Siebenhundertsiebenundsiebzig

Nachdem ich mich schon auf einigen anderen Blogs darüber ausgelassen habe, auf meinem eigenen aber noch nicht, hole ich das hiermit etwas ausführlicher nach:
Wie inzwischen wohl bekannt sein dürfte, bin ich Physikerin. Physik ist nicht nur (wie ich das sonst oft und gerne formuliere) die Wissenschaft von den Körpern (die miteinander durch Stöße interagieren können), sondern versucht allgemein die (unbelebte) Natur zu beschreiben.

Es sind vier Grundkräfte bekannt:
Die elektromagnetische Wechselwirkung wird gemeinsam mit der schwachen Wechselwirkung in der Quantenflavordynamik (QFD) beschrieben. Für die starke Wechselwirkung ist die Quantenchromodynamik (QCD) verantwortlich. QFD und QCD bilden gemeinsam das Standardmodell, welches mathematisch ausgezeichnet verstanden und experimentell bestätigt ist. Die Lagrangedichte des Standardmodells ist mathematisch konsistent und eichinvariant. Mit Hilfe von Feynman-Diagrammen lassen sich Formeln wie mit einem Baukasten zusammensetzen.
Um elektroschwache und starke Wechselwirkungen zu vereinheitlichen sind die Theoretiker auf der Suche nach Grand Unified Theories (GUTs). Ansätze dazu gibt es einige, aber sie müssen sich auch am Experiment messen. Und dafür sind unsere Messapparaturen derzeit noch unzureichend.
Die vierte Grundkraft ist die Gravitation. Sie wird beschrieben durch die allgemeine Relativitätstheorie (GRT), die im makroskopischen Bereich ebenfalls als gesichert gilt. Im Gegensatz zu den anderen Kräften, bei denen die Wirkung durch den Austausch intermediärer Teilchen beschrieben wird, beruht die GRT auf der Metrik des Raumes, die durch Massen verändert wird.
Die bisherigen Versuche, GUTs mit der GRT zu einer Theory of Everything (TOE) zu vereinheitlichen, haben alle ihre Schwächen.

Keine Angst, ich gehe hier nicht in weitere Details.
Worauf ich eigentlich hinauswollte, ist, dass die Physik nichts erklären kann, sondern lediglich versucht, die Phänomene der Natur zu beschreiben. Dazu nutzt sie als Sprache die Mathematik.
Während die (reine) Mathematik nur in konstruierten, abstrakt-ideellen Räumen (also fernab der Realität) konsistent sein muss, misst sich die Physik am Experiment, also an der Wirklichkeit.
So ästhetisch die sich ergebenden Formeln auch sein mögen, sollte man jedoch niemals vergessen, dass es sich dabei nur um ein Modell handelt, und kein wahres „Abbild“ der Realität darstellt.
Natürlich kann man sich z.B. Quarks als winzigkleine Kügelchen vorstellen. Dies entspricht einfach eher unserer Anschauung als eine Überlagerung mehrdimensionaler Felder von elekromagnetischen Kräften, Farbladungen, Spindichten, Masseverteilungen und was vielleicht sonst noch alles. Aber diese phantastischen Quarkglobuli spiegeln nicht die Realität wider, sondern dienen lediglich als Modell.
Oder nehmen wir die Maxwell-Gleichungen. Mit ihnen lassen sich wunderbar elektromagnetische Felder beschreiben. Aber „warum“ – verdammt noch mal – wirkt die Lorentzkraft senkrecht zur Bewegungsrichtung? Darauf gibt es keine Antwort. Außer vielleicht einem phlegmatisch-pragmatischen „is‘ halt nu‘ ma‘ so“. Pure Deskription statt Erkenntnis.

Das wichtigste Kriterium für eine akzeptable Theorie ist, dass sie die gleichen Ergebnisse liefert, wie die entsprechenden Experimente. Trifft dies für mehrere unterschiedliche Theorien zu, bevorzugt man i.A. die einfacherere.
So ist die klassische Physik mit z.B. der Newtonmechanik in unserem Alltagsleben weiterhin „gültig“, obwohl sie etwa bei extrem hohen Geschwindikeiten oder sehr kleinen Entfernungen versagt. Als „Näherung“ wird sie wohl auch in Zukunft benutzt werden, da sie in ihrer Einfachheit praktisch unschlagbar ist.

