt und sie deswegen etwas Leerlauf haben.
    Sollen schauen das alle tools aktuell sind und das sie alle IDS gut kennen. Vielleicht noch ne scramm Schulung ?

    Viele grüsse

    Mkuh

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  2. idgie13 schreibt:

    Vielleicht könnt ihr ja mit Basismodulen schon mal anfangen, die ziemlich sicher wie von Dir geplant umgesetzt werden können.

    Weil das Stichwort oben gefallen ist: mich würde mal Deine Meinung zu SCRUM interessieren.

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  3. sweetsurrender schreibt:

    „Mit einer Handbewegung verabschiedete er mich.“…der würde zuhause eine Handbewegung von mir kennenlernen…>:-[

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  4. ednong schreibt:

    Ich würde auch tippen, dass du sicher rudimentäre Dinge schon beginnen kannst, die Basis dürfte doch sicher vor großen Veränderungen im Review sein.

    Und für den Rest der Zeit Weiterbildung fänd ich auch geil. Und letztlich hast du dann auch wieder etwas davon.

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  5. engywuck schreibt:

    irgendwelche Überstunden vom letzten „das-muss-unbedingt-noch-fertigwerden“ gibt’s nicht zufälligerweise abzufeiern?

    Ansonsten: Fortbildung, Dokumentation auf den neuesten Stand bringen, Prüfung bestehenden Codes auf Sicherheitslücken/Implementierungsfehler, Update alten VB6-Mülls, … eigentlich gibts immer genug zu tun. Das Problem ist, was zu finden, was abgebrochen werden kann wenn die neue Spec steht.

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    • breakpoint schreibt:

      Sicher gibt es immer irgendetwas zu tun – manches mehr, manches weniger sinnvoll.
      Aber – wie du ganz richtig schreibst – es lässt sich eben nicht jede Aufgabe problemlos ab- oder unterbrechen, was das Timing und die genaue Planung halt so schwierig macht.

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  6. breakpoint schreibt:

    SiebenhundertsechsundneunzigUm ein wenig Zeit zu überbrücken, lasse ich jetzt meine Mitarbeiter reihum kleine Vorträge über möglicherweise (bei manchen weiß ich es noch nicht sicher, könnten aber in der Zukunft wichtig werden) relevante Themen halten.

    Ursprünglich wollte ich s…

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  7. breakpoint schreibt:

    AchthundertvierzehnDer CTO hat inzwischen die Req Speq des neuen Bedienungskonzepts für die Geräte fertig durchgesehen.
    Ein paar kleinere Änderungen hat er vorgeschlagen. Die sind sogar recht vernünftig. Er hat halt doch mehr Erfahrung mit diesen Geräten als ich.

    Heu…

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