Vierhundertneunzehn

Kathrin hat mich angerufen.

Diejenigen, die hier länger lesen, können sich sicher denken, was das bedeutet. Für die neu dazu gekommenen Leser (streng politisch korrekt müsste ich wohl schreiben „Lesenden“. Aber ich mache so einen Schwachsinn nicht mit. Wem’s nicht passt, soll anderswo lesen):
Kathrin ist meine Cousine. In einem Anfall von unbedachtem Altruismus habe ich ihr einen Bürojob in Carsten’s Vorzimmer verschafft.

Sie rief also an: „Du, Anne, ich muss dir was sagen.“
„Was gibt es?“
„Das solltest du wissen, interessiert dich bestimmt.“
Sie ist immer so umständlich, und stellt meine Geduld auf eine harte Probe. „Also, was ist?“

„Da war gerade eine Frau in seinem Büro.“
„Ja, und?“
„Sie waren sehr vertraut miteinander und haben sich geduzt.“
„War vielleicht eine Kundin, die er schon länger kennt.“
„Nein, nein. In seinem Kalender war nichts eingetragen, war nur vermerkt, dass er da beschäftigt ist. Das hab ich so noch nicht erlebt. Sonst steht da immer ausführlich alles drin: wer den Termin hat, um was es geht, und so weiter.“
„Was willst du damit sagen?“
„Sie haben auch die Bürotür zugemacht. Die ist sonst immer einen Spalt offen, wenn er alleine mit einer Frau drinnen ist.“
„Und was haben sie darin besprochen?“, fragte ich ziemlich genervt.
„Das weiß ich doch nicht! Die Tür war zu, und im Kalender stand nichts. Aber als sie sich verabschiedet haben, habe ich etwas gehört wie ‚das bleibt aber unter uns‘.“

„Wie sah sie denn aus? Vielleicht war es seine Schwester.“
„Nein, seine Schwester kenne ich. Die war irgendwann im Winter mal da, und er hat sie gleich wieder weg geschickt, ohne mit ihr zu reden. Diese Frau, hm, ziemlich groß, gepflegte Erscheinung, elegant gekleidet, zwischen vierzig und fünfzig, schulterlange braune Haare mit blonden Strähnchen, ..“
„Ja, ja, reicht schon. Wie kommst du überhaupt darauf, dass mich das interessiert?“
„Naja, ich dachte nur, weil du doch mit ihm zusammen bist, dass es dich da schon interessiert, wenn er mit anderen Frauen rummacht.“
„Hast du irgendetwas gesehen oder gehört, das konkret darauf hinweist, dass er mit ihr ‚rummacht‘?“
„Äh, nein, aber ..“
„Wenn er das nämlich täte, wäre er nicht so dumm und indiskret, das offen im Büro abzuwickeln.“

„Hm. Vielleicht hast du recht“, meinte sie, ohne völlig überzeugt zu klingen.
„Sicher habe ich recht. Und ich habe wohl auch recht, dass du nicht dafür bezahlt wirst, während der Arbeitszeit über den Firmenanschluss Privatgespräche zu führen.“
„Ich habe es ja nur gut gemeint“, erwiderte sie kleinlaut.
„Dann wende dich jetzt wieder deiner Arbeit zu. Ich habe auch noch einiges zu tun.“

Sie verabschiedete sich. Leider hat mich dieses blöde Gespräch wieder mal aus meinem Flow gerissen, und ich finde jetzt nicht mehr hinein.

Über Anne Nühm (breakpoint)

Die Programmierschlampe.
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27 Antworten zu Vierhundertneunzehn

  1. gelöschter User schreibt:

    „Wenn er das nämlich täte, wäre er nicht so dumm und indiskret, das offen im Büro abzuwickeln.“
    Das ist ein wichtiger Punkt. Er könnte sich ausdenken, dass deine Cousine mit dir telefoniert. Bestimmt gibt es einen anderen Grund für diesen ungewöhnlichen Termin.

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  2. ednong schreibt:

    Ah, und deshalb ist der Eintrag so spät. Kann Kathrin denn nicht mal eher anrufen …

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  3. Moody schreibt:

    Tja und was soll das nun? Ich bin kein Freund von solchem Gerede. Wenn sie einen Beweis hat, dann wäre ein Hinweis, den man in einem persönlichen Gespräch genauer erklärt ja etwas, was ich noch verstehen würde, aber eigentlich bin ich immer eher so gestrickt, dass ich die Person, welche den Fehltritt begeht (oder in diesem Fall verdächtigt wird), direkt darauf anspreche. Sie kann das natürlich nicht, weil er ihr Chef ist und sie ja anscheinend Schiss vor ihm hat, aber dann kann sie auch auf die persönliche Art mit dir verzichten.
    Und nun zurück zum Würg-Floh 😀

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    • breakpoint schreibt:

      Allein die Vorstellung, Kathrin würde Carsten zur Rede stellen, ist lachhaft!
      Nee, heute abend werde ich ihn selbst fragen, was los war.

