Fünfhundertvierundfünfzig

Ich hätte mir denken können, dass es sich um ein unangenehmes Thema handelte, als er mich in sein Büro bestellen ließ.
Aber ich war in Gedanken bei der Spezifizierung eines kleinen Tools, das ich schreiben wollte, um bestimmte Abläufe in der Firma zu vereinfachen.

Ich trat also in sein Büro und setzte mich auf den Drehsessel vor seinem Schreibtisch ihm gegenüber. Er wartete noch ab, bis die Sekretärin uns Kaffee gebracht hatte. Erst dann begann er: „Ich weiß, dass du das nicht hören willst, aber du solltest wissen, dass ich mein Testament neu aufgesetzt habe.“
„Du hast Recht. Das interessiert mich nicht.“ Obwohl ich meinen Kaffee noch nicht ausgetrunken hatte, hatte mein Fluchtreflex bereits eingesetzt, und ich war aufgestanden.
„Setz‘ dich wieder hin!“, sagte er scharf, „wir müssen das jetzt besprechen.“
Ich schaute ostentativ auf meine Uhr, und wollte zumindest etwas Zeit gewinnen. „Oh, jetzt genau müssen wir das nicht. Ich habe gleich ein Mitarbeitergespräch.“
„Erst in einer halben Stunde. Und dein Mitarbeiter kann ruhig mal warten.“
„Das wäre aber sehr unhöflich von mir.“
„Ich bezahle ihn ja, während er wartet. Und jetzt bist du es, die Zeit mit nutzloser Verzögerungstaktik verschwendet.“
Schweigend blieb ich also sitzen.

„Du wirst die Wohnung bekommen, die Mädchen das Haus. Ich denke, daran hast du kein größeres Interesse. Ich habe einiges an sonstigem Vermögen. Das soll so aufgeteilt werden, dass die Mädchen insgesamt das 1.5-fache ihres Pflichtteils kriegen, unsere gemeinsamen Kinder ihren gesetzlichen Anteil, den Rest du.“
„Ich will das nicht“, unterbrach ich ihn gequält.
„Du bist doch sonst so realistisch. Diese Angelegenheit müssen wir einmalig klären, dann hast du wieder deine Ruhe.“
„Ich sehe nur keinen Anlass.“
Er seufzte: „Wenn es erst einen Anlass gibt, dann ist es vielleicht schon zu spät. Auch wenn ich gesundheitlich fit bin, kann mir plötzlich ein Unfall zustoßen. Das ist nur für den Fall der Fälle.“
„Hm.“

„Nun zum größten Brocken, Novosyx. Ich möchte dir ab sofort eine Art Prokura, eine Vollmacht erteilen, die dich ermächtigt, Geschäfte stellvertretend für mich abzuschließen. Die musst du ja nicht sofort wahrnehmen. Mach dich einfach mal mit dem Gedanken vertraut. Mittel- bis langfristig möchte ich aber schon, dass du dich hier etwas mehr involvierst, und irgendwann auch in der Lage bist, selbst die Geschäftsführung zu übernehmen.
Ich gedenke ja, selbst den Job noch zehn bis zwanzig Jahre lang auszuüben. Danach ist es mein Wunsch – zumal bis dahin auch keines unserer Kinder alt genug wäre, das zu tun – dass du das übernimmst. Meine Töchter haben kein Interesse oder Talent dazu. Gegebenenfalls wären sie nach meinem Tod am Gewinn anteilig zu beteiligen. Das klären die Anwälte noch.“

Er schwieg.

Ich auch.

„Was sagst du dazu?“, fragte er schließlich.
„Oh, ich werde tatsächlich auch noch gefragt!“, entgegnete ich ironisch, „wenn das mein Lebensziel gewesen wäre, hätte ich sicherlich BWL studiert. Ich bin eine“ (‚Programmierschlampe‘ wäre mir fast herausgerutscht, aber ich korrigierte mich noch schnell) „Softwareingenieurin, und will meine Zeit nicht mit irgendwelchen Geschäftsabschlüssen oder so verschwenden.“
„Du bist also nicht einverstanden. Das hatte ich befürchtet. Bitte überleg’s dir noch mal, Samtpfötchen. Sonst zwingst du mich, nach anderen Lösungen zu suchen.“
„Bist du jetzt fertig?“
„Ja. Wirst du dir diese Sache nochmal durch den Kopf gehen lassen?“
„OK. Ich kann dir aber nicht versprechen, zu einem anderen Ergebnis zu gelangen.“
Er nickte resignierend, und ich beeilte mich, sein Büro zu verlassen.

