Vierhundertvierundneunzig

Eigentlich war ich davon ausgegangen, dass ich einen gewissen Einfluss auf die Geschäftsleitung habe.
Ich hatte ja geschrieben, dass einer meiner Mitarbeiter zur Entwicklung wechseln wollte. Als Ausgleich würde ich natürlich einen neuen Mitarbeiter benötigen, und ich war davon überzeugt, dass das nur eine Formalität sei, bei der die Geschäftsleitung sofort ihr Placet geben würde.

Als ich das Thema beim Essen ansprach, wirkte die Geschäftsleitung zuerst eher desinteressiert: „Mach‘ das mit dem CTO aus. Solange alles in der IT glattläuft, und die Entwicklung zügig vorankommt, ist mir das ziemlich egal, welcher Abteilung der Mitarbeiter zugeordnet ist.“
„OK. Davon bin ich ausgegangen. Da ich aber dann einen Mann weniger in der IT habe, brauche ich einen neuen Mitarbeiter.“
„Nein, vergiss das. Ich stelle derzeit niemanden neu ein.“
„Ich will doch nur meinen Personalstand konstant halten. Wir sind nicht so üppig besetzt, als dass ich auf einen Mitarbeiter verzichten könnte. Schon jetzt gibt es immer wieder Engpässe, die ich kaum abfangen kann.“
„Mir ist schon klar, dass die Entwicklungsabteilung auf diesem Weg zu zusätzlichen Resourcen kommen will. Aber das ganze muss personalneutral erfolgen. Vielleicht kann einer der Entwickler zur IT wechseln.“
„Welcher Entwickler wechselt schon freiwillig zur IT!“, warf ich ziemlich aufgebracht ein.
„Jetzt beruhige dich mal wieder! Wenn zwei Mitarbeiter tauschen wollen, ist das in Ordnung. Aber eine Neueinstellung kommt nicht in Frage.“
„Und warum nicht, wenn ich fragen darf?“
„Kosten. Die IT hat heuer schon deutlich mehr Kosten verursacht, als geplant war.“

Ich weiß, ich sollte das nicht persönlich nehmen, aber zur Zeit fällt es mir so schwer, mit der gewohnten Sachlichkeit zu agieren.
„Du willst mir also den schwarzen Peter zuschieben. Also, dass ich meinem Mitarbeiter den Wechsel verwehre?“, fragte ich so ruhig, wie ich konnte.
Ich hätte nicht übel Lust gehabt, den ganzen Job hinzuschmeißen. Schließlich habe ich meine eigene Entwicklungsarbeit derzeit weitgehend auf Eis gelegt, nur um die IT in seiner Firma am Laufen zu halten. Und dann erfahre ich so wenig Unterstützung! Es war auch nicht meine Idee, dass der Mitarbeiter wechseln sollte. Ganz im Gegenteil, ich sehe das ja auch skeptisch, und hätte ihn lieber in der IT gehalten.
„Das ist dein Job.“
„Ist es nicht!, „widersprach ich, „wenn ich dich daran erinnern darf, so mache ich diesen Job nur vorübergehend, und nur, weil du sonst niemanden hast, der den Job machen kann. Oder will.“
Er ruderte zwar kaum zurück, aber fing zumindest nicht wieder mit uralten Geschichten an, weil ihm anscheinend klar wurde, dass ich ernst machen könnte, und den Job sonst tatsächlich hinschmeißen würde.
„Eine Neueinstellung ist hier derzeit nicht vorgesehen.“
„Dann sieh sie vor!“, verlangte ich kategorisch.
„Niemand weiß besser als du, dass die IT sich momentan in einem Übergangszustand befindet. Solange das nicht endgültig geklärt ist, wünsche ich da möglichst wenig Veränderung.“

Aus meinem Magen stieß es mir sauer auf. Es gelang mir zwar, das hinunterzuschlucken, ich muss aber dabei plötzlich sehr blass geworden sein, denn er war auf einmal äußerst besorgt: „Was ist los, Anny, geht’s dir nicht gut?“
Ich kämpfte noch mit der Magensäure. Erst dann antwortete ich sehr sachlich: „Du solltest dir möglichst schnell einen neuen CIO suchen. Ich weiß nicht, wie lange ich unter diesen Umständen noch eine funktionstüchtige IT aufrechterhalten kann, die mit meinen Qualitätsstandards konform ist.“

In der Tat setzen wir jetzt unsere Hoffnungen auf einen neuen Bewerber für die CIO-Stelle. Ich habe seine Unterlagen durchgesehen. Das sieht vielversprechend aus. Nächste Woche stellt er sich vor. Je früher ich diese Position los bin, desto besser.