      Würg-Floh = Workflow? Oder ..?

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      • Moody schreibt:

        Ja, hab ich ja schon mitbekommen, dass sie das nicht kann und ich habe auch eine Chefin, da würde ich mir nie einbilden, so etwas zu tun. Ich würde aber auch nicht ihren Mann davon in Kenntnis setzen, wenn ich den Verdacht hätte, dass da irgendwas läuft. Ich lebe ja eh eher nach der Philosophie, dass jedes Pärchen seine eigenen Grenzen und Regeln hat. Ich für meinen Fall hatte ein Beziehung, bei der sie sogar explizit auch was mit anderen anstellen durfte, aber wissen wollte ich es nicht. Im Endeffekt war das zwar auch nicht die richtige Form von Beziehung für mich, aber da wär ich damals so richtig sauer gewesen, wenn ich dann darüber informiert werde.
        Na da bin ich ja gespannt, wie Carsten darauf reagiert, denn der wird das ähnlich wie du sehen und es wohl eher nicht nachvollziehen können, warum Kathrin bei dir anruft.

        Ja, das Würg-Floh ist der Workflow 🙂

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        • breakpoint schreibt:

          Tja, ich gehe mal davon aus, dass du den Mann deiner Chefin nicht näher kennst.
          Da ist es klar, dass zu ihm so etwas nicht mitteilen würdest (es sei denn – rein hypothetisch – du wolltest deiner Chefin eins auswischen).
          Wenn du ihn aber gut kennen würdest, sogar mit ihm befreundet wärest?

          Ich denke auch, dass es manchmal besser ist, gar nicht alles zu wissen.

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          • Moody schreibt:

            Nein, ich kenne ihren Mann nicht und ich kann mir auch nicht vorstellen, ihn zu kennen. Das ist alles recht hypothetisch, aber im Endeffekt bleibt es bei meiner Einstellung, dass jedes Paar das für sich klären muss. Die Freundin eines sehr guten Freundes würde ich schon direkt darauf ansprechen, wenn ich sie erwischen würde und ihr womöglich die Pistole auf die Brust drücken, dass sie mit ihm reden müsste, sonst würde ich es tun… aber ich kann hier viel schreiben, wie es dann ist, kann ich nur sagen, wenn es so kommt.

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            • breakpoint schreibt:

              Im Prinzip sehe ich das genauso wie du.
              Man sollte sich es in jedem Fall gut überlegen, ob man sich in die Angelegenheiten anderer Personen einmischt.
              Ich würde das wirklich nur in absoluten Ausnahmefällen tun.

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  4. Murgs schreibt:

    „Wie kommst du überhaupt darauf, dass mich das interessiert?“

    Das hätte sie sich zu allererst fragen sollen. Entweder dann richtig lauschen oder es einfach auf sich beruhen lassen. Spekulationen helfen nicht, sondern schaffen Ärger.

    Carsten solltest Du klarmachen, das er Heimlichkeiten wenn schon, dann richtig verschleiern sollte. Er treibt ja Kathrin zwangsläufig in einen Loyalitätskonflikt, er ist ihr Chef, aber du bist ihre Cousine – sie kann sich nur falsch entscheiden. (Und hat es noch dümmer gemacht)
    Hat Carsten sich ertappt gefühlt? Bau ihn lieber auf, er muß sich auf Dein Verständnis verlassen können.
    Hast Du es ignoriert? Weniger gut, den Missverständnisse gib es immer wieder und sie nähren Zweifel.
    Er ist es offensiv angegangen und hat Dich gleich aufgeklärt? Fast optimal, nur sollte er Kathrin oberflächlich(!) einbeziehen. Siehe oben.
    Das Vorzimmer muß wissen, was läuft, sonst würde sie ihren Job schlecht machen.

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  5. Bellona schreibt:

    mir passt es, dass du diversen schwachsinn nicht mitmachst und deshalb lese ich gerne weiter. ich bin nur noch nicht so ganz dahintergestiegen, aber ich komme immer mal wieder… 😉

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