Fünfhundertvierundsechzig

Nachdem ich mich schon gelegentlich über Shades of Grey ausgelassen habe, darf ich auch einmal eine Art Rezession eines populärwissenschaftlichen Buches verfassen.

„Absurde Physik – Außergewöhnliche Phänomene“ von Klaus Rädle ist mir kürzlich in die Finger gekommen.
Bei diesem Titel hätte ich mir etwas anderes vorgestellt. Absurd assoziiere ich mit paradox oder widersinnig, aber es ging stattdessen um ganz normale Phänomene – von wegen außergewöhnlich.

In für mich nicht ganz nachvollziehbarer, eher willkürlicher Reihenfolge zählt der Autor etliche Phänomene auf, die zwar nicht mehr anschaulich sind, und der Alltagserfahrung teilweise widersprechen, aber dennoch die Natur beschreiben.
In naiv-klassischer Manier führt der Autor einige Berechnungen durch, die natürlich Ergebnisse liefern, die nicht mehr vorstellbar sind, worauf der Stoßseufzer folgt: „Aber woher kommt die große Diskrepanz zum klassischen Modell?“
Die Diskrepanz kommt daher, dass das klassische Modell eben nur eine unvollkommene Näherung ist, und meist nur für den uns zugänglichen Bereich einigermaßen gültig ist. Einem Physiker sollte das eigentlich selbstverständlich sein, und kein Grund, sich darüber aufzuregen.

Alle Beispiel werden nur oberflächlich und ohne Tiefgang abgehandelt, so dass die Frage erlaubt sein darf, für welche Zielgruppe der Autor schreibt.
Als Fachbuch für Physiker ist es sicherlich nicht geeignet, da es sämtliche Themen nur streift. Interessierte Laien dürften dagegen von vielen (wenngleich sehr einfachen) Formeln eher abgeschreckt und verwirrt sein, zumal der Autor die meisten Begriffe ohne nähere Erklärung lediglich hinklatscht.

Auf Seite 123 führt der Autor das „Sneutralino“ ein, das er offenbar mit dem Sneutrino verwechselt.
Das kalte Grausen bekam ich auf Seite 181, wo er τ als „Umrechnungsfaktor in s/Jahr“ benutzt. So etwas ist eigentlich eines Physikers unwürdig.

Überhaupt erinnerten mich große Teile des Buches an die sog. „Gottesbeweise“, bei denen solange mit Bibelstellen und was-weiß-ich herumgerechnet wird, bis etwas scheinbar sinnvolles herauskommt. (Hierzu ein paar Beispiele aus meinem persönlichen Fundus .. äh Repertoire: π2 ≈ 10; e3 ≈ 20; Binomialkoeffizient 37 über 2 = 666.)

Positiv möchte ich vermerken, dass kaum Rechtschreibfehler vorkommen, das Buch viele Abbildungen enthält, und dass der Autor auch etliche historische Fakten nennt. Außerdem ist das Buch derzeit auf dem neuesten Stand.
Einige Highlights: Diffusion (11), Eindringtiefe (31), Blasenkammer (40), Tunneleffekt (84), sowie die relativ ausführliche Abhandlung über Blasen im Multiversum.

Übrigens, auch wenn ich das Buch nicht wirklich empfehlen kann, erinnert es mich doch an ein anderes Buch, das mich maßgeblich geprägt hat.
In meiner Jugend habe ich „Streifzüge durch die moderne Physik“ immer wieder aus unserer lokalen Bücherei ausgeliehen. Falls ich es heute mit meiner jetzigen Erfahrung und aktuellem Wissen wieder einmal lesen würde, wäre mein Eindruck sicherlich nicht mehr so positiv, zumal es damals schon ziemlich veraltet gewesen sein muss.
So gesehen könnte „Absurde Physik“ für manche Nerds in spe möglicherweise durchaus zur Bibel werden.

