Vierhundertachtundvierzig

Nachdem ich das neue Organigramm angeschaut hatte, griff ich zum Telefonhörer.
Ich hatte Kathrin am Apparat, die sich umständlich vorstellte.
„Hier ist Anne. Ich müsste mal dringend mit deinem Chef reden.“
„Äh, der hat gerade heute Besprechung an Besprechung.“
„Nur ganz kurz. Telefonisch würde genügen.“
„Ich weiß nicht. Privatgespräche sind streng verboten.“
„Es handelt sich um eine dienstliche Angelegenheit und ist dringend.“
„Ach so. Ja, dann versuche ich, das dazwischen zu schieben.“
„Möglichst bald“, forderte ich sie noch auf, bevor ich auflegte.

Es dauerte noch über eine halbe Stunde, bis das Telefon auf dem Schreibtisch klingelte. Wenigstens war Carsten direkt am Apparat.
„Was gibt es?“
Ich kam sofort zur Sache: „Die neue Abteilungsbezeichnung des Marketings scheint mir ungünstig gewählt.“
„Die ist konsistent mit den übrigen Abteilungskürzeln. S für Sales, M für Marketing.“
„Glaubst du nicht, dass Kunden davon zumindest irritiert sein könnten?“
„Ich sehe, was du meinst. Was schlägst du vor?“
„Häng einfach eine Ziffer an das S. Also S4 oder so ähnlich. Das machst du bei anderen Abteilungen doch auch teilweise.“
„Hm. OK. Ich werde das veranlassen. Sonst noch was?“
„Nee. Aber das erschien mir dringend, bevor du das Organigramm weitergibst, und die Änderungen umgesetzt werden.“
„Gut. Dann bis heute abend.“ Schon hatte er aufgelegt.

Über Anne Nühm (breakpoint)

Die Programmierschlampe.
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18 Antworten zu Vierhundertachtundvierzig

  1. Moody schreibt:

    Kurz und knapp…aber definitiv kein Privatgespräch…es sei denn, es war ein Code dafür, dass du heut Abend mit Fesseln auf dem Bett warten sollst?

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  2. Betriebswirt-ZRH schreibt:

    … Organigramme sind dazu da, Kästchen zu verschieben und neu zu bezeichnen… und die wenigsten werden verstanden……

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    • breakpoint schreibt:

      Na, so umfangreich, dass es niemand versteht ist dieses hier nicht (passt bequem auf eine DIN-A4-Seite).

      Was mir an dieses Geschichte seltsam vorkommt, ist dass dieser Entwurf bereits am frühen Morgen an alle Führungskräfte ging.
      D.h. die hatten alle Zeit und Gelegenheit, das Organigramm zu betrachten, aber keiner hielt es für nötig oder angebracht, den Chef zu informieren.
      Ich selbst war ja Vormittags noch anderweitig beschäftigt gewesen, und konnte das deshalb erst später sehen.

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  3. Murgs schreibt:

    Abteilungskürzel sind immer ein Hort kreativen Wahnsinns.
    Ich habe einige Zeit gebraucht um hinter das Kürzel der (Haupt-)Abteilung meines Schwiegervaters zu kommen: VCS = Verkauf / Cross-Selling! Auf seiner amerikanischen Visitenkarte stand klar und einfach „Director Sales North-America“. Das Cross-Selling war nur das Anpassen von Produktion und Absatz in den weltweiten Aktivitäten der Firma.

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    • breakpoint schreibt:

      Bei einigen meiner Kunden ist das auch eine schwierig zu durchschauende Angelegenheit.
      Dass mit zunehmender Unternehmensgröße die Abteilungsbezeichnungen tendenziell länger werden, ist an sich nachvollziehbar.
      Aber manchmal scheint es einen Wettstreit zu geben, wessen Bezeichnung am kryptischsten ist.

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  4. engywuck schreibt:

    ist ja auch schwer mit den Abkürzungen, so ziemliche jede hat schon andere Bedeutungen. Da kann man eigentlich nur die offensichtlichsten weglassen (ich würde eine Abteilung jetzt nicht mit „KZ“ (für KundenZufriedenheit oder so) abkürzen…)

    Ich warte übrigens noch immer auf den CDU-Baustein im Rechnerbereich, die SPD hat’s ja schon geschafft 🙂

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    • breakpoint schreibt:

      Es stimmt, dass viele Abkürzungen stark überladen sind.
      Meist kann man ja aus dem Kontext schließen, was sie jeweils bedeuten.
      Problem hatte ich schon z.B. bei IP (Internet Protocol bzw. Intellectual Property) oder CMS (Center of Mass System bzw. Content Management System).

      Und die DDR-RAMs kamen mir auch etwas seltsam vor.

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  5. Schneider schreibt:

    Ja, tolle Sache, Euer Blog. Gefällt mir gut 😉

    Auf http://www.vitiligo.de und http://www.idealderm.com haben wir ein ähnliche Seite gemacht.

    Danke & viele liebe Grüße aus Aalen

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  6. Pingback: breakpoint’s Wayback Archive #22 //1789 | breakpoint

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