Über Anne Nühm (breakpoint)

Die Programmierschlampe.
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51 Antworten zu Fünfhundertvierundfünfzig

  1. schaum schreibt:

    ja, so etwas sollte früh geregelt werden. da hat er wohl recht. auch wenn es kein schönes thema ist. und egal wie man es regelt, es kommt immer streit und missgunst, also ganz offen regeln. er hat das schon richtig gemacht denke ich. auch wenn es vielleicht nicht der passende moment war

    es schäumt meineich

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  2. Geeforce schreibt:

    Ihc muss ihm insofern recht geben, dass solche Dinge rechtzeitig und vorab geklärt werden müssen.:yes:

    Unfälle passieren, und ohne klare Rechtslage sind dann die einzigen die profitieren die Anwälte…:roll:

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  3. sweetsurrender schreibt:

    Völlig vernünftig.
    Was genau ist Dir daran so unangenehm?

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    • breakpoint schreibt:

      Zum einen ist mir sein Vermögen absolut egal. Ich kann auch ohne das selbst für mich sorgen.

      Zum anderen gefällt es mir nicht, dass er mich dazu ausersehen hat, sein Unternehmen weiterzuführen. Davon war nie die Rede.

      Und vor allem finde ich solche Planungen makaber – selbst wenn sie vernünftig erscheinen mögen.

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  4. idgie13 schreibt:

    Das mit dem Weiterführen seines Unternehmens würde ich mir gut überlegen. Das würde ich z.B. auch nicht wollen. Da kann man auch einen Geschäftsführer einsetzen, bis die Kinder selber übernehmen wollen. Und auch die haben vielleicht einen anderen Wunsch…

    Apropos „gemeinsame Kinder“: sind die von beiden geplant? Oder ist das nur sein Wunsch?

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  5. plietschejung schreibt:

    Ohne diverse Details zu kennen und einschätzen zu können, ob du „gut weg kommst“, finde ich deinen Mann einen Kerl mit Format.

    Gute Sache. Versuche, ihm zu vertrauen. Er will dir ja nichts Schlechtes und Verantwortlichkeiten wirst du im Falle des Falles eh übernehmen müssen.

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    • breakpoint schreibt:

      Wenn mein Mann nicht so toll wäre, wäre ich ja erst gar nicht mit ihm zusammen. 🙂

      Er ist auch aus der Technikecke da rein gekommen, aber den kaufmännischen Part hat am Anfang seine erste Frau, und später dann sein Stellvertreter übernommen.
      Aber er ist der Chef. Er hält alle Fäden in der Hand.

      Ich habe mit dem ganzen Kram halt überhaupt nichts am Hut, und fühle mich jetzt irgendwie unter Druck gesetzt.

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      • plietschejung schreibt:

        Dann lerne damit zu leben.
        Es ist leider so schwarzweiß.

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        • idgie13 schreibt:

          Seh ich nicht so. Es gibt doch durchaus Grauschattierungen zwischen „GF“ (schwarz) und „nix“ (weiss).

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          • breakpoint schreibt:

            1 bit (2 shades ..) ist in der Tat zu wenig (außerdem würde ich deine Zuordnung invertieren).

            Ich werde wohl nicht drum herum kommen, mich ein bisschen mehr für die Geschäfte zu interessieren.
            Schließlich will ich mich später nicht über den Tisch ziehen lassen, weil ich mich überhaupt nicht auskenne.
            Inwieweit ich das dann ausweite, tja, *durchschnauf*, only time will tell.

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          • plietschejung schreibt:

            Nein, in diesem Fall wohl nicht. Wenn ihr Mann verstirbt, ist es Fakt und nicht ein bißchen tot. Insofern sind Dinge zu regeln und Verantwortlichkeiten zu klären.

            Ich hab’s so wenigstens verstanden. 🙂

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            • breakpoint schreibt:

              Nee, nee, das wäre nur der allerworst case.
              Aber in 10 bis 20 Jahren (?) will Carsten sich ja aus dem Geschäft zurückziehen (was jetzt ein anderer Grauton wäre, bzw. ein Graukeil, wenn er das sukzessive tut).
              Inwieweit ich mich dann beteilige, ist auch nicht ein Entweder-Oder, sondern da gäbe es schon mehrere Abstufungen (auch wenn Carsten nicht alle gefallen würden).

