Sechshunderteinunddreißig

Ich hatte Carsten ja versprochen, seinen Geburtstag zu vergessen, und selbstverständlich hielt ich mich daran.
Was ich jedoch nicht vergessen hatte, war, dass sich gestern unser Wiedervereinigungstag jährte. Wenn das kein Grund zum Feiern war!
Nach unserem Aufwachritual langte ich ins untere Fach der Nachttischkonsole, um das Geschenk herauszuholen.

Ich hatte mir ja lange überlegt, was ich Carsten schenken soll. Zeitweise hatte ich Boxershorts mit der Beschriftung „Magic Wan∂“ favorisiert, hatte aber keine geeignete Bezugsquelle gefunden. Der Schnitt der in den entsprechenden Shops angebotenen Boxershorts gefiel mir nicht. Es soll ja nicht hingepfitzt aussehen.
Dann war ich auf die Idee eines Fotopuzzles gekommen. Als Motiv wäre z.B. ein Bild von unserer Hochzeit geeignet gewesen. Aber eigentlich hat Carsten viel zu wenig Geduld für so etwas. Ich behalte mir diese Geschenkidee also für einen anderen Anlass vor. Früher oder später bekommt er das Puzzle.
Das Geschenk, das ich schließlich ausgesucht habe, ist zwar überhaupt nicht originell, aber ich war mir dafür sicher, dass es Carsten’s Geschmack treffen würde.

Obwohl es noch etwas dunkel war, holte ich es also aus dem Nachtschränkchen, und reichte es ihm rüber: „Hier, ich habe was für dich.“
„Du hattest mir doch versprochen, das zu vergessen!“
„Was zu vergessen?“, tat ich unschuldig.
„Meinen Geburtstag.“
„Ach, stimmt. Den hast du ja heute auch. War mir total entfallen.“
„Und was soll dann das?“, fragte er streng.
„Happy Reunion Day!“, meinte ich feierlich, „oder ist das kein Grund zum Feiern?“
„Doch, das ist es. Also zeig schon her, was du da eingepackt hast.“

Er öffnete die Verpackung und sah das Decamerone von Boccaccio.
„Das ist eigentlich für uns beide“, erklärte ich, „ich dachte, wir könnten gelegentlich abends zusammen eine Novelle lesen, wenn du magst.“
„Du hast wieder mal meine Vorgaben absolut ignoriert, und eigentlich sollte ich deshalb auf dich sauer sein. Trotzdem hast du mir damit eine Freude gemacht“, sagte er schließlich kopfschüttelnd, und leitete die nächste Runde ein.

Es gelang mir für den Rest des Tages, Carsten von der Arbeit fernzuhalten (holt er jetzt nach).
Das Wetter schien freundlich und fast frühlingshaft, was uns zu einem Spaziergang verlockte. Da jedoch zeitweise auch ein kalter, unangenehmer Wind blies, dehnten wir den Spaziergang nicht sehr aus.
Im Laufe des Tages erhielt Carsten längere Anrufe von Sonja, Fiona und Verena. Verena ist jetzt offenbar doch wieder mit Patrick zusammen. Das scheint alle paar Wochen hin und her zu gehen.

Über Anne Nühm (breakpoint)

Die Programmierschlampe.
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4 Antworten zu Sechshunderteinunddreißig

  1. aliasnimue schreibt:

    Also das Decamerone ist meiner Meinung nach wesentlich origineller als ein Paar Boxershorts. 🙂

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  2. Pingback: Neunhundertacht | breakpoint

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