Über Anne Nühm (breakpoint)

Die Programmierschlampe.
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17 Antworten zu Fünfhundertvierundsechzig

  1. Gentleritter schreibt:

    Ich habe vor ein paar jahren dieses Buch eher verschlungen als gelesen:

    Aber, ob des die Gnade von Frau Prof. Breakpoint finden würde…, weiß ich natürlich nicht.

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  2. schaum schreibt:

    populärwissentschaftlich ist ja an sich schon ein widerspruch im begrifflichen oder? manch einer schafft es dennoch, hier etwas beizutragen in dieser widersprüchlichen nische…..ich persönlich stehe sehr auf rudy rucker……jedenfalls habe ich das mal vershclungen vor jahren…….und ganz anders daher, aber durchaus anregend ist stanislw lem…….man muss es nur sehen, was er dort wirklich tut 🙂

    es schäumt meinetips

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    • breakpoint schreibt:

      Unter „populärwissenschaftlich“ verstehe ich, dass wissenschaftliche Themen für die Allgemeinbevölkerung leichter verständlich (und häufig auch in unterhaltsamer Form) aufbereitet werden.
      Insofern sehe ich das nicht als Widerspruch, sondern als – in diesem Kontext legitime – Vereinfachung.

      Es gibt sicherlich eine ganze Reihe empfehlenswerter Autoren.
      Ich möchte hier noch Douglas Hofstadter erwähnen, dessen Werke allerdings recht anspruchsvoll sind.

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      • schaum schreibt:

        ja, der douglas h., der hat mich mit seinem gödel escher bach 4 wochen urlaub beschäftigt, damals war ich noch im vollen saft als student kurz vor dem diplom. aber der ist kaum noch populärwissenschaftlich…….das problem ist die definition der zielgruppe „allgemeinbevölkerung“ ich persönlich gewinne den eindruck, dass eben jene nicht mehr allgemein genannt werden kann…….dies zwingt zu vereinfachungen, die den eigetlichen clou zu sehr entstellen….deswegen als widerspruch von mir einsortiert.

        es schäumt jederseineerfahrung

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  3. remi1 schreibt:

    Ich musste über die wenigen Rechtschreibfehler grinsen 🙂

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    • breakpoint schreibt:

      Tja, (halbwegs) korrekte Rechtschreibung sollte eigentlich selbstverständlich sein.
      Leider habe ich auch schon Bücher gelesen, bei denen praktisch auf jeder Seite mindestens ein Fehler war.
      Deshalb habe ich es halt explizit erwähnt.

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  4. idgie13 schreibt:

    Auf solche Bücher springe ich auch an und bin dann meist auch enttäuscht über das niedrige Niveau…

    Noch lieber lese ich aber Bücher mit autobiographischem und wissenschaftlichem Hintergrund wie „Fermats letzter Satz“, „Poincarés Vermutung“, ..

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    • breakpoint schreibt:

      Stimmt, wissenschaftsgeschichtliche Bücher haben auch ihren Reiz.
      Das erinnert mich an „Atom“ von Schenzinger (ja, ich weiß, der ist problematisch, aber dieses Buch hat mich wirklich gefesselt), das ich in meiner Jugend verschlungen habe.

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  5. engywuck schreibt:

    oh weh. schon wieder ein Buch, bei dem die Wahrscheinlichkeit hoch ist, dass ich’s geschenkt bekomme „du hast doch Physik studiert…“ – EBEN. Da brauch ich sowas nicht, mir kann man gerne mit Details kommen…

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  6. breakpoint schreibt:

    SechshundertdreißigAls beim Webmasterfriday letzte Woche über Fitnessgadgets diskutiert wurde, verwarf ich die Teilnahme schnell, denn das Gadget, mit dem ich mich fit halte ist wohl nicht im Sinne des Themas, und erfüllt auch die Definition einen „kleinen“ .. Gerätes ni…

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