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  6. remi1 schreibt:

    Komisches Gefühl plötzlich über ein Testament zu reden. Ich hab mit meinen Großeltern mal ihre Patientenverfügungen aufgesetzt.. War auch komisch.. aber irgendwann weiß man, wofür es gut war.

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    • breakpoint schreibt:

      Ja, das ist schon komisch und seltsam. 😦

      Aber bei Großeltern ist der Gedanke wohl nicht so abwegig wie beim eigenen Mann.

      Ich weiß nicht, wie alt deine Großeltern sind. Meine habe ich teilweise als Kind noch gekannt. Da erschien es mir ganz normal, dass sie in einem (aus meiner damaligen Sicht) hohen Alter starben.

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  7. ednong schreibt:

    War nicht anders zu erwarten.

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    • breakpoint schreibt:

      Hast du mal wieder deine Kristallkugel befragt?

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      • ednong schreibt:

        Nö,
        aber guck dir deine/n letzten Post/s zu diesem Thema an. Er wollte es regeln, du hast ähnlich reagiert.

        Ohne jetzt suchen zu wollen – ich habe damals glaub ich schon ganz ähnlich geantwortet. Nur ausführlicher.

        Ich halte es – wie viele hier – für sinnvoll, so etwas zu klären. Gerade, wenn man anders vererben will, als es gesetzlich verankert ist. Und ganz besonders, wenn man eine Firma führt. Er möchte halt, dass das in der Familie bleibt, was durchaus verständlich ist.

        Und ich gehe davon aus, dass du dich mit den grundsätzlichen Dingen einer Firmenführung befassen (müssen) wirst (jetzt mal in die Kristallkugel guckend) und es sicherlich irgendwann ansatzweise interessant finden wirst. Zumal du da ja auch anderen auf die Finger gucken und kloppen kannst 😉

        Und er wird noch irgendetwas finden, womit er dich ködern kann. Da bin ich mir sehr, sehr sicher …

        Es bleibt spannend.

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  8. Leser schreibt:

    Hmm, so ein package deal klingt irgendwie scheiße. Da will mensch doch nur den/die Partner/in für’s Leben, und bekommt dann auch noch die Verantwortung für ein Unternehmen mit hunderten von Mitarbeitern aufgebürdet. Ich würde bereits jetzt darauf drängen, dass er sich so bald wie möglich einen Nachfolger für die GF-Tätigkeit heranzüchtet, der dann auch am Unternehmen beteiligt werden kann. Wenn er jetzt plant, die Tätigkeit noch zehn bis zwanzig Jahre weiter zu machen, dann gib ihm jetzt fünf Jahre Zeit, den passenden Kandidaten zu finden, und fünf weitere Jahre, diesen anzulernen und mit der Tätigkeit und dem Unternehmen voll vertraut zu machen. Das ist ein großzügiger Zeitplan, und sollte durchaus zu schaffen sein. Und wenn er sich jetzt jemanden „frisch von der Uni“ sucht, weil ihm einfach dessen Charakter gefällt (weil, darauf kommt es wohl bei so einer Tätigkeit am ehesten an), dann ist der in 10 Jahren auch dazu in der Lage, das Unternehmen zu führen.

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  9. ednong schreibt:

    Och nö,
    das wird zu anstrengend. Außerdem fehlt mir der weibliche Blick auf die Dinge …

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  10. Bellona schreibt:

    mir stechen eigentlich nur die „eigenen kinder“ ins auge…

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  11. breakpoint schreibt:

    AchthundertneunKlar, gerade wenn ich mal die alleinige Verantwortung habe, kracht prompt die CNC in der Fertigung ab.
    Der Chef auf Gecheftsreise, sein Stellvertreter krank, und Jason, der sich da auch gut auskennt, in Urlaub.

    Also blieb mir nur der Fertigungslei…

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  12. breakpoint schreibt:

    TausendsiebenundzwanzigMeine Visitenkarten gehen allmählich zur Neige. Ich müsste mir mal wieder neue bestellen.
    Die sollen dann ein überarbeitetes Design bekommen. Dabei stellt sich mir die Frage, wie ich dabei am besten meine Tätigkeiten bei Novosyx darstellen kann.

    Ic…

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