Schon relativ einfache Probleme (z.B. die Bewegung dreier sich gegenseitig beeinflussender Körper) sind nicht mehr allgemein analytisch lösbar, selbst wenn die zugrundeliegenden Bewegungsgleichungen als bekannt angesehen werden können.

Unsere gesicherten Erkenntnisse ermöglichen Voraussagen des Verhaltens von Materie in einem gewissen Gültigkeitsbereich. Außerhalb dessen „wissen“ wir gar nichts. Wir können nur versuchen, diesen Gültigkeitsbereich durch geeignete Theorien zu erweitern, die durch Messungen bestätigt werden müssen.
Bis dahin halte ich’s mit der 42.

Über Anne Nühm (breakpoint)

Die Programmierschlampe.
Dieser Beitrag wurde unter Uncategorized abgelegt und mit , , verschlagwortet. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.

17 Antworten zu Siebenhundertsiebenundsiebzig

  1. Lehrerin schreibt:

    Das einzige Wort, das ich wirklich verstanden habe, war Quark. 😳
    Werde jetzt mal Käsekuchen backen… 😉

    Like

  2. ednong schreibt:

    Wie? Das war ein verkapptes Käsekuchenrezept? Dann muß ich mir das nochmal durchlesen …

    Like

  3. Leser schreibt:

    Herrlich, diese Zweideutigkeit „Sahne auf Torten spritzen“, als ob das nicht auch als verklausulierte Berufsbeschreibung eines Pornodarstellers gelesen werden könnte…

    Naja, und zum Blogeintrag: Das wichtigste daran ist wohl der Modellcharakter. Wenn man statt nach dem „wie“, nach dem „warum“ anfangen würde zu fragen, wären Physik und Philosophie nicht mehr voneinander zu trennen (da ist die 42 dann vielleicht gar kein schlechter Ansatz – oder zumindest nicht schlechter, als die 0 oder die 1). Aber das mit den Modellen ist so eine Sache. Sie beschreiben im Grunde sich selbst, in ihren Beweisen beweisen sie, dass sie sich selbst beweisen, und so weiter 🙂 – in diesem Zusammenhang gibt es eben auch immer wieder Dinge, die sich damit nicht vollständig beschreiben lassen. Da wäre dann bei den Physikern evtl. etwas Aufgeschlossenheit ganz gut, so finde ich (natürlich als Laie, ohne das entsprechende Vorkenntnisse) z.B. die Ansätze von Prof. Konstantin Meyl hoch interessant, aber man müsste das Modell halt gehörig umbauen dafür, und da scheinen viele gar nicht erst prüfen und nachrechnen zu wollen, sondern sagen einfach „weil wir es schon immer so gemacht haben, bleibt das so, alles andere wäre zu viel Arbeit“ oder so ähnlich…

    Like

    • breakpoint schreibt:

      Tja, deine Fantasie .. B)

      Bei diesem Blogeintrag ging es – wie du ganz richtig sagst – darum, dass die Physik nur beschreiben kann („Wie“).
      Das „Warum“ ist wieder ein ganz anderes Thema, bei dem IMHO auch Philosophie und Metaphysik keine wirklich befriedigenden Antworten liefern können.

      „Habe nun, ach! Philosophie,
      Juristerei und Medizin,
      Und leider auch Theologie
      Durchaus studiert, mit heißem Bemühn.
      Da steh ich nun, ich armer Tor!
      Und bin so klug als wie zuvor;“
      ..
      „Und sehe, daß wir nichts wissen können!“
      ..
      Zu sagen brauche, was ich nicht weiß;
      Daß ich erkenne, was die Welt
      Im Innersten zusammenhält,“
      ..“

      J.W. v. Goethe, Faust I

      Ich werde demnächst einen eigenen Blogeintrag dafür vorsehen (mit dem Entwurf habe ich schon begonnen), und möchte dem jetzt noch nicht vorgreifen.

      Das mit den rekursiven „Beweisen“ sehe ich nicht wie du.
      Ergebnisse einer Theorie müssen mit den Ergebnissen der Experimente übereinstimmen.
      Ein einziges (reproduzierbares) Experiment, das der Theorie widerspricht, falsifiziert diese sofort (bzw. reduziert zumindest deren Gültigkeitsbereich).
      Theorien, die nicht experimentell nachgeprüft werden können, sind erst mal nur (mehr oder weniger plausible) Spekulation.
      „Beweisen“ – im mathematisch strengen Sinn – lässt sich in der Natur gar nichts.