Über Anne Nühm (breakpoint)

Die Programmierschlampe.
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14 Antworten zu Vierhundertvierundneunzig

  1. schaum schreibt:

    wer glaubt, dass abteilungsleiter abteilungen leiten, glaubt auch, dass zitronenfalter zitronen falten.

    das habe ich früh in meinem berufsleben gelernt, so bitter es ist. ich denke, es passt jetzt grad bei dir

    es schäumt vielglück

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  2. Gentleritter schreibt:

    Na, ja der Chef muss´halt auch die Kosten im Auge behalten.
    Und gute Entwickler sind halt auch nicht ganz billig. Frag´doch Cheffe mal,ob du mit einem Unternehmensberater oder Freelancer die derzeitige Spitze überbrücken darfst. Ist kurzfristig zwar noch teurer, aber die flexiblere Lösung – und darauf kam es im glaube ich an.

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    • breakpoint schreibt:

      Wenn ich es objektiv betrachte, verstehe ich das ja mit den Kosten.
      Und es spielen auch noch ein paar andere Faktoren mit rein, die ich hier nicht im Einzelnen wiederkäuen kann.
      Ist trotzdem ärgerlich, dass ich das ausbaden darf.

      Ich bin die Überbrückung, und daran wird sich kurzfristig auch nichts ändern können.

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  3. engywuck schreibt:

    ich dachte, die Entwicklung hatte eine freie Stelle und wollte diese intern besetzen. Dann wäre aber mit dem neuen MA der IT keine Zusatzkosten zu bisher verbunden.

    Wenn sich aber die Entwicklung auf diese Weise neue Stellen zuschanzen will muss der Leiter Entwicklung auch bei der GL die nötigen Mittel genehmigt bekommen. Einfach von der IT abziehen und sagen „sieh du zu, wie du die (letztlich) neue Stelle finanziert bekommst“ ist unfair.

    Evtl. könnte die Entwicklung ja auch einfach einen bisherigen MA entlassen, dann wäre für die IT wieder eine Stelle frei und du müsstest nicht zwangsläufig jemanden aus der Entwicklung abwerben hin zur IT. Oder man treibt das Bäumchen-wechsel-dich weiter: Entwicklung gibt einen an Lohnbuchhaltung ab, von dort wechselt wer ins Controlling, von dort in den Verkauf und du bekommst einen Verkäufer in dei IT 😉

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  4. Murgs schreibt:

    Ich sehe zwei Optionen, die auch kombinierbar sind:

    Schiebe die Hälfte des Problems, wie von der Geschäftsführung vorgesehen(!), an den CTO ab. Der Mitarbeiter ist nicht zu ersetzen, also muß die Entwicklungsabteilung personelle Kapazität an Pflege und Wartung abordnen. Der CTO wird fluchen, aber schließlich hat er ja jetzt größere Kapazität.

    Kann dir IT-Abteilung mangels Personal nicht optimal arbeiten, so muß priorisiert werden. In der Medizin heißt das Triage.
    Hoffnungslose Fälle abschreiben, die binden zu viel Ressourcen.
    Fälle, wo man schnell und sicher Erfolge erzielt kommen zuerst dran.
    Kleinkram kann auch mit etwas Hilfestellung selber gelöst werden.
    Wichtig: Die Zuordnung zu den drei Gruppen ist nicht bindend, sondern muß ständig neu beurteilt werden.
    So macht man das bei Massenunfällen, wenn eine optimale Versorgung unmöglich ist.

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    • breakpoint schreibt:

      So extrem ist der Personalmangel jetzt auch nicht.
      Einen Mann weniger würde wir zwar deutlich spüren, aber solange sich der Krankenstand in Grenzen hält, ließe sich das noch einigermaßen handeln – teilweise dann eben mit Überstunden.

      Ich werde dem Mitarbeiter und dem CTO kommunizieren, dass ein Wechsel derzeit nicht machbar ist, es sei denn, aus der Entwicklung tauscht jemand in die IT.

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  5. breakpoint schreibt:

    FünfhundertsiebenundzwanzigVor einigen Wochen hatte ich gebloggt, dass einer meiner Mitarbeiter gerne zur Entwicklung wechseln würde. Das war dann am Veto des Geschäftsführers gescheitert, der keine Neueinstellung erlaubte, sondern höchstens einen internen Wechsel.
    Jetzt hat si…

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  6. Pingback: Fünfhundertsiebenundzwanzig | breakpoint

  7. Pingback: breakpoint’s Wayback Archive #26 //1829 | breakpoint

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