Vierhundertzwanzig

Abends frage ich Carsten immer, wie sein Tag war, was es Neues gibt, oder was er alles gemacht hat. Das ist einfach Ausdruck eines gewissen Interesses an seinem Leben, und hat nichts mit Neugier oder Kontrolle zu tun.

So fragte ich ihn auch gestern abend: „Was gibt es Neues?“
„Eigentlich nichts.“
„Und uneigentlich?“
„Nichts, was jetzt für dich von Belang wäre.“
„So gar nichts außergewöhnliches?“, bohrte ich nach.
„Du weißt doch, was ich den ganzen Tag mache: Termine, Papierkram durcharbeiten, und so weiter.“
„Und da war heute nichts besonderes dabei?“

„Soll das ein Verhör sein? Ich muss dir nicht über jede halbe Stunde Rechenschaft ablegen.“
Ich erwiderte nichts, sondern sah ihn nur eindringlich an.

„Diese Klatschbase, deine Cousine!“, entfuhr es ihm plötzlich, „ich hätte mir denken können, dass sie ihren Mund nicht halten kann. Ich muss wohl ein ernstes Wort mit ihr reden, dass sie nichts, was sie dienstlich erfährt, an Firmenfremde kommunizieren darf!“
Ich ging nicht darauf ein. Kathrin hat sich das sicherlich selbst zuzuschreiben.

Etwas ruhiger fuhr Carsten fort: „Ich wollte dir das aus einem bestimmten Grund nicht verraten. Aber nachdem man wohl nichts geheimhalten kann … Ich hatte heute ein Gespräch mit Lydia. Ich war mit ihr drei Jahre lang zusammen, bevor ich Ingrid geheiratet habe. Sie hat ein Reisebüro, und ich habe mich mit ihr über die Planung unserer Hochzeitsreise unterhalten. Bist du jetzt zufrieden?“

Dass Carsten ein Vorleben gehabt hat, ist nicht überraschend. Schließlich hat er erst mit Ende Zwanzig geheiratet. Da wäre es viel verwunderlicher gewesen, hätte es vorher keine anderen Frauen gegeben. Was mich jedoch stört, ist, dass er dieser Frau offenbar die Planung und Organisation unserer Hochzeitsreise überlassen will.

„Hast du mit ihr die ganze Zeit Kontakt gehabt?“
„Ich wusste, dass sie ein Reisebüro hat. Habe sie wohl auch im Laufe der Jahre ein paar Mal zufällig getroffen und ein paar Worte gewechselt. Für unsere Flitterwochen hatte ich schon selbst ein paar Ideen, die ich gerne mit jemandem besprechen wollte, den ich kenne und der sich damit auskennt. Da habe ich sie angerufen, und sie gebeten, für ein Gespräch herzukommen.“
„Wäre es nicht angebrachter gewesen, das direkt im Reisebüro zu erledigen?“
„Offenbar, ja. Dort hätte ich mich wenigstens auf die Diskretion der Angestellten verlassen können. Aber ich wollte das erst mal unverbindlich vorklären. Wir haben den Hochzeitstermin ja noch gar nicht festgesetzt.“
„Und da kommt sie so einfach ‚unverbindlich‘ vorbei?“
„Ich habe ihr gesagt, dass wir die Reise dann bei ihr buchen werden, wenn es soweit ist. Ich werde übrigens deinen Reisepass brauchen, um die Visa zu beantragen.“
„Jetzt lenk‘ nicht ab! Ich bin nicht damit einverstanden, dass deine Verflossene für unsere Hochzeitsreise verantwortlich sein soll.“
„Sie ist Geschäftsfrau, und wird das ganz professionell abwickeln. Und wir hatten ausgemacht, dass du dich überraschen lässt. Also halte dich jetzt da heraus! Aber falls du sie kennenlernen willst, kann ich das einrichten.“
„Nein, ganz sicher nicht. Mir gefällt das nicht, dass sie die Planung übernimmt.“
„Das sagtest du schon. Jetzt schlaf‘ erst mal drüber, Samtpfötchen!“, meinte er versöhnlich und legte seinen Arm um mich, „wenn du mir danach einer vernünftigen, rationalen Grund nennen kannst, warum ich ihr nicht die Reiseplanung überlassen soll, werde ich mich an ein anderes Reisebüro wenden. Aber nur ein ‚gefällt mir nicht‘ akzeptiere ich nicht. Es muss schon vernünftig und nachvollziehbar sein.“

Tja, ein vernünftiger, rationaler und nachvollziehbarer Grund ist mir immer noch nicht eingefallen. Das Unbehagen, das mir diese Sache verursacht, zählt ja nicht.

Über Anne Nühm (breakpoint)

Die Programmierschlampe.
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22 Antworten zu Vierhundertzwanzig

  1. baerlinerin schreibt:

    Yippeah! – Dann lag ich ja gestern goldrichtig mit meinem Kommentar und der Vermutung, es handele sich um eine Hochzeitsplanerin! 🙂 …aber ganz ehrlich, wohl wäre mir auch nicht bei der Konstellation. Doch dein Verlobter scheint immer genau zu wissen, was er tut und hat ja sich um dich gekämpft. Also vertrau ihm!!! P.S. …nur wo ist mein Kommentar geblieben? 😦

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    • breakpoint schreibt:

      Ja, du hattest die richtige Idee.
      Es ging zwar um die Planung der Reise, und nicht der Feier (sofern es eine geben sollte), aber das ist eher nebensächlich.

      Dein Kommentar mit der Hochzeitsplanerin ist hier.
      Oder vermisst du einen anderen?

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  2. idgie13 schreibt:

    Mir wär genauso unwohl und ich würde das in der Form auch nicht wollen.

    Männer sehen das anders. Die können das nicht nachvollziehen. Das Problem hatte ich mit meinem Freund auch mehrfach, bevor sich seine Ex mit ihrer Habgier selber ins Aus geschossen hat :>

    Jetzt müssen wir nur noch einen rationalen Grund für Dich finden. Ich geh mal suchen …

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    • breakpoint schreibt:

      Wenn du einen rationalen Grund findest, dann gib mir bitte Bescheid.
      Ich fürchte aber, dass es keinen gibt.
      Und da ich ja vernünftig bin, werde ich mich wohl mit der Situation arrangieren und das so dulden.

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      • idgie13 schreibt:

        Ich überleg noch … 😉

        Übrigens halte ich das genauso wie Du: wenn er meint, Kontakt halten zu müssen, kann er das machen – aber bitte auf neutralem Boden, nicht in der Privatwohnung. Ich selber habe aber keinerlei Interesse, eine von denen kennenzulernen. Für mich ist das Vergangenheit und soll es bitte auch bleiben. Ich bin nicht bereit, denen Raum in meinem Leben zu bieten. In der Zeit pflege ich lieber meine Freundschaften und umgebe mich mit Leuten, die mich wirklich interessieren.

        Ganz ehrlich:
        Ich würd das nicht wollen und eine Reise, die unter den Umständen zusammengekommen ist, nicht antreten. Ich hätte mich aber schon gar nicht überraschen lassen wollen, sondern gern mitentschieden, wohin es geht … 😉

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        • breakpoint schreibt:

          Bisher habe ich ja immer unsere Reisen gebucht und mich um die Organisation gekümmert.
          Bei der Hochzeitsreise wollte ich mich mit solch profanen Dingen einmal nicht abgeben.
          Da ich eigentlich sicher bin, dass Carsten ein schönes Ziel wählt, ist eine Überraschung für mich OK (sonst würde ich nur wieder Stunden mit Internetrecherchen verbringen).

          Die Hochzeitsreise nicht anzutreten, wäre ein Druckmittel, das einzusetzen mir doch sehr übertrieben erscheint.

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  3. Murgs schreibt:

    So weit ist die Lage klar, aber Du musst das für Dich noch aufarbeiten.
    Eine Strategie mit Eifersucht klarzukommen solltest Du lernen, die brauchst Du noch öfter. Baerlinerin hat Recht: Vertrau ihm! Und sag ihm das auch, aber mit dem Hinweis, daß er Zweifel auch nicht provozieren soll.
    Wenn mir Ex-Freundinnen begegnen (würden), könnte ich mit einigen auch locker umgehen, bei anderen ist mein Misstrauen auch nach Jahrzehnten nicht verraucht.
    Aber warum willst Du sie nicht kennenlernen? Entweder ihr versteht euch, ansonsten sieh dem Feind lieber in die Augen! ÄLT kommt mit FÄLTs Ex bestens aus, die hatte ihn sogar bestärkt den ersten Kontakt weiterzuführen.
    Versuche deine Vorgängerinnen bei Carsten leidenschaftslos, aber nicht arglos zu betrachten.

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    • breakpoint schreibt:

      „Eifersucht“, „Feind“, .. jetzt dramatisierst du aber.
      Ich finde es nicht grundsätzlich schlimm, dass er Kontakt zu Verflossenen hat.
      Schließlich habe ich auch gelegentlich mit Ex-Lovern zu tun. Das ist aber alles aus, vorbei und abgeschlossen. Da läuft nichts mehr.
      Es wäre scheinheilig, das Carsten nicht auch zuzugestehen.
      Bloß die Organisation unserer Hochzeitsreise einer Verflossenen zu überlassen, ist jetzt keine so überzeugende Idee.
      Jedoch bin ich durchaus souverän genug, das zu tolerieren.

      Ich sehe keinerlei Sinn darin, sie kennenzulernen. Nein, das muss wirklich nicht sein.

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      • Murgs schreibt:

        „.. jetzt dramatisierst du aber.“
        Dann knirsche nicht zwischen den Zeilen mit den Zähnen! 😉
        Aus meiner Sicht reagierst Du zu heftig, aber Carsten sollte Deine Toleranzgrenze nicht austesten, auch nicht unabsichtlich.
        Wie erwähnt kam deine Cousine in einen Loyalitätskonflikt. Wie hättest Du an ihrer Stelle reagiert?
        Einen rationalen Grund nicht die Ex die Reise planen zu lassen gibt es nicht, aber einen begründbaren emotionaler Art:
        Auch Fachleute sind von eigenen Vorstellungen beeinflusst, es läßt sich nicht verhindern, das sie ihre Vorstellung einer Hochzeitsreise mit Carsten da hineinprojiziert. Da hätte ich dann auch ein mulmiges Gefühl, quasi nur der Stellvertreter zu sein.

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        • breakpoint schreibt:

          Weder knirsche ich mit den Zähnen, noch reagiere ich zu heftig.
          Ich habe lediglich gesagt, dass mir dieses Vorgehen nicht gefällt. Und das stimmt immer noch. Dazu stehe ich.
          (Und Idgie hat wohl recht, dass Männer das nicht ganz nachvollziehen können.)
          Trotzdem könnte ich meine Bedenken ausblenden, und das so akzeptieren.

          „Wie hättest Du an ihrer Stelle reagiert?“
          Zumindest hätte ich aufgrund vager Vermutungen nicht gleich zum nächsten Telefon gegriffen, und versucht, sämtliche Pferde scheu zu machen.
          Selbst wenn ich handfeste Beweise gehabt hätte, hätte ich es mir sehr gut überlegt, ob (und ggf. wie) ich mich einmischen soll.

          “ ihre Vorstellung einer Hochzeitsreise mit Carsten da hineinprojiziert“
          Das erscheint mir etwas sehr weit hergeholt.
          Da hätte ich noch eher befürchtet, dass sie die Reise aus Missgunst sabotiert.

          Ich habe gestern abend noch mal mit Carsten darüber gesprochen.
          Er wird die Reise zwar dort buchen, aber einen anderen Ansprechpartner verlangen, der sich dann um die Einzelheiten kümmert.
          Auf diese Weise kann wohl, denke ich, jeder zufrieden sein.

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      • engywuck schreibt:

        das ist doch ganz einfach. „hmmm, ich brauche ne schöne Reise. Ach stimmt, die Lydia kennt sich da ja aus. Frag ich die mal“
        Männer sind in sowas recht unkompliziert 🙂

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  4. ednong schreibt:

    „Zickenkrieg“ – yeah! 🙂

    Du wirst keinen rationalen Grund finden. Und vielleicht ist sie ja schon selbst verheiratet. Und wenn sie Profi ist, spricht doch nichts dagegen …

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    • idgie13 schreibt:

      Ich sag’s ja … Männer verstehen das nicht.

      Ich würd’s auch nicht wollen. Und das hat nichts mit „nicht vertrauen“ zu tun.

      Rational erklären kann ich es auch nicht. Ist einfach so, dass das ein ungutes Gefühl verursacht. Und wenn das dann in Verbindung mit den Flitterwochen ist, finde ich das einfach schade.

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    • breakpoint schreibt:

      Soll sie’s doch organisieren.
      Ich komme schon damit klar.

      AFAIK ist sie geschieden.

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  5. breakpoint schreibt:

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