      Die Forschungen von Prof. Meyl kenne ich nicht (hab aber mal kurz gegoogelt). Bei neuen Theorien, die die etablierten ersetzen sollen, bin ich erst mal skeptisch.
      Das ultimative Kriterium ist aber immer das Experiment.

      Like

      • Leser schreibt:

        Ja, das Problem mit Physik/Philosophie und dem wie/warum ist eben die aller erste Grundannahme jeglicher Wissenschaft, nämlich dass es eine „objektiv beobachtbare Realität“ gibt, die sich für jeden Beobachter gleicht. Das ist aber eben nur auf einer Ebene so. Wenn jemand steif und fest behaupt, um seinen Kopf drehen rosafarbene mini-Elefanten mit Flügeln in der Luft ihre Runden, dann kann ich nicht sagen „der ist verrückt“, nur weil ich die Viecher weder sehe, noch glaube, dass es sie gibt. Oder, um einen anderen Vergleich heranzuziehen, wäre das die Newtonmechanik, die auf der Quantenebene nicht funktioniert. Eben gerade diese Grenzfälle sind es doch, die die Grenzen eines Modells aufzeigen, und es so ermöglichen, dieses zu erweitern. Ebenso ist die von uns allen gemeinsam erlebte Realität eben dieser „gemeinsame Nenner“, wo das Modell „Realität“ funktioniert, aber jeder Mensch hat in seiner Wahrnehmung und in seinem Bewusstsein eben auch verschiedene dieser „Grenzbereiche“ (bei der Newtonmechanik eben die extrem hohen Geschwindigkeiten und die extrem kleinen Entfernungen), und das ist eben der Punkt, den man mit der Philosophie, oder auch einer einschränkenden Erweiterung von Philosophie in Richtung Agnostizismus/Spiritualität, erreichen kann, aber wohin Wissenschaft qua ihrer Methode und ihrer Prädikamente nie folgen können wird. Ab dem Moment, wo jemand in diesem „Grenzbereich“ Aussagen trifft, die sich mathematisch herleiten lassen, wird es schön spannend, aber zugleich ist es auch völliger Unsinn, denn wenn wir uns in einem Bereich bewegen, der nicht objektiv wahrnehm- oder beschreibbar ist, ist eben alles wahr. Und genau da liegt das Geheimnis der Philosophie…man stelle sich vor, die „Objektive Realität“ wäre nur in etwa so detailliert wie ein 32×32-Thumbnail eines großen Digitalfotos, und dann kann man sich ungefähr vorstellen, wie viele unterschiedliche Bilder (=Realitäten) es geben kann, die beim Runterrechnen dieses selbe Thumbnail ergeben….und dass diese Bilder sogar teilweise völlig unterschiedliche Dinge darstellen können, die auf den ersten Blick (wenn man nur das Thumbnail sieht) völlig gleich aussehen…
        Ab dem Moment wird dann die Wissenschaft irgendwie zu einem Versuch, die Kantenlänge der einzelnen Pixel des Thumbnails zu messen/errechnen…

        (Ja, meine Phantasie kann noch viel mehr! ;-))

        Like

        • breakpoint schreibt:

          Interessanter Vergleich mit dem Thumbnail.
          Tja, wir sehen hier nur einen winzigen Bruchteil der Wirklichkeit, und sollen davon auf den ganzen Rest extrapolieren .. unmöglich.

          Aber wenn man schon einmal eingesehen hat, dass unsere Möglichkeiten, die Natur tatsächlich zu verstehen, äußerst gering sind, gewinnt die 42 umso mehr an Attraktivität.

          Like

  4. breakpoint schreibt:

    AchthundertDie Gretchenfrage habe ich schon vor längerer Zeit beantwortet, einmal über Aberglauben geschrieben, und kürzlich über die Beschreibung der Natur gebloggt.
    Allmählich ist es auch mal angebracht, meine persönliche Weltanschauung zu erläutern. Niemand m…

    Like

  5. Pingback: Dreizehnhundertneunundvierzig | breakpoint

  6. Pingback: Von der (Un-)Berechenbarkeit der Natur //1431 | breakpoint

  7. Pingback: Tausendneun | breakpoint

  8. Pingback: Achthundert | breakpoint

  9. Pingback: Mathematik ist .. //2006 | breakpoint

  10. Pingback: Wer bin ich? //2462 | breakpoint

Hinterlasse einen